Google und KI: seit Jahren eng verbunden.

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"Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht mehr zu unterscheiden": Ein Zitat des britischen Science-Fiction-Schriftstellers Arthur C. Clarke, an das sich in den vergangenen Wochen wohl manche, die zum ersten Mal Chat GPT verwendeten, erinnert haben. Immerhin ist es schon verblüffend, was die Text-KI alles kann, wie sie glaubwürdig mit Menschen interagiert, wie breit ihr Wissen ist und welche Aufgaben man damit erledigen kann. Wer mit so etwas zum ersten Mal in Berührung kommt, für den mag sich das also schon magisch anfühlen – und das löst natürlich Begeisterung aus.

Hyper, Hyper

Eine Begeisterung, die den aktuellen Hype rund um dieses Thema gut erklärt, die aber auch einen unerfreulichen Nebeneffekt hat. Die Auguren der Techwelt fühlen sich derzeit offenbar dazu berufen, eine gewagte Prognose nach der anderen aufzustellen und sich dabei immer weiter zu überbieten. Dass jene, die an der Technologie forschen – darunter Chat-GPT-Hersteller Open AI selbst –, explizit vor zu hohen Erwartungen warnen und immer wieder auf die zahlreichen Beschränkungen und strukturellen Probleme großer Sprachmodelle, wie sie hinter solch einer künstlichen Intelligenz (KI) stehen, verweisen, scheint dabei nicht zu stören.

Ein Google-Killer?

Eine besonders beliebte Erzählung geht in etwa so: Chat GPT sei ein "Google-Killer", die Text-KI lasse aktuelle Suchmaschinen alt aussehen und werde diese schon bald ablösen. Immerhin ist das ein wesentlich natürlicherer Weg, Wissen vermittelt zu bekommen, als sich durch irgendwelche Websites zu klicken. Gerne wird das auch mit der Behauptung garniert, dass Google hier auf dem falschen Fuß erwischt wurde und dem nichts entgegenzusetzen habe.

Zum Aufwärmen ein paar Beispiele für eine – von mehreren – Bild-KI von Google. In diesem Fall handelt es sich um Imagen, das zum Teil auch schon Videos erstellen kann.
Screenshot: Redaktion

In der extremsten Ausformung wird dann gar schon einmal vom dräuenden Ende von Big Tech durch neue, auf künstlicher Intelligenz basierende Dienste fabuliert. Aussagen, die fraglos gute Schlagzeilen und nette Soundbytes ergeben – sie haben aber ein klitzekleines Problem: Sie sind schlicht Unsinn. Aber der Reihe nach.

Eine KI-Suchmaschine? Eine sehr schlechte Idee

Beginnen wir mit der untersten Ebene, dem angeblichen Ende für klassische Suchmaschinen, einer Prognose, die aus sehr simplen Gründen zumindest als "verfrüht" bezeichnet werden kann. Faktum ist, dass große Maschinenlernmodelle wie das hinter Chat GPT steckende GPT-3 dafür einfach nicht zuverlässig genug sind. Denn sie mögen in ihren Antworten zwar sehr überzeugend sein, aber eben auch oft überzeugend falsch – "Halluzinieren" wird dieses Phänomen in dem Kontext genannt.

Das mag jetzt in einer lockeren Konversation kein größeres Problem sein, immerhin kennt wohl jeder aus der eigenen Familie die eine oder andere Person, die regelmäßig im Brustton der Überzeugung faktisch Falsches von sich gibt. Für den Wissensgewinn ist das aber wenig förderlich. Da ist es entscheidend, möglichst zuverlässige Quellen zu haben – und am besten mehrere, bei denen man auch noch überprüfen kann, woher dieses Wissen stammt.

Stromverbrauch

Ein zweiter Grund, um zumindest gewisse Zweifel am Schwanengesang der Suchmaschinen zu hegen: Dienste wie Chat GPT brauchen derzeit extrem viel Rechenkraft – und haben damit auch einen massiven Stromverbrauch. Dass Chat GPT überhaupt öffentlich zum Test gestellt werden kann, liegt daran, dass hier Microsoft indirekt die Kosten abfängt und seine Cloud-Plattform Azure zur Verfügung stellt.

Trotzdem sprechen wir hier von Millionenkosten, die selbst in der sehr limitierten aktuellen Testphase entstehen. Damit eine Suchmaschine komplett zu ersetzen dürfte noch auf längere Sicht eine finanziell nicht tragbare Strategie darstellen.

