Christian Fuchs im Jahr 2021 als Spieler von Leicester City. In seiner letzten Saison in England holte er den FA-Cup, 2016 wurde er Meister.

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Anfang Jänner gab Christian Fuchs mit 36 Jahren in Charlotte, North Carolina, seinen Rücktritt als Fußballprofi bekannt. Der linke Außenverteidiger diente Mattersburg (ab 2003), Bochum (ab 2008), Mainz (ab 2010), Schalke (ab 2011), Leicester City (ab 2015) und zuletzt seit 2021 Charlotte. Von 2006 bis 2016 spielte er 78-mal fürs österreichische Team (ein Tor), 37-mal war er Kapitän. Der Vater von drei Kindern lebt in den USA. "Ich denke englisch, mittlerweile fallen mir Worte auf Deutsch nicht mehr ein. Aber wir schaffen das Gespräch."

STANDARD: Wenn Sie in 30 Jahren Ihr derzeit noch theoretisches Enkelkind fragt: "Opa, wie war das als Fußballer?" – wie lautet die Antwort?

Fuchs: Es war die beste Zeit meines Lebens. Anstrengend, mit allen Höhen und Tiefen, aber wunderbar. Ich werde übrigens in 30 Jahren immer noch im Fußballbusiness sein.

STANDARD: War der Entschluss aufzuhören ein längerer Prozess oder eine spontane Entscheidung?

Fuchs: Es war definitiv ein längerer Prozess, das passiert nicht von heute auf morgen. Ich war neunzehneinhalb Jahre Profi, mein Ziel waren eigentlich 20. Aber Trainer Christian Lattanzio hat mir schon vergangene Saison gesagt, er hätte mich gerne im Trainerstab. Jetzt hat er nachgebohrt. Ich war im Wiglwogl. Letztlich war die Option, in Charlotte zu bleiben, etwas aufzubauen, zu gut.

STANDARD: Ist es schwergefallen, loszulassen?

Fuchs: Nein. Ich mache ja weiter, was mir Spaß macht. Ich gehe nur über ins Trainergeschäft. Ich habe keine Wartezeit zwischen Pension und neuem Job, ich verspüre weder Trauer noch Wehmut. Ich bin jeden Tag auf dem Fußballplatz, kicke die Kugel öfter als zuvor. Das Schöne ist, dass das Laufen für mich wegfällt. Ich kann den Spielern beim Herumhirschen zuschauen.

STANDARD: Ihre Karriere war ja fast kitschig, eine Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär. Steckte da ein Plan dahinter, oder haben sich die Dinge einfach ergeben?

Fuchs: Man hat ein gewisses Ziel. Ich wollte zunächst Profi werden, dann den Sprung ins Ausland schaffen und etwas gewinnen. Titel kannst du nicht vorprogrammieren. Dinge passieren, Ziele können sich verschieben. Ich wollte das Bestmögliche. Dass ich dann mit Leicester City englischer Meister wurde, war die Krönung. Ich war immer offen für Neues. Wenn ich eine mir unbekannte Speise nicht probiere, werde ich nie erfahren, ob sie grauslich oder gut schmeckt. Das gilt für alles.

STANDARD: Charlottes Sportdirektor hat gesagt, Sie haben ein unglaubliches Vermächtnis hinterlassen. Wie lautet es?

Fuchs: Ich war immer ich selbst, kommunizierte offen mit dem Verein, den Fans. Ich war kein Egomane, kein Selbstdarsteller, habe das Bodenständige behalten. Ich nehme mir Zeit für die Menschen. Die Fans sparen Geld für eine Eintrittskarte, sie haben das Recht, mit dir in Kontakt zu treten. Es schadet nicht, ihnen ein paar Minuten zu geben.

STANDARD: Sie waren bei all Ihren Stationen Führungsspieler, oft Kapitän. Ist das eine Charaktereigenschaft, oder muss man es erarbeiten?

Fuchs: Es ist Arbeit. Kapitän ist einer, der die Mannschaft zusammenbringt. Der klarmacht: Wenn es wehtut, gehen wir weiter. Er muss motivieren, sprechen und zuhören.

STANDARD: Machen wir einen Wordrap. Bitte um ein, zwei Gedanken zu Ihren Vereinen.

Fuchs: Das ist schwierig.

STANDARD: Aber lösbar. Beginnen wir mit Mattersburg.

Fuchs: Heimat, der Klub gab mir die Chance. Da ist viel Dankbarkeit dabei. Es macht mich traurig, dass es Mattersburg nicht mehr gibt.

