Die Idee einer Justizpolizei findet Vrabl-Sanda "spannend". Bei geheimen Ermittlungen könne das ein Vorteil sein.

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Aus ihrem Eckbüro am Donaukanal überblickt Ilse-Maria Vrabl-Sanda halb Wien. Die Juristin steht seit zehn Jahren an der Spitze der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und sieht auf eine turbulente Zeit zurück. Konflikte mit den Vorgesetzten und politisch heikle Verfahren halten die Behördenchefin auf Trab.

STANDARD: Wir sehen hier in Ihrem Büro gar keinen Aufkleber "I love WKStA"? Mit diesem Motto gab es ja auch Pickerln, Häferln und T-Shirts. Haben Sie gar nichts davon?

Vrabl-Sanda: Nein, habe ich nicht.

STANDARD: Freuen Sie sich über solche Unterstützungserklärungen?

Vrabl-Sanda: Für uns ist jeglicher Zuruf von außen irrelevant. Wir dürfen so etwas nicht berücksichtigen bei unserer Arbeit, müssen das ausblenden und tun das auch.

STANDARD: Keine Spur von Freude für derlei Zustimmung?

Vrabl-Sanda: Ich kann das nur für meine Person beurteilen. Ich bin auch nur ein Mensch und selbstverständlich vermittelt einem Zustimmung den Eindruck, dass unsere Arbeit entsprechend gewürdigt wird. Aber das ist ein sehr gefährliches Terrain und deshalb muss man das nach ein, zwei Sekunden sofort wieder ausblenden. Man darf sich an solchen Bekundungen nicht aufbauen, man muss andere Mechanismen finden, die die eigene Resilienz stärken.

STANDARD: Diese Aufkleber waren eine Reaktion auf Attacken gegen die WKStA aus der ÖVP oder vom inzwischen suspendierten Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek. Anlass des Zerwürfnisses mit ihm war die Eurofighter-Dienstbesprechung im April 2019, als er die inzwischen berühmte Aufforderung "Daschlogt’s es" aussprach. Danach versuchte man es mit Mediation, hat es so etwas zuvor je gegeben?

Vrabl-Sanda: Unter meiner Beteiligung jedenfalls nicht. Aber ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass es richtig ist, Dinge, die nicht in Ordnung sind, aufzuzeigen. Es ist ganz wichtig, dass man aufsteht und auf eine Aufarbeitung innerhalb der Institution hinwirkt. Es stärkt letztlich das Vertrauen, wenn von außen zu sehen ist, dass Probleme nicht unter den Tisch gekehrt werden, sondern dass man sich diesen Herausforderungen stellt.

STANDARD: Die WKStA darf sich nicht ducken?

Vrabl-Sanda: Nein, die WKStA darf sich nicht ducken, auf keinen Fall.

STANDARD: Die Präsidentin der Staatsanwältevereinigung, Cornelia Koller, sagte jüngst, dass es sogar Rekrutierungsprobleme gebe, weil Staatsanwälte nicht politischen Verdächtigungen ausgesetzt werden wollen. So schlimm?

Vrabl-Sanda: Grundsätzlich ist die Fluktuation bei der WKStA gering, aber natürlich ist die Polarisierung ein Problem. Es gibt Jobinteressenten, die sich solchem Druck von außen und persönlichen Angriffen unter der Gürtellinie nicht aussetzen wollen. Das kann ich nachvollziehen. Aber wir, die wir hier arbeiten, sind mittlerweile etwas abgehärtet, haben eine dickere Haut bekommen. Diese Entwicklung ist auch nötig, damit wir so arbeiten können, wie wir arbeiten müssen, nämlich dem Objektivitätsgebot verpflichtet.

STANDARD: Wie groß ist denn der Schaden aus so einer öffentlich geführten Auseinandersetzung?

Vrabl-Sanda: Da muss man abwägen. Natürlich ist es wichtig, dass die Menschen darauf vertrauen können, dass der Rechtsstaat funktioniert. Das Problem ist, dass die Öffentlichkeit nicht unterscheidet, ob eine WKStA, eine Staatsanwaltschaft oder ein Gericht betroffen ist. Die Öffentlichkeit bezieht das auf die Justiz insgesamt. Und wenn dann das Vertrauen in die Institutionen untergraben wird, hat das natürlich sehr negative Auswirkungen.

Der mittlerweile suspendierte Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, geriet mit der WKStA aneinander.
Foto: APA/Helmut Fohringer

STANDARD: Hat sich das Verhältnis zwischen WKStA und Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien wieder beruhigt? Behördenchef Johann Fuchs war der WKStA laut Chats mit Pilnacek auch nicht wohlgesonnen, im Verfahren wegen Verdachts des Bruchs des Amtsgeheimnisses wurde er – nicht rechtskräftig – freigesprochen.