Eine Text-KI wie Chat GPT zu trainieren und zu betreiben braucht sehr viel Rechenkraft.
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Aber war da nicht etwas mit Microsoft?

Wie passt dazu nun, dass Microsoft angekündigt hat, Chat GPT schon bald in die eigene Suchmaschine Bing integrieren zu wollen? Nun, einerseits ist das natürlich aus einer Publicity-Sicht kein schlechter Schachzug, um Aufmerksamkeit für ein Produkt zu bekommen, das seit Ewigkeiten auf eine sehr überschaubare Gegenliebe bei den Nutzern stößt. Da mag es sich durchaus auszahlen, Verluste in Kauf zu nehmen.

Vor allem aber muss sich auch erst zeigen, was das dann in der Praxis bedeutet, also in welcher Form Chat GPT eingebunden wird. Ein kompletter Ersatz ist eher unwahrscheinlich, ein Knopf, um den Dienst optional zu befragen – wie es über diverse Browsererweiterungen schon jetzt mit anderen Suchmaschinen möglich ist –, erscheint realistischer. Im Endeffekt wird sich das aber natürlich erst zeigen.

Natürlich ändert das vieles

Das soll nicht heißen, dass Text-KIs wie Chat GPT keine Auswirkungen auf Suchmaschinen oder gar die Art, wie wir alle Wissen konsumieren, haben werden. Natürlich wird sich in dieser Hinsicht in den kommenden Jahren viel ändern. Aber es wird nicht den "Hier ist eine neue Technologie, die ersetzt jetzt einmal schnell Google"-Moment geben, sondern eine kontinuierliche Transformation solcher Produkte – und einzelne Aufgaben, die auf anderem Weg übernommen werden.

Genau so sieht das übrigens auch einer, der es wissen muss: Open-AI-Boss Sam Altman glaubt nämlich nicht an eine dramatische Veränderung von Suchmaschinen durch Chat GPT. Natürlich werde es in diesem Bereich zu Veränderungen kommen, aber sicher nicht so dramatisch, wie viele glauben, und schon gar nicht in naher Zukunft, betonte er unlängst in einem Interview mit "Strictly VC".

Mit Prognosen, dass Chat GPT ganz konkret Google erledigen wird, kann Altman übrigens dann gleich gar nichts mehr anfangen. "Wenn jemand prognostiziert, dass eine neue Technologie das Ende eines riesigen Unternehmens ist, hat er üblicherweise Unrecht", formuliert es der Open-AI-Gründer. Zumal hier das Gegenüber extrem smart und kompetent sei und natürlich darauf reagieren könne.

Nichts steht still

Was dabei auch nicht vergessen werden sollte: Eine moderne Suchmaschine befindet sich immer in einem steten Umbruch. Das, was heutzutage als Google angeboten wird, hat mit dem Produkt von vor zwanzig Jahren herzlich wenig zu tun. Google ist heutzutage eigentlich keine Such-, sondern eine Wissensmaschine, eine Seite, die immer öfter direkte Antworten gibt, anstatt eine gewichtete Liste an Links zu bieten, wie es früher einmal im Vordergrund stand.

Die Google-Suche und KI

Schon jetzt kommt bei der Google-Suche im Hintergrund jede Menge künstliche Intelligenz zum Einsatz – und zwar seit Jahren. Bereits im Jahr 2015 führte Google Rankbrain ein, um Anfragen besser zu verstehen, sie mit Konzepten aus der echten Welt zu verbinden und so die Relevanz der Ergebnisse zu verbessern.

Über die Jahre hielt dann eine Fülle von anderen KI-Technologien Einzug. Seit 2019 wird etwa BERT genutzt, um Anfragen in natürlicher Sprache besser zu verstehen. Ähnliches ist ein wichtiger Bestandteil von Text-KIs wie Chat GPT. Der aktuellste Neuzugang ist das Multitask Unified Model (MUM), das das Verständnis von Inhalten auf mehrere Sprachen sowie auch ganz andere Kategorien wie Bild oder Video übertragen kann.

Künstliche Intelligenz ist nicht neu bei Google

Eigentlich sollte hier schon klar sein, dass der Spin, Google im Speziellen sei auf so etwas wie Chat GPT nicht vorbereitet, nicht haltbar ist. Wer die Entwicklung rund um künstliche Intelligenz in den vergangenen Jahren auch nur kursorisch verfolgt hat, der weiß: Google ist nicht nur bestens vorbereitet, das Unternehmen hat auch selbst viele der Grundlagen in diesem Bereich geschaffen und forscht weiter eifrig daran.

