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Dirigentinnen, die das Tempo und den Charakter einer Interpretation bestimmen: Es ist noch immer ein seltenes Bild bei Orchestern.

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Die Stimmung war walzerselig, bis die Pressekonferenz zum Neujahrskonzert in die Frage mündete, wann denn endlich eine Frau diesen Event dirigieren würde. Eher unverbindlich meinte Orchestervorstand Daniel Froschauer, es würde passieren, "wenn es so weit ist". Danach schilderte Dirigent Franz Welser-Möst, wie schwer dieses Konzert sei, wie viel Musikzeit man mit diesem Orchester erst erlebt haben müsse, um dieses schwerste aller Konzerte zu bewältigen. Das war nicht falsch, aber im unangebracht genervten Tonfall vorgetragen. Warum Dirigentinnen nicht die Chance bekämen, mehr philharmonische Erfahrungen zu sammeln, blieb zum Überfluss auch noch gänzlich unbeantwortet.

Die Wiener Grünen hatten mitgehört und konstatierten bei den Herren "Misogynie und Unwissenheit über die Situation von Musikerinnen". Ein Blick auf das Programm der kommenden Salzburger Festspiele hätte die Partei wohl zu ähnlichen Aussagen bewogen. Keine Frau am Pult einer Opernproduktion, auch keine Regisseurin. Einzig im Konzertbereich leitet Elim Chan das ORF-RSO Wien. Wie das?

Intendant Markus Hinterhäuser wehrt sich gegen Vorwürfe, das Thema nicht ernst zu nehmen. "Es ist wichtig, ich bin sehr dafür, dass man es bei der Programmierung berücksichtigt und mitdenkt. Aber ich bin kein Freund von Quoten und Reglementierungen und schon gar nicht von Ideologien." Man könne auch nicht mit "einem Fingerschnipp" alle Defizite der Vergangenheit ausgleichen. "Es dauert. Das wird alles kommen, die Entwicklung ist klar."

Richtiger Umgang

In letzter Konsequenz gehe es aber auch immer um Qualität. "Man ist ja nicht automatisch gut oder gar besser, weil man ein Mann ist, und auch nicht, weil man eine Frau ist", so Hinterhäuser. Teams für Opernproduktionen zusammenzustellen sei eine vielschichtige Angelegenheit mit außerordentlich langen Vorlaufzeiten: "Allein so entstehen Beschränkungen, mit diesem Thema nicht nur großzügiger, sondern auch richtiger umzugehen."

War es Zufall, dass es heuer keine Regisseurin im Opernbereich gibt? "Nennen Sie es, wie Sie wollen. 2024 wird man – sollte man ein arithmetisches Bedürfnis haben – zu einem anderen Resultat kommen. Es wird – und ich bin da gar nicht stolz drauf, ich finde das ganz normal – eine große Opernproduktion mit einer Regisseurin geben und eine zweite Opernproduktion mit einer Dirigentin."

Was bisher geschah

Der Intendant verweist auf Bisheriges: Es seien in Salzburg Dirigentinnen wie Joana Mallwitz, Marin Alsop, Laurence Equilbey oder Mirga Gražinytė-Tyla aufgetreten. Im Regiebereich hätten Shirin Neshat und Lydia Steier reüssiert. "Und wenn es um diesen Sommer geht: Die jetzige sowie auch die neue Theaterleitung sind weiblich. Im Schauspielbereich sind drei von fünf Produktionen Regisseurinnen anvertraut, und ähnlich verhält es sich im Jugendprogramm. Auch wenn ich das im Detail nicht geplant habe, bin ich damit als Intendant, als Gesamtverantwortlicher mehr als einverstanden."

Bis zum Engagement machen Frauen aber so ihre Erfahrungen: "Ich wünschte, ich könnte sagen, dass das Geschlecht keine Rolle mehr spielt", sagt Ángela Valera Casanova, die zum Fagottstudium nach Wien kam. "Mein Lehrer, ein Philharmoniker, hat mir gesagt, dass das Orchester kein Platz für Frauen ist." Die Spanierin blieb unbeirrt. Sie schloss ihr Studium ab, arbeitete als Fagottistin, ehe sie die Aufnahmeprüfung für Dirigieren absolvierte und als einzige Frau aufgenommen wurde. "Oft sagen mir Musiker, wie sehr sie sich freuen, endlich von einer Frau dirigiert zu werden. Das zeigt, wie wenig selbstverständlich es noch ist."

Was soll ich anziehen?

Ein wichtiges Thema ist auch die eigene Körperlichkeit, so Hannah Eisendle, die gerade ihren Master macht und auch als Komponistin erfolgreich ist. "Dazu gehören das Aussehen, die Körpersprache und die Führungsmethoden. Als Dirigentin muss ich mir ständig die Frage stellen, wie ich mit meinem Frausein umgehe, was ich anziehe und wie ich mich präsentiere." Natürlich gibt es Unterschiede, so Casanova. "Wir haben einen anderen Körper, bewegen uns anders, drücken uns anders aus als Männer."

