Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) will noch abwarten, bevor er entscheidet, wann die Corona-Maßnahmen in Wien fallen können.
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Wegen überlasteter Notfallabteilungen, eines eklatanten Pflegemangels und gesperrter Betten machen Wiens Spitäler seit Monaten Schlagzeilen. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sieht Probleme, sagt aber auch, dass er keine schnelle Lösung parat hat. Auch was das von vielen ersehnte Ende der Corona-Maßnahmen betrifft, verlangt er, noch, Geduld.

STANDARD: Ist die Spitalsversorgung in Wien auf der Kippe?

Hacker: Nein. Aber ist alles in Ordnung? Auch nicht. Viele, die dort arbeiten, sind extrem engagiert. Aber wir haben viele Baustellen im Gesundheitssystem. Manche sind international, ein paar sind hausgemacht.

STANDARD: Uns haben Ärzte berichtet, die Notfallversorgung sei teilweise nicht gesichert.

Hacker: Es gibt immer Kumulationen in Notfallabteilungen, wenn zum Beispiel irgendwo ein Autounfall mit mehreren Verletzten passiert ist. Das Problem ist, dass wir in der Notfallmedizin einen Personalengpass haben. Wir haben einen Mangel in der Unfallchirurgie, und die ist direkt verbandelt mit der Situation in den OPs und mit dem Pflegemangel auf den Intensivstationen. Es fehlen auch Anästhesisten. Alle – auch in anderen Abteilungen – spüren, dass es in diesen Schlüsselfunktionalitäten eines Spitals Engpässe gibt.

STANDARD: Es fehlen auch 900 Pflegekräfte. Betrifft das nicht alle Abteilungen?

Hacker: Ja und nein. Wir haben derzeit nur drei Prozent der Dienstposten nicht besetzt, das ist im Schnitt "over all" keine große Veränderung in den letzten fünf Jahren.

STANDARD: Wie steuern Sie kurzfristig gegen? Braucht es andere Dienstzeiten in den besonders fordernden Abteilungen?

Hacker: Von mir gibt es da keine Vorgaben. Das müssen Personalvertretung, Mitarbeiterinnen und Führungskräfte vor Ort entscheiden. Der Stadtrat sagt nicht, macht das so oder so, sondern der Stadtrat sagt: Ich will, dass ihr das gestaltet. Der Wigev (Wiener Gesundheitsverbund, Anm.) ist eine Organisationseinheit mit fast 30.000 Beschäftigten. Mein Job ist es, Freiheiten zu geben, zu gestalten.

STANDARD: Es gab im vergangenen Jahr 75 Gefährdungsanzeigen, mehr als eine Verdopplung gegenüber 2021. Wie dramatisch ist die Situation?

Hacker: Gäbe es keine Gefährdungsanzeigen, müssten wir uns Sorgen machen. Das Instrument ist ein Voralarmsystem. Da reagiert zum Beispiel das Management mit Bettensperren, um Personal zu entlasten. Ich lasse mir auch berichten, ob die abgearbeitet werden. Faktum ist: Alle werden abgearbeitet.

STANDARD: Uns hat Personal geschildert, es höre nun auf, Gefährdungsanzeigen zu schreiben, weil das ja nichts bringe.

Hacker: Bei 30.000 Beschäftigten gibt es nichts, was es nicht gibt. Ist es mir wurscht? Nein, aber es überrascht mich nicht. Und selbstverständlich haben wir zu wenig Personal, deswegen habe ich die Ausbildungsplätze in der Pflege verdoppelt.

STANDARD: Wird sich die Lage in den Spitälern in den kommenden Monaten verschlechtern?

Hacker: Nein. Der Großteil der Mitarbeiter versucht, das gut in den Griff zu bekommen. Und das gelingt uns ja auch.

STANDARD: Schon jetzt gibt es im Wigev 140 offene Arztstellen.