Zur Erinnerung für alle, die es schon wieder vergessen haben: Deepmind ist jene Firma, die vor einigen Jahren mit Alpha Go die besten Go-Spieler der Welt besiegte, was lange für unmöglich gehalten worden war.
Foto: Google

Verantwortlich dafür ist ein Kauf, der als einer der besten in die IT-Geschichte eingehen könnte: Bereits im Jahr 2014 hat Google die KI-Firma Deepmind übernommen, und zwar für einen Preis von 650 Millionen US-Dollar. In der Nachbetrachtung geradezu ein Schnäppchen. Microsoft dürfte das – trotzdem sehr schlau gewählte – Investment bei Open AI jedenfalls erheblich teurer zu stehen kommen. Doch Deepmind ist nicht einmal Googles – oder genauer: Alphabets – einzige KI-Abteilung, im Rahmen von Google Research gibt es noch jede Menge andere Initiativen.

Ein Vorreiter

Vor allem aber sind das bei Google eben nicht bloß Experimente, KI kommt bei dem Softwarehersteller bereits an vielen Stellen zum Einsatz. Ob die Fotografiefähigkeiten eines modernen Smartphone oder auch Spracheingabe – all das wären ohne jenes Maschinenlernen, das heutzutage landläufig als künstliche Intelligenz bezeichnet wird, nicht möglich. Das gilt natürlich auch für andere Hersteller, Google ist hier aber fraglos ein Vorreiter.

Die strategische Wichtigkeit des Themas hat das Unternehmen dabei früh erkannt, bereits im Jahr 2015 verkündete Google-Chef Sundar Pichai, dass "Mobile First" – also der Fokus auf mobile Plattformen – durch "AI First" abgelöst werden soll, künstliche Intelligenz also künftig im Zentrum steht. Seitdem gab es kaum irgendwelche größeren Ankündigungen der Firma, bei denen Maschinenlernen nicht eine zentrale Rolle spielte.

GLaM, LaMDA und PaLM

Nun könnte man natürlich sagen, dass große Sprachmodelle im Allgemeinen und Chat GPT im Speziellen noch einmal etwa anderes sind. Doch auch in diesem Bereich ist Google äußerst umtriebig. Mit der Veröffentlichung der Transformer-Architektur schuf man einen wichtigen Baustein für die Verarbeitung natürlicher Sprache, der auch für GPT-3 und Co essentiell ist. Mit GLaM, LaMDA und zuletzt PaLM hat man über die Jahre mehrere große Sprachmodelle veröffentlicht, die in ihren Fähigkeiten GPT-3 sehr ähnlich sind – potenziell sogar noch besser.

Zur Erinnerung: All das funktioniert mittlerweile so gut, dass sich ein – mittlerweile ehemaliger – Google-Mitarbeiter sogar zu der ziemlich gewagten Behauptung aufschwang, dass LaMDA ein Bewusstsein erlangt hätte. Das wurde damals zwar ausführlich diskutiert, scheinen in den vergangenen Monaten aber viele bereits wieder vergessen zu haben.

Ein Beispiel für eine Konversation mit Sparrow, einer – bislang unveröffentlichten – Text-KI von Deepmind.
Grafik: Deepmind

Auch was konkrete Produkte anbelangt, ist man auf all das vorbereitet. So hat etwa Google in den vergangenen Monaten gleich mehrere Bild-KIs präsentiert, die sehr ähnliche Fähigkeiten wie Midjourney, Stable Diffusion und wie sie alles heißen, haben und mit Videofähigkeiten zum Teil sogar weiter gehen. Unter dem Namen "Sparrow" arbeitet Deepmind zudem gerade an einem Chat-GPT-ähnlichen Programm.

Zurückhaltung

Der entscheidende Unterschied: Bisher hat Google nichts von diesen fertigen Tools öffentlich zugänglich gemacht. Der Grund dafür ist recht simpel: Man ist nicht davon überzeugt, dass die Zeit schon gekommen ist, sowohl in Hinblick auf die Effizienz und vor allem auf die Zuverlässigkeit der Ergebnisse.