STANDARD: Bochum

Fuchs: Interessant, harte Arbeit, trotz Abstieg eine gute Erfahrung.

STANDARD: Mainz

Fuchs: Karnevalsstimmung, ein geiles Jahr, jeder Tag war Karneval.

STANDARD: Schalke

Fuchs: Eintritt in die große Welt. Sehr viel Druck und Ambitionen, die oft nicht der Realität entsprochen haben. Wir spielten international, Schalke ist ein richtig großer Klub.

STANDARD: Leicester City

Fuchs: Da kriege ich feuchte Augen. Erfolgreichste Zeit, jedes Jahr ist etwas passiert. 2016 wirst du Meister, eigentlich unfassbar, eine der größten Sensationen im Fußball. Bist du mittendrin, gehst du einfach zur Arbeit. So groß der Hype war, du spürst ihn gar nicht. Du erledigst deine Aufgabe. Und dann passiert es. Du brauchst Jahre, bis du es begreifst. Möglicherweise dauert bei mir dieser Prozess noch an.

STANDARD: Charlotte FC.

Fuchs: Spannend, den Verein hat es vor zwei Jahren nicht gegeben. Am Aufbau beteiligt sein, einen Grundstein zu legen, eine Philosophie zu entwickeln, das ist ein i-Tüpfelchen. Meine Frau ist Amerikanerin, es war logisch, hierzubleiben.

STANDARD: Zum Nationalteam können es auch drei Gedanken sein.

Fuchs: Es waren zehn Jahre, die viele Höhen und Tiefen hatten. Es war nie alles schlecht, aber am Anfang wusste man nicht, wohin die Reise führt. Ich war an der positiven Entwicklung maßgeblich beteiligt, erlebte die Aufbruchsstimmung mit. Wir gewannen in der EM-Quali für 2016 unter Marcel Koller neun von zehn Spielen. Da wurden die harten Jahre der Bildungsphase belohnt. Er war der richtige Zeitpunkt, nach der EM Baba zu sagen.

STANDARD: Kommen wir zu den Schattenseiten. Was ist das Negative, von Verletzungen abgesehen?

Fuchs: Ich muss das Wort googeln, es fällt mir auf Deutsch nicht ein. Ich hab’s: Entbehrungen. Es gibt Entbehrungen. Du bist dauernd unterwegs. Das Schöne ist, dass du mit Menschen zusammen bist. Du siehst vielleicht nicht die Welt, weil du im Hotel bist. Aber dein Reisepass sagt, du warst dort und dort. Auf Trainingslagern lernst du andere Kulturen kennen. Zu uns kommt jetzt ein Argentinier, ich bin gespannt. Eigentlich habe ich jetzt praktisch nur Positives gesagt.

STANDARD: Im Fußball wird eine Moraldiskussion geführt, nicht zuletzt wegen der WM in Katar. Oligarchen oder Scheichs kaufen Großklubs, es ist ein Milliardengeschäft, die Ablösen und Gagen sind teilweise absurd. Andere Leute wissen nicht, wie sie die Stromrechnung bezahlen sollen.

Fuchs: Ich führe diese Debatte immer wieder. Wo werden wir in zehn Jahren sein? Der Fußball ist eine Blase. Man weiß nicht, ob und wann sie platzt. Ich habe keine Lösung, die Summen sind unrealistisch.

STANDARD: Sie betreiben Nachwuchsakademien. Haben Sie einen Rat für junge, talentierte Kicker?

Fuchs: Die größte Tugend ist der Glaube an dich selbst. Ich war immer mein eigenes Vorbild. Du musst dir selbst alles zutrauen, sonst wirst du nirgendwo hingehen.

STANDARD: Das klingt sehr amerikanisch. Haben Sie die Mentalität übernommen?

Fuchs: Nein, die hatte ich schon in Neunkirchen. Als ich elf war, hieß es, ich sei zu schlecht. Mit 15 unterschrieb ich den ersten Profivertrag.

STANDARD: Was fehlt Ihnen von Österreich?

Fuchs: Das Essen. Die Amerikaner haben diesbezüglich keine Ahnung.

STANDARD: Was ist von Christian Fuchs noch zu erwarten?

Fuchs: Für mich beginnt ein Lernprozess, meine Zukunft fängt erst an. Die unglaubliche Reise geht weiter: Mein Leben bleibt hoffentlich eine unendliche Geschichte. (Christian Hackl, 21.1.2023)