Lea Susemichel vom feministischen Magazin "an.schläge" schreibt in ihrem Gastkommentar über die laufende Debatte, ob man Werk und Person einfach trennen kann.

Rückblickend erscheinen die Diskussionen um Ulrich Seidls Film "Sparta" wie eine argumentative Aufwärmübung und Aufmunitionierung zum Fall Florian Teichtmeister. Unvermeidlich stellt sich nach dessen Anklage wegen des Besitzes von Darstellungen sexueller Gewalt gegen Kinder die Frage, wie nun mit dem Film "Corsage", der im Oscar-Rennen ist, umzugehen ist. Auch wenn die "Cancel-Culture"-Rufe deutlich verhaltener sind, sobald es um Gewalt gegen Kinder – und nicht "bloß" gegen Frauen – geht, wird auch diese Causa wieder genug Anlass bieten, um in den Feuilletons und sozialen Medien über die Freiheit der Kunst zu streiten. Wer dabei dafür plädiert, dass ein Werk ausschließlich nach seiner künstlerischen Qualität und nicht nach den moralischen Verfehlungen einzelner Beteiligter zu beurteilen sei, pocht nicht nur, wie bei Seidl, auf die Unschuldsvermutung (die natürlich gilt). Argumentiert wird vor allem mit der Trennung zwischen Werk und Person.

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Wie soll man mit "Corsage" umgehen? Die Causa Teichtmeister bringt nicht nur den Film ins Schlingern – die ganze Kulturbranche ist in der Ziehung.
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Und ja, selbstverständlich ist die Autonomie der Kunst eine wichtige Errungenschaft. Die Freiheit künstlerischer Kritik ist nicht zuletzt ein wichtiges demokratiepolitisches Korrektiv, das es unbedingt zu verteidigen gilt. Das führt nun zum vermeintlichen Paradox, dass es derzeit oft ausgerechnet Linke sind, die eine Beschränkung der Kunstfreiheit fordern, nachdem traditionell sie es waren, die für die Liberalisierung der Künste eintraten. Doch diese Freiheit ist eben nicht zu verwechseln mit einer Trennung zwischen Werk und Kunstschaffenden. Im Gegenteil: Parallel zur Autonomisierung der Kunst forderten die Avantgarden die Trennung von Kunst und Leben vehement heraus. Ihre Werke wurden gerade wegen ihrer Kunst und Leben verschmelzenden "Totalkunst" gefeiert. Trotzdem auf dieser Autonomie zu beharren widerspricht in diesen Fällen also nicht nur dem künstlerischen Selbstverständnis, sondern ignoriert auch, dass es die Basis ihrer kunsthistorischen Anerkennung bildet.

Ein Paradebeispiel dafür ist Otto Muehl, dessen noch lange nach seiner Verurteilung ausgestellte Aschebilder aus Tagebuchaufzeichnungen seiner Opfer bestehen. Die Tagebücher wurden von Muehl verbrannt, um Beweise von sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige, für die er später verurteilt wurde, zu vernichten.

Ideologisches Bollwerk

Im Falle Muehl wird sehr deutlich, wie die Verteidigung der Freiheit der Kunst leicht zum ideologischen Bollwerk wird, mit dem alle ethischen Ansprüche an künstlerisches Schaffen abgeschmettert werden sollen, die nicht direkt mit dem künstlerischen Endprodukt zu tun haben, selbst wenn der Künstler es dezidiert nicht darauf eingeschränkt sehen wollte.

Es geht hier keinesfalls um einen Vergleich der Vorwürfe und Delikte. Was diese Fälle aber eint, sind die nachfolgenden Diskussionen über Trennung zwischen Kunstschaffenden und deren Werk.

Auch Ulrich Seidls Anspruch ist es stets, mit seinen semidokumentarischen Arbeiten die Trennung von filmischer Fiktion und Realität herauszufordern. Wie also sollte in diesem Fall eine Rezeptionshaltung möglich sein, die vom Wissen um die mutmaßlichen Vorgänge am Set abstrahiert und den weinenden Kinderdarsteller trotz seiner erzwungen "authentischen" Reaktion unversehens als bloße Kunstfigur wahrnimmt?

Doch genau das wird in den aktuellen Diskussionen gefordert: Das ästhetische Urteil soll sich in der Tradition von Immanuel Kants interesselosem Wohlgefallen und auf der Basis rein kunstimmanenter Kriterien bilden. Diese Formalästhetik war jedoch historisch ein immer am männlichen Künstlergenie orientiertes Projekt weniger Privilegierter, das nicht nur jede Form von Alltagserfahrungen ausklammern wollte (und so nicht nur Frauen und ihre Lebensrealitäten ausschloss), sondern den "divino artista", den männlichen Künstlergott, auch buchstäblich über das Gesetz stellte. Der Gesetzes- und Tabubruch, das Sich-Hinwegsetzen über gesellschaftliche Konventionen wird entsprechend als geniale Pionierleistung gefeiert. Bis heute noch belohnt der Kunstmarkt das Enfant terrible – dessen Person dann plötzlich sehr viel mit ihren Arbeiten zu tun hat! – verlässlich mit mehr Marktwert.

Rolle und Person

Bei Spielfilmen wie "Corsage", mit klarer Trennung zwischen Rolle und Person des Schauspielers Teichtmeister, ist der Fall natürlich anders gelagert. Und ganz grundsätzlich stellt sich bei kollektiven Kunstformen wie Theaterinszenierungen oder Filmen immer die schwierige Frage, ob es legitim ist, alle Beteiligten in Sippenhaft zu nehmen, selbst wenn sie nicht wegen Vertuschung oder Verharmlosung zur Verantwortung zu ziehen sind.

Allerdings scheint das auch in diesen Fällen zu einem gewissen Grad unvermeidlich zu sein. Denn auch wenn das Werk, der Theorie vom "Tod des Autors" folgend, radikal von seinen Urheberinnen und Urhebern getrennt wird, stärkt das nur weiter die Definitionsmacht der Rezeption. Diese vollzieht sich aber eben nicht unabhängig davon, was über den Entstehungskontext bekannt ist und was wir persönlich für richtig oder falsch, für gut und böse halten.

All das beeinflusst die Wahrnehmung jeder künstlerischen Arbeit unausweichlich, egal ob es sich dabei um Musik von Michael Jackson, die Filme von Woody Allen oder die umstrittenen Mädchenakte von Balthus handelt. Das ästhetische Urteil ist vom moralischen nicht säuberlich zu trennen.

Der Wunsch, beides ordentlich auseinanderzuhalten und nicht immer neue komplizierte und jeweils wieder ein bisschen anders gelagerte Einzelfälle diskutieren zu müssen, ist verständlich. Durchaus nachvollziehbar auch, sich um den Kraftakt drücken zu wollen, mühsame Aushandlungsprozesse darüber zu führen, was Kunstkritik mit Gesellschaftskritik zu tun haben darf und soll. Aber genau das müssen wir unbedingt tun. (Lea Susemichel, 21.1.2023)