Vrabl-Sanda: Für die Fachaufsicht über die WKStA ist nicht mehr Fuchs zuständig. Und für den gesamten Ibiza-Verfahrenskomplex ist der OStA Wien ein Oberstaatsanwalt aus Innsbruck zugeteilt, der auch die Fachaufsicht hat. Er ist gegenüber der OStA Wien weisungsfrei gestellt in diesem Zusammenhang und berichtet ans Ministerium.

STANDARD: Das Problem ist also neutralisiert?

Vrabl-Sanda: Es ist mit einer Notlösung neutralisiert. Es ist keine ideale Lösung, aber das Optimum, das in dieser Situation möglich ist. Grundsätzlich bin ich für die Einführung einer Generalstaatsanwaltschaft, unterstütze den Vorschlag der Arbeitsgruppe, in die ich mich auch einbringen konnte. Es wäre sehr sinnvoll, die WKStA dort anzubinden.

STANDARD: Noch zu den angesprochenen Chats. Gibt es da welche, die Ihnen besonders in Erinnerung sind?

Vrabl-Sanda: Darüber möchte ich nichts beauskunften.

STANDARD: Die Chats von Justizangehörigen, die auch durch den U-Ausschuss bekannt wurden, betrafen oft auch die WKStA und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anderer Behörden. Hat Sie das als WKStA-Leiterin überrascht? Kann Sie überhaupt noch etwas überraschen?

Vrabl-Sanda: Natürlich ist es ein großes Problem, wenn man über sich oder über die Behörde solche Dinge liest, die aus dem innersten Kern der Justiz kommen, aus unseren eigenen Reihen. Da bleibt man manchmal schon staunend, mit offenem Mund sitzen. Mir ist es zuletzt im U-Ausschuss so gegangen, als mir einige Chats zur Stellungnahme vorgelegt wurden. Ich war schon erschüttert, so etwas von der eigenen Aufsicht zu lesen. Aber auch das muss abperlen: Wenn man sich wieder an die Arbeit macht, darf das keine Rolle spielen.

Im Verfahren wegen des Vorwurfs der falschen Beweisaussage könnte Ex-Kanzler Sebastian Kurz eine Anklage bevorstehen.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Die WKStA hat im Verfahren wegen des Vorwurfs der falschen Beweisaussage gegen Sebastian Kurz einen Vorhabensbericht erstattet. Wie lang dauert es, bis klar ist, ob eingestellt oder angeklagt wird?

Vrabl-Sanda: Natürlich ist uns an einer zeitnahen Entscheidung gelegen, weil wir im Verfahren weiterkommen wollen. Aber es ist ein brisantes Verfahren, da muss genau geprüft werden, und das dauert seine Zeit. Mit dem Bericht beschäftigen sich Oberstaatsanwaltschaft und Ministerium, und das zieht dann auch noch den Weisungsrat bei. Da muss man mit einigen Monaten rechnen.

STANDARD: Die Regierung reformiert gerade das Korruptionsstrafrecht. Geht die Reform weit genug?

Vrabl-Sanda: Wir müssen parallel dazu die Prophylaxe gegen Korruption verstärken, und das gelingt nur, wenn man die Aufdeckungswahrscheinlichkeit erhöht. Dazu ist es nötig, dass die WKStA entsprechende Ermittlungsmaßnahmen ergreifen kann. Die dürfen nicht reduziert werden.

"Ich glaube, es ist ein wichtiger Schritt, aber er sollte nicht der einzige sein", sagt Vrabl-Sanda über das neue Korruptionsstrafrecht.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Der ÖVP geht das aber jetzt schon zu weit, sie fordert eine Ausweitung der Beschuldigtenrechte. Sehen Sie da auch Reformbedarf?

Vrabl-Sanda: Der Standard der Beschuldigtenrechte in Österreich ist sehr hoch, da können wir uns international sehen lassen. Es gibt im Ermittlungsverfahren keinen einzigen Schritt des Staatsanwalts, der nicht vom Beschuldigten bekämpft werden und vor ein unabhängiges Gericht gebracht werden kann. Wir haben also ein sehr starkes Rechtsschutzsystem.

STANDARD: Nicht wenn die Staatsanwaltschaft eine Anzeige mangels Anfangsverdachts zurücklegt: Da haben Betroffene keine Rechte.

Vrabl-Sanda: Da gibt es Reformbedarf und Überlegungen im Ministerium. Ich bin dafür, dass man Einsicht in die Anzeige gewähren soll. Denn es kommt wirklich nicht so selten vor, dass jemand einen anderen anzeigt und das gleich in einer Pressekonferenz verkündet. Da wäre es nur fair, dem Angezeigten das Recht zu geben, die Anzeige anzusehen.

STANDARD: Es gibt auch Forderungen, die Beschlagnahme von Handys zu erschweren. Warum sind Sie dagegen?

