EU-Grenzschutz oder doch eine Mauer um das Land?

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Der Themenkomplex Asyl und Migration hat wieder Hochkonjunktur. Neue und alte Ideen aus dem Bereich poppen auf – befeuert durch den Wahlkampf in Niederösterreich.

DER STANDARD hat aktuelle politische Forderungen zusammengetragen – und gemeinsam mit Fachleuten analysiert, wie sie zu bewerten sind.

Asylzentren außerhalb Österreichs

Auf die Frage, wo Asylwerbende in Zukunft auf ihren Bescheid warten sollen, gibt es zumindest zahlreiche knappe Antworten aus der Politik. Der Tenor: nicht in Österreich. Die ÖVP will Zentren "in Drittstaaten auslagern". Von Verfahren in europäischen "Überseeterritorien" wie Madeira oder Französisch-Guayana spricht die ehemalige ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner in ihrem neuen Buch. Die FPÖ will Menschen außerhalb der EU – etwa in Afrika – warten lassen; die SPÖ Zentren an den EU-Außengrenzen. Doch ist das möglich? Und wie?

Der Migrationsforscher Gerald Knaus hat dazu eine klare Meinung: "Es ist nicht grundsätzlich ein Problem, Menschen für Asylverfahren in sichere Drittstaaten zu überstellen. Das Problem an vielen Debatten in Österreich ist der fehlende Tiefgang." Die Kernfrage sei, was passiert, nachdem Menschen Asyl bekommen haben – oder eben nicht. "Seriöse Politik müsste sich auch über attraktive Angebote an Drittstaaten Gedanken machen, sodass diese überhaupt bereit wären, Asylwerber aus Europa aufzunehmen."

Anders sieht das Asylrechtsexperte Adel-Naim Reyhani vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Grund- und Menschenrechte. Um Menschen, die in der EU um Asyl ansuchen, für Verfahren in Überseeterritorien zu bringen, bräuchte es Änderungen des Europarechts: "Die Mitgliedsstaaten der EU müssen Asylanträge, die auf ihrem Gebiet gestellt werden, selbst inhaltlich prüfen." Außer: wenn laut Dublin-Verordnung ein anderer Staat verantwortlich ist.

Zudem seien auch völkerrechtliche Fragen offen – wie sie etwa in Großbritannien diskutiert werden. Ein Abkommen mit Ruanda sieht vor, dass illegal in Großbritannien eingereiste Migranten in das afrikanische Land geflogen werden und dort Asyl beantragen können – bei positivem Bescheid würden Asylberechtigte in Ruanda bleiben. Knaus sagt: Auch dagegen sei grundsätzlich nichts einzuwenden. Selbstverständlich müsse aber immer sichergestellt sein, dass es "tatsächlich Zugang zu fairen Verfahren und menschenwürdiger Unterbringung gibt".

Mauern und EU-Grenzschutz

Die FPÖ will aus Österreich "eine Festung" machen – im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Mauer oder andere bauliche Befestigungen stellt sich der ehemalige Innenminister Herbert Kickl an den Grenzen vor. Selbst wenn nicht die ganze rund 2700 Kilometer lange Grenze Österreichs eingezäunt werden soll: Allein mit Ungarn – das Nachbarland, aus dem die meisten Flüchtlinge einreisen – teilt sich Österreich 350 Kilometer. "Es gibt kein grundsätzliches rechtliches Problem mit Grenzzäunen", sagt Knaus. Jedoch gebe es innerhalb Europas davon bereits jetzt viele – etwa in Ungarn, Polen oder Griechenland. "Das ist nichts Neues, irreguläre Migration wird dadurch aber nicht gestoppt."

Eine der wesentlichen Qualitäten der EU sei das Prinzip der Bewegungsfreiheit, sagt Reyhani. Diese würde durch Grenzzäune untergraben. "Es ist natürlich möglich, aber nicht sinnvoll, innerhalb von Europa Mauern zu errichten."

Pushbacks an den Grenzen

Niederösterreich ist im Wahlkampf – und die FPÖ trommelt das Asylthema laut. Der blaue Spitzenkandidat Udo Landbauer fordert nun "Pushbacks von illegalen Zuwanderern". Er meint: Migranten sollen an der Grenze zurückgedrängt werden, damit sie erst gar nicht Asyl beantragen können. In der ZiB 2 verteidigte FPÖ-Bundesparteiobmann Kickl die völkerrechtswidrige Forderung und bezeichnete sie als "Notwehrmaßnahme".

"Es gibt politische Kräfte in Europa, die Rechtsstaatlichkeit grundsätzlich ablehnen", sagt dazu Knaus. "Das ist ein Aufruf zum systematischen Rechtsbruch, den alle Demokraten ablehnen müssen."

Auch Reyhani sieht einen "Tabubruch". Illegale Pushbacks fänden aber an diversen Grenzen Europas statt. Durch deren Normalisierung würden wesentliche Einsichten infrage gestellt, die aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs resultierten. Etwa das Folterverbot: Wird ein Asylantrag geprüft, wird auch geprüft, ob die Asylsuchenden Folter in der Heimat oder einem Drittstaat zu befürchten haben. Nimmt man ihnen die Möglichkeit des Asylantrags oder prüft diese nicht, was ein Resultat von Pushbacks ist, nehme man Folter indirekt in Kauf.

Ist das europäische Asylsystem "gescheitert"?

Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat es gesagt, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner formulierte es so: Das europäische Asylsystem sei gescheitert. Knaus sagt dazu: "Wenn sich Länder wie Ungarn nicht an EU-Recht halten, ist das kein Scheitern des europäischen Systems, sondern ein Scheitern der Durchsetzung europäischen Rechts."

Ob diese Aussagen Asylsuchende abschrecken? "Statistisch lässt sich nicht belegen, dass solche Vorschläge dahingehend funktionieren", sagt Reyhani. Und man ignoriere einen Umstand: "In Österreich ist derzeit praktisch niemand zur Flucht gezwungen. Das war schon anders und könnte sich auch wieder ändern." (Oona Kroisleitner, Katharina Mittelstaedt, 22.1.2023)