Zumal für ein großes Unternehmen wie Google so etwas auch mit ganz anderen Risiken verbunden ist. Würde ein Google-Wissens-Bot komplett falsche Ergebnisse liefern, wäre dies schnell Anlass für öffentliche Kritik. Bei einem – mehr oder weniger – Newcomer wird das ganz anders wahrgenommen, die Toleranzschwelle gegenüber Fehlern ist einfach höher. Die ganze Branche erinnert sich noch mit Grauen daran, als sich vor einigen Jahren ein Microsoft-Chatbot namens Tay innerhalb kürzester Zeit in ein "rassistisches Arschloch" verwandelte, wie es "The Verge" damals trefflich formulierte.

Eine Frage des Risikos

Dazu kommt, dass Google auch finanziell mehr zu verlieren hat. Ob sich rund um Dienste wie Chat GPT je ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickeln kann, ist unklar. So etwas mit Werbung zu spicken, würde wohl auf wenig Gegenliebe stoßen. Hier zu schnell vorzugehen, wäre also auch wirtschaftlich riskant – zumal eben die Kosten massiv sind.

All das hat zur Folge, dass Google bisher bei großen Sprachmodellen vor allem auf die Verbesserung der Basistechnologie, der grundlegenden Konzepte, fokussiert. Alle paar Monate gibt es halt einmal eine beeindruckende Techdemo zu sehen, mehr aber schon nicht.

Google muss und wird

Zumindest das dürfte sich nun ändern. Der aktuelle Hype um Chat GPT zwingt Google, seine Karten ein Stück weit offenzulegen. Zu groß ist das Risiko, dass ein Mitbewerber einen zeitlichen Vorsprung bei vielleicht irgendwann auch einmal kommerziell relevanten Produkten erarbeitet, zu hoch die Gefahr, dass Entwickler andere Plattformen spannender finden und es in der Folge auch schwerer wird, das Talent am Arbeitsmarkt für eine Karriere bei Google zu begeistern.

Genau das dürfte denn auch der Grund sein, warum bei Google intern laut einem Bericht der "New York Times" unlängst "Code Red" ausgelöst wurde. Nicht weil man glaubt, dass Chat GPT das Ende des eigenen Geschäfts darstellt, sondern weil man auf den aktuellen Hype konkret reagieren und so auch die bisherige Strategie anpassen muss.

Ein Beispiel für Deepfix, eine auf PaLM basierende KI von Google, die falschen Code bereinigen kann.
Grafik: Google

Insofern darf also davon ausgegangen werden, dass in den kommenden Monaten einige ähnliche Dienste von Google vorgestellt werden und auch sonst künstliche Intelligenz in der Entwicklung noch weiter in den Vordergrund gestellt wird. Einen kompletten Umbruch bei der Suchmaschine sollte man hingegen besser nicht erwarten – und das ist aus Qualitätsperspektive auch gut so.

Big Tech jubelt über den KI-Trend

Doch selbst wenn neue KI-Dienste nach und nach am Erfolg der Google-Suche knabbern würden, darf noch ein anderer Umstand nicht vergessen werden. Diese riesigen Sprachmodelle brauchen – wie bereits kurz erwähnt – massive Rechenkapazitäten. Nicht nur in der Nutzung, sondern vor allem auch im Training. Und genau diese gibt es nur bei einer Handvoll von Firmen.

Der Trend zu solch komplexen KI-Anwendungen ist also keine Bedrohung für Big Tech, ganz im Gegenteil ist sie für diese ein echter Glücksfall, der ihre Dominanz noch weiter stärken wird. Wer sich heutzutage mit dem Thema beschäftigt, kommt realistisch kaum an den großen Clouds von Amazon, Microsoft und eben auch Google vorbei, die natürlich längst maßgeschneiderte Produkte für den KI-Einsatz im Angebot haben.

Ein Risiko gibt es immer

All das soll übrigens nicht heißen, dass Entwicklungen wie Chat GPT kein Risiko für Firmen wie Google darstellen, das tun sie natürlich. Aber halt so wie jeder relevante technische Fortschritt, jedes neue Tool, jede neue Art, Aufgaben zu erledigen oder Wissen zu sammeln. Jede dominante Firma ist genau so lange unangreifbar, bis sie es eben irgendwann nicht mehr ist. Angesichts der realen Situation ausgerechnet Chat GPT für einen Google- oder gar Big-Tech-Killer zu halten ist aber eine reichlich gewagte Prognose. (Andreas Proschofsky, 22.1.2023)