Vrabl-Sanda: Man kann Korruption nur entgegentreten, wenn man die Aufdeckungswahrscheinlichkeit erhöht. Es wäre kontraproduktiv, die Möglichkeiten der Staatsanwaltschaft einzuschränken. Das Ibiza-Verfahren hätte unter den vorgeschlagenen Änderungen nicht stattfinden können.

STANDARD: Apropos. Kreiert die WKStA durch Chat-Nachrichten, die sie in Handys findet, Zufallsfunde, zu denen sie dann neue Ermittlungen einleitet?

Vrabl-Sanda: Ich verwehre mich dagegen, dass etwas kreiert wird. Wir leben in einer digitalen Welt und die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran. Wir können also nicht mit den gleichen Maßnahmen arbeiten wie früher, als es nur die analoge Welt gab. Heute sind unsere Tatorte regelmäßig die Smartphones und so, wie man bei einem Gewaltverbrechen nach Spuren am Tatort sucht, suchen unsere IT-Spezialisten in Handys nach Spuren.

Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache beklagt sich über hohe Verfahrenskosten.
Foto: APA/Eva Manhart

STANDARD: Der frühere FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wurde jüngst – nicht rechtskräftig – freigesprochen; er sitzt jetzt auf einem Berg von Anwaltskosten. Das hat die Debatte um höheren Kostenersatz bei Freisprüchen angefacht. Soll es die geben?

Vrabl-Sanda: Das ist eine politische Frage, die außerhalb der Ingerenz der WKStA liegt. Als Bürgerin bin ich der Meinung, dass der Kostenersatz angehoben werden muss.

STANDARD: Es gibt auch Kritiker, die sagen, dass Staatsanwaltschaften dann davor zurückschrecken könnten, etwas anzuklagen oder überhaupt zu ermitteln, weil ein etwaiger Freispruch den Staat Geld kosten würde. Sie sehen das wohl anders?

Vrabl-Sanda: Ja. Wenn wir einen Ermittlungsschritt setzen, dann mit Fug und Recht aufgrund der gesetzlichen Lage. Ich glaube nicht, dass eine Bestimmung über den Verteidigerkostenersatz daran etwas ändern würde.

STANDARD: Immer wieder wird gefordert, Großverfahren wie die Causa Ibiza aufzuteilen. Tun Sie das zu selten?

Vrabl-Sanda: Wir tun es, wenn es die Voraussetzung dafür gibt, also, wenn es der Beschleunigung des Verfahrens dient. Wir haben auch im Ibiza-Verfahren Teile abgetrennt: Der Verfahrenskomplex umfasst insgesamt 470 Akten, die zu einem guten Teil schon erledigt sind.

STANDARD: Noch einmal kurz zur geplanten Verschärfung des Korruptionsstrafrechts. Verfassungsministerin Edtstadler (ÖVP) meint, die Reform beschere uns das beste Korruptionsstrafrecht der Welt. Stimmt das?

Vrabl-Sanda: Ich maße mir gar nicht an, dieses Wissen zu haben. Ich glaube, es ist ein wichtiger Schritt, aber er sollte nicht der einzige sein. Es braucht Vorschriften zur Dokumentation von Entscheidungen, die Amtsträger via elektronische Kommunikationsmittel fällen und die nicht dokumentiert und veraktet werden. Die sind nur in den Handys gespeichert, und die werden regelmäßig gelöscht. Das ist ein großes Problem.

STANDARD: Die WKStA will E-Mails aus dem Bundeskanzleramt, dazu gibt es aber Meinungsverschiedenheiten. Strafrechtler fordern deswegen eine Justizpolizei. Braucht es die?

Vrabl-Sanda: Grundsätzlich bin ich dafür, aber man muss sich genau anschauen, wie so eine Justizpolizei ins Staatsgefüge passte. Der Vorteil wäre, dass man unmittelbar mit Ansprechpartnern zusammenarbeiten kann, was eine Beschleunigung brächte. Und es gäbe entsprechende Vertraulichkeit, wenn es um geheime Ermittlungsmaßnahmen geht.

STANDARD: Angesichts der vielen Korruptionsverfahren sieht der Bundespräsident einen "Wasserschaden" in der Republik. Sie auch?

Vrabl-Sanda: Gerade durch unsere Verfahren und den parallel dazu laufenden Untersuchungsausschuss sind sehr viele Geschehnisse in den Blick der Öffentlichkeit geraten, die viele vorher nicht vermutet hätten. Ich kann nur sagen, dass sich die WKStA, so gut sie kann, mit aller Kraft daran beteiligt, dass all dies aufgearbeitet wird.

STANDARD: Die WKStA: der Installateur, der den Wasserstand zum Sinken bringt?

Vrabl-Sanda: (lacht) Könnte man so sagen. (INTERVIEW: Renate Graber, Jakob Pflügl, 20.1.2023)