Psychische und geistige Sicherheit: Andrei S. Markovits.

UM Photography, A. Thomason

Titel und Untertitel dieser Autobiografie rechnen mit dem antisemitischen Klischee der "jüdischen Wurzellosigkeit" ab. Trotzig verkehrt der Autor auf den ersten Seiten diese Denunziation in ihr positives Gegenteil: Er genießt "seinen Status als Wanderer, als Außenseiter, als wirklich und wahrhaft stolzer wurzelloser Kosmopolit".

Angesichts der komplexen Biografie des bekannten US-amerikanischen Intellektuellen Andrei S. Markovits scheint diese Ablehnung durchaus zutreffend: 1948 geboren in eine jüdische Familie im multilingualen Timişoara, erhält er seine Gymnasialausbildung im Wiener Theresianum, studiert danach an der Columbia University, verbringt eine intellektuell prägende Zeit am Rande von Harvard, wechselt dann in das kalifornische Santa Cruz, um schließlich im Mittleren Westen an einer der angesehensten staatlichen Universitäten des Landes, der University of Michigan in Ann Arbor, zu landen. Kein Wunder, dass der Pass sein einziges Zuhause ist, die radikale Variante einer "staatsbürgerlichen Zugehörigkeit", die jeden völkischen Essenzialismus zurückweist.

Europäischer Kanon

Markovits’ Biografie liest sich als Translatio studii, als intellektuelle Reise von Ost nach West, durch die das früh Ererbte (die elterliche k. u. k. Bildungsbürgerlichkeit) und das Erworbene (der europäische Kanon etwa des Theresianums) in der Neuen Welt neu gedacht werden können. Er beobachtet an sich, dass er die europäischen Denker aus der "psychischen und geistigen Sicherheit" der Columbia University "besser kennengelernt" habe, "als es in Europa möglich gewesen wäre".

Hier erkennen wir nicht nur das weitergereichte Trauma, das für die "second generation" der Überlebenden des Holocaust typisch ist (die Eltern des Vaters, zwei seiner sechs Geschwister und die Großmutter mütterlicherseits wurden in Auschwitz ermordet), sondern auch eine intellektuelle Chance: Columbia "bedeutete für mich eine echte Synthese aus Europa und den Vereinigten Staaten".

Logischer Favorit

Dieser transatlantische Verbund erklärt auch die enorme Vielfalt von Markovits’ wissenschaftlichen Interessen. Sein offizielles Fach, Politikwissenschaft, erkennt man vor allem daran, dass alles irgendwie politisch ist. Gäbe es aber einen Nobelpreis für Kulturwissenschaften (warum eigentlich nicht?), wäre er dafür zweifellos ein logischer Favorit.

Er hat uns den Antiamerikanismus der Europäer erklärt, den er bei der Rechten und der Linken findet und der eine gefährliche Parallelität zum Antisemitismus aufweist; warum Fußball (Soccer) in den USA allgemein weniger bedeutend ist als in Europa, der Frauenfußball aber umso mehr; und warum die deutschsprachigen Linken immer grüner und die deutschen Gewerkschaften feministischer werden (müssten).

Bildung in Wien, Karriere in den USA

Es ist aber keineswegs ein wissenschaftliches Sammelsurium. Markovits’ Werk, ein Œuvre, hat eine innere Kohärenz, die auf dem für Kulturwissenschaften typischen Dialog der Texte basiert, in dem die Erfahrungen der Alten und der Neuen Welt in gegenseitiger Spiegelung verständlich werden. Kulturwissenschaftlich ist auch sein breiter Kulturbegriff, wobei "Andy" (der Vorname, unter dem er allgemein bekannt ist) Hoch- und Populärkultur nicht gegeneinander ausspielt. Er präsentiert sich als Opernliebhaber und als bedingungsloser Aficionado der Grateful Dead – deren Fans sind "meine amerikanische Familie", bei der er "sich zu Hause fühlt".

Neben den Deadheads erhält auch seine biologische Familie viel Raum. Bald nach dem Tod der Mutter wandern die verbliebenen beiden Familienmitglieder nach Wien aus. Der Vater, Finanzfachmann, hat einen Masterplan für seinen Sohn: gymnasiale Bildung in Wien, danach Studium und erfolgreiche Karriere in den USA. Andy realisiert diese Hoffnung und widmet dem Vater seine Autobiografie, in der dieser der "wahre und einzige Held dieser Zeilen ist". Und bleibt transatlantisch, auch in seiner persönlichen Beziehung: mit einer Wiener Jüdin, Kiki, die er im Jahr 1968 zum ersten Mal verehrt, mit der er sich aber erst 23 Jahre später fest liiert und die jetzt sein Leben in Michigan teilt.

Andrei S. Markovits, "Der Pass mein Zuhause. Aufgefangen in Wurzellosigkeit". € 18,50 / 326 Seiten. Neofelis-Verlag, Berlin 2022.
Foto: Verlag

Freunde und Mentoren

Dieser Band, vom Spezialisten für Kritische Theorie in den USA Robert Zwarg gewinnbringend übersetzt, führt in eine Fülle von Lebenswelten, geografischen, kulturellen, professionellen, wissenschaftlichen und politischen. Es ist ein Buch über den "Osten" und "Amerika", mit einem interessanten Blick auf Wien in den späten 1950er- und 1960er-Jahren.

Wir finden etwa heraus, dass Markovits mit dem Kommunikationswissenschafter und langjährigen Journalisten Michael Freund in die Schule und auf die Universität (in New York) gegangen ist, und werden (gerne) daran erinnert, dass Freund später in der "Wochenendausgabe der linksliberalen, bildungsbürgerlichen Zeitung Der Standard" das österreichische Publikum "mit einer solchen Bandbreite von amerikanischen Themen bekannt gemacht hat" wie kein anderer.

Markovits’ bringt uns seine Freunde und Mentoren oft sehr nahe. Folgt man den Wanderungen in seiner Biografie, macht man dabei seine eigenen vielfältigen Entdeckungen. (Walter Grünzweig, 21.1.2023)