Corona ist gekommen, um zu bleiben. Zwar ist es nicht mehr so akut gefährlich, aber es beschäftigt uns weiterhin.

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Christian Drosten sieht die Pandemie in eine endemische Welle übergehen, und auch hierzulande teilen Expertinnen und Experten diese Ansicht. Das bringt viel Erleichterung für Alltag und Psyche, doch nicht alle können den kommenden Monaten ganz gelassen entgegensehen. Denn Sars-CoV-2 verschwindet nicht mehr und reiht sich als Virusinfektion mit potenziell schwerem Verlauf neben Influenza ein. Vor allem für Vulnerable ist weiter Vorsicht angesagt, und auch Long Covid wird bleiben.

Und es gibt auch noch viele offene Fragen: Wie impfen wir weiter? Wie entwickelt sich unser Immunschutz? Wie verändert sich die Behandlung? Wie gehen wir als Gesellschaft mit körperlichen und psychischen Langzeitfolgen um? Welche wissenschaftlichen Aspekte werden künftig relevant? Ein Überblick.

Infektiologie: Klares Impfschema entwickeln, Ältere antiviral behandeln

Die Impfungen haben alles verändert. Vor allem durch diese habe sich die Mortalität von 4,5 Prozent zu Beginn der Pandemie auf nun circa 0,5 Prozent gesenkt, betont Infektiologe Christoph Spinner vom Klinikum der Technischen Universität München. Mittlerweile sei Sars-CoV-2 nur noch der viert- oder fünfthäufigste Erreger von Atemwegserkrankungen. "Es bleibt aber eine saisonale Erkrankung, die vor allem Ältere und chronisch Kranke auch in Zukunft gefährden wird. Diese Vulnerablen werden eine jährliche Auffrischungsimpfung brauchen.

Generell gehe es jetzt um die Entwicklung allgemeiner Impfempfehlungen, sagt Julian Schulze zur Wiesch, Infektiologe an der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf. Es gilt zu klären, wie viele Impfungen für eine langjährige Grundimmunisierung tatsächlich nötig sind und ob eine Infektion wie eine Impfung zu werten sei. Und er betont, dass "Ältere mit besonderen Risikofaktoren früher eine antivirale Therapie bekommen sollen".

Infektionsmedizinerin Clara Lehmann von der Uni-Klinik Köln weist außerdem darauf hin, "dass es sehr wahrscheinlich zu erneutem Überspringen eines Virus aus dem Tierreich auf den Menschen kommen wird". Denn der Klimawandel, die rasche Verstädterung und die Abholzung der Wälder lassen uns näher aneinanderrücken, das erhöht die Gefahr.

Immunologie: Keine Schleimhautimmunität, aber stabile Antikörpertiter

Die Immunität gegen schwere Krankheitsverläufe sollte aufrecht bleiben, ohne ständig aufgefrischt werden zu müssen – wenn man nicht zur vulnerablen Gruppe gehört. Das erwartet Andreas Radbruch, Rheumatologe am Deutschen Rheumaforschungszentrum Berlin. Denn nach Infektionen mit Sars-CoV-1 sind die Antikörpertiter seit mittlerweile 17 Jahren stabil. "Der Schutz vor Infektionen wird aber wohl so schlecht bleiben, wie er derzeit ist." Ob nasale Impfstoffe das ändern könnten, sei fraglich.

Dass das Immunsystem durch Corona langfristigen Schaden genommen haben könnte, befürchtet Christine Falk, Transplantationsimmunologin an der Med-Uni Hannover, nicht – auch wenn derzeit besonders viele krank sind. "Das Immunsystem ist nicht eingeschlafen, aber es war lokal weniger aktiv. Das muss jetzt aufgefrischt werden. Das ist lästig, aber kein Grund zur Sorge, dass die Immunkompetenz generell beeinträchtigt ist." Und sie betont, dass die in der Pandemie gelernten Maßnahmen wie Lüften und Händewaschen weiter wichtig bleiben.

Ein großes Problem bleibt Long Covid, für das es (noch) keine klare Behandlung gibt. Carmen Scheibenbogen, Immunologin und Fatigue-Expertin an der Charité Berlin, regt deshalb an, bereits verfügbare Medikamente, die dafür infrage kommen könnten, rasch für kurative Therapieansätze in klinischen Studien zu prüfen.