Dabei schwirrt immer noch das Klischee vom starken Maestro herum, während Weiblichkeit mit Sensibilität assoziiert wird. "Damit sich das ändert, müssen sich auch unsere Sehgewohnheiten ändern." Die wichtigste Lektion in Sachen Frauen am Pult hat Eisendle in einer Meisterklasse mit RSO-Wien-Chefin Marin Alsop gelernt: "Sei nicht süß!"

Frauen in Führungspositionen

Dem wird auch Sian Edwards zustimmen. Die 1959 geborene Britin und Leiterin der Abteilung für Dirigieren an der Royal Academy of Music ist seit 2022 die überhaupt erste Dirigierprofessorin der Musik-Uni Wien. Drei ihrer vier Studierenden sind Frauen. Der Mangel an international erfolgreichen Dirigentinnen sei für sie ein gesellschaftliches und kein rein musikalisches Problem: "Es geht nicht nur darum, Chefdirigentin zu sein, sondern überhaupt Frauen in Führungspositionen zu sehen."

Es gibt sie: Simone Young, Susanna Mälkki, Julia Jones oder Marin Alsop sind lange im Geschäft. Oksana Lyniv, Kristiina Poska, Mirga Gražinytė-Tyla, Joanna Mallwitz, Giedrė Šlekytė, Speranza Scapucci Alondra de la Parra, Marie Jacquot, Eun Sun Kim, Elim Chan oder Mei-Ann Chen rücken nach. So stehen, trotz der Hindernisse, alle Zeichen auf eine Zeitenwende, ist Edwards überzeugt. "Heute gibt es eine ganze Generation an weiblichen Vorbildern für angehende Dirigentinnen."

Braucht es Quoten?

Wichtig sind auch verbesserte Rahmenstrukturen. Edwards etwa leitet das Sorrell Women Conductors Programme. Es betrifft Frauen, die sich für einen Masterstudiengang in Orchesterdirigieren bewerben und ihre musikalisch-technischen Fähigkeiten perfektionieren wollen.

Brauchte es, um den Gender-Gap effizienter zu überbrücken, nicht doch Quoten? Die Wiener Grünen fordern, Kulturförderungen an eine solche zu koppeln. "Wien fördert das Sommernachtskonzert der Philharmoniker jährlich mit 200.000 Euro. Seit 19 Jahren gab es aber keine Dirigentin und nur vier Solistinnen", sagt Kultursprecherin Ursula Berner. Sian Edwards ist skeptisch, ob Zwang hilft: "Das Letzte, was ein Musiker will, ist das Gefühl, gezwungen worden zu sein. Schließlich geht es darum, mit Menschen Musik zu schaffen." Mit Quoten tut sich auch Ángela Valera Casanova schwer. "Ich will engagiert werden, weil ich eine gute Dirigentin bin, und nicht, weil ich eine Frau bin."

Der gebührende Platz

Klangforum-Intendant Peter Paul Kainrath plädiert grundsätzlich für das Schaffen von Gelegenheiten. "Kunstschaffende formt Bühnenerfahrung. Hier sind wir verpflichtet, mit Nachdruck Gelegenheit herzustellen. Das Klangforum ist klein genug, um jenseits von Quote danach zu trachten, selbstverständlicher Weise Frauen den ihnen gebührenden Platz zu garantieren, sprich einen sehr großen. Wir haben eben erst sehr gerne mit Elena Schwarz, Katharina Wincor und Claire Levacher gearbeitet."

Dort, wo die Philharmoniker das Neujahrskonzert abhalten, im Musikverein, tut sich was. "Wir haben uns entschieden, das Engagement von Dirigentinnen zentral im Programm zu verankern", sagt Intendant Stephan Pauly. Von den Künstler- und Künstlerinnenporträts, "die wir jede Saison machen, ist eines selbstverständlich immer einer Dirigentin gewidmet, etwa Mirga Gražinytė-Tyla oder Joana Mallwitz".

Man ist im Gespräch

Und Philharmonikervorstand Daniel Froschauer? Er meint, er sei bei der Neujahrskonzert-PK missverstanden worden. "Selbstverständlich wollen wir mit Dirigentinnen zusammenarbeiten und haben dies auch in der Vergangenheit gemacht. Wir suchen, erkundigen uns, wer infrage käme, und führen mit Dirigentinnen und Veranstaltern konkrete Gespräche. Allerdings wollen wir über künftige Entscheidungsprozesse und Namen noch nicht öffentlich sprechen. Weltweit betrachtet gibt es leider noch wenige Orchester, die von einer Dirigentin geleitet werden. Aber man merkt positive Entwicklungen, immer mehr Dirigentinnen bekommen auch Chefpositionen."

Was können die Philharmoniker tun, um Beziehungen zu Dirigentinnen aufzubauen? Kainrath will keine Ratschläge erteilen. Sicher gehe es dabei auch um Haltung. "Es gibt jene, die sich nur mit Etabliertem befassen, und andere, die Wagnisse eingehen und Vorreiter sind."

Es sollten schneller mehr werden. Laut Orchestervereinigung Unisono werden nur vier der 129 deutschen Berufsorchester von Frauen geleitet. Der Anteil der Absolventinnen im Dirigierfach ist jedoch höher, er liegt bei etwa 25 Prozent. (Miriam Damev, Ljubiša Tošic, 22.1.2023)