Mikrobiologie: Derzeit keine Gefahr, Möglichkeit neuer Varianten bleibt

Auch wenn die Pandemie hierzulande dem Ende entgegengeht, ist sie weltweit noch ein sehr relevantes Problem. Denn außerhalb von Europa und Nordamerika sind die Impfquoten viel zu niedrig, und auch der genaue Status der durch Infektion erworbenen Immunität ist unklar, betont Christian Bogdan, klinischer Mikrobiologe an der Uni-Klinik Erlangen. Das könnte auch die Entstehung neuer Varianten befördern. Derzeit sieht es nicht danach aus, dass sich wieder eine gefährlichere Variante etabliert. Auch die XBB.1.5-Variante, die aktuell in den USA dominant ist und sich auch hier zunehmend ausbreitet, scheint nicht zu schwereren Verläufen zu führen, sie ist nur besonders ansteckend. Doch man kann nicht mit Sicherheit sagen, ob das auch so bleibt. Bogdan plädiert deshalb mittelfristig für Impfstoffe, die auf konstanten bzw. wenig veränderlichen Strukturkomponenten von Sars-CoV-2 beruhen.

Dafür sei weitere immunologische Grundlagenforschung nötig, um etwa Biomarker zu identifizieren und festzulegen, die die Virusübertragung über die Atemwege blockieren, sagt Christine Dahlken vom Institut für Infektionsforschung und Impfstoffentwicklung an der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf. "Für dieses Vorhaben ist eine enge Zusammenarbeit von Forschenden aus der ganzen Welt und aus verschiedenen Bereichen nötig."

Neurologie: Impfschutz gegen Long Covid, offene Fragen bei Demenz

Die Impfung schützt nicht nur vor akut schweren Verläufen, sondern auch gut vor Long Covid, diese Erkenntnis scheint durch Studien immer gesicherter. Das ist umso wichtiger, da mittlerweile klar ist, dass auch die etwas mildere Omikron-Variante zu ähnlich vielen Langzeitfolgen führt wie frühere Varianten. "Unklar ist derzeit noch, ob die akute medikamentöse Behandlung auch vor Langzeitfolgen schützen kann", sagt Peter Berlit, Neurologe und Mitautor der deutschen Leitlinie für Long Covid. Er betont außerdem, dass es jetzt darum geht, Biomarker zu definieren, die eine saubere Zuordnung der einzelnen Long-Covid-Beschwerden ermöglichen. Die Erarbeitung und wissenschaftliche Überprüfung von Therapieoptionen wird die Hauptaufgabe der kommenden Monate und Jahre bleiben.

Was die Pandemie für die Entwicklung und den Verlauf neurodegenerativer Erkrankungen bedeutet, können erst die kommenden Jahre zeigen. Bisher weiß man, dass eine Corona-Infektion bei älteren Patienten mit Erkrankungen wie Demenz das Gehirn besonders stark altern lässt. Schwere virale Infektionen stehen bereits seit längerem im Verdacht, diese zu verstärken. "Die Corona-Pandemie hat diese Forschungsfrage noch einmal deutlich befeuert", weiß Paul Lingor, Neurologe am Klinikum der Technischen Universität München.

Psyche: Psychische Stabilisierung der Jungen nach der Pandemie

Kinder und Jugendliche haben während der Pandemie durch die Kontaktbeschränkungen besonders gelitten. Die Lebenszufriedenheit sank drastisch, psychische Auffälligkeiten nahmen massiv zu. "Unsere Befragungen zeigen, dass die Jungen psychisch wieder stabiler sind, seit sie ihren Alltag mit Schule und Hobbys wieder normal leben können", weiß Ulrike Ravens-Sieberer, Psychologin an der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf. Die Lebenszufriedenheit der jüngeren Generation ist jedoch noch nicht wieder auf dem Niveau wie vor Corona, jedes vierte Kind leidet unter psychischen Auffälligkeiten. Das äußerst sich unter anderem durch wiederkehrende Kopf- oder Bauchschmerzen. Dass die Erholung nicht so schnell passiert, wie es wünschenswert wäre, liegt auch an neuen Krisen wie etwa dem Krieg in der Ukraine, der hohen Inflation und natürlich der Klimakrise.

Lösungsansätze sind Resilienztraining im Unterricht, pädagogische und psychologische Weiterbildung für Lehrkräfte und schulpsychologische Beratung, um bei kleinen Problemen rasch zu unterstützen – bevor sie groß werden. Dabei spielt auch die Familie eine wichtige Rolle: "Eine gute innerfamiliäre Bindung ist eine wichtige Ressource", weiß Clara Jacobi von der Forschungsgruppe Angewandte Medizinische Psychologie an der Uni-Klinik Dresden. Sie betont außerdem die Relevanz von digitalen Kommunikationskanälen, vor allem für Jugendliche aus marginalisierten Gruppen wie der LGBTQI+-Community. (Pia Kruckenhauser, 23.1.2023)