Hacker: Neun Gesundheitslandesräte sagen, wir haben zu wenige Studierende, die im öffentlichen Gesundheitssystem Arzt werden wollen, im Spital und in Kassenpraxen. Da muss man fragen: Wie funktionieren die Aufnahmekriterien für das Studium? Fallen da eher jene hinaus, die im öffentlichen Gesundheitssystem arbeiten würden? Es kann nicht sein, dass der Bildungsbereich das ignoriert.

STANDARD: Was tun Sie jetzt als Soforthilfe?

Hacker: Das Zaubermittel, das der Stadtrat ein bisschen wie Miraculix schüttelt, gibt es nicht. Wir sind ein Kontinent mit dramatisch sinkender Zahl im Beschäftigungsalter und müssen den Fachkräftemangel quer durch alle Branchen akzeptieren.

STANDARD: Müssen die Spitäler mehr bezahlen, um dem Wahlarztboom Einhalt zu gebieten?

Hacker: Ich kann nicht jedem Oberarzt 300.000 Euro im Jahr zahlen. Das wird es nicht spielen. Das Wahlarztsystem ist ein System, das in Wirklichkeit aus dem Ruder gelaufen ist. Worüber wir gerade nachdenken: Ich habe kein Problem damit, wenn jemand 20 Stunden im Spital arbeitet und 20 Stunden in einer Kassenordination. Das wird ein Tabubruch sein, wenn wir das machen. Aber wir werden in diese Richtung gehen. Andererseits lassen wir derzeit noch zu, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nur zehn bis 20 Stunden beschäftigt sind, auch in einer Wahlarztordination tätig sind. Es könnte sein, dass wir das ändern. Nur Ärzte, die Vollzeit bei uns arbeiten, sollen dann noch als Wahlarzt arbeiten können.

STANDARD: Länder und Bund werden in den Finanzausgleichsverhandlungen um Änderungen in der Finanzierung ringen. Vorschläge gibt es auch von den Sozialversicherungen: Peter Lehner, der Vorsitzende des Dachverbands, hat nun gesagt, sie würden die Spitäler übernehmen. Dann kommen wir der Finanzierung aus einer Hand näher. Wäre Wien dazu bereit?

Hacker: Absolut. Auch die Kollegen aus den Ländern sind bereit. Lehner kann gleich anfangen, wir brauchen nicht einmal Finanzausgleichsverhandlungen. Das Hanusch-Krankenhaus ist ein Spital der Gesundheitskassa. Wieso bin ich jedes Jahr mit der Frage nach einer Abgangsdeckung von mehr als 100 Millionen Euro konfrontiert? Wir können sofort im Hanusch mit vollkostendeckenden Tarifen beginnen.

STANDARD: Wie viel Ironie steckt in Ihren Aussagen? Wien wird seine Spitäler nicht hergeben.

Hacker: Da ist überhaupt keine Ironie. Wir können auch die städtischen Spitäler sofort auf Vollkostendeckung umstellen. Aber Faktum ist: Die Sozialversicherung zahlt nur ein Drittel der Spitäler. Und der Kostenanteil, den die Länder zahlen, wird immer größer. Ich zahle niedergelassenen Kinderärzten in Wien jedes Wochenende 1000 Euro dafür, dass sie ihre Ordinationstüre öffnen. Eigentlich kann mir keiner erklären, wieso ich das zahle.

STANDARD: Kommen wir zu Corona. Immer mehr Expertinnen und Experten, wie etwa die Epidemiologin Eva Schernhammer, sprechen sich für ein Ende der FFP2-Masken-Pflicht in Öffis und Apotheken in Wien aus. Welche wissenschaftlichen Evidenzen haben Sie, dass Sie dem nicht folgen?

Hacker: Das ist keine Frage einer wissenschaftlichen Evidenz, sondern eine gesundheitspolitische Entscheidung. Es ist der richtige Weg, die Spielregeln nicht permanent zu ändern.

STANDARD: Bundesweit ändern sich die Regeln seit Monaten nicht – eben ohne Maskenpflicht.

Hacker: Ich bin der Meinung, die Abschaffung war zu früh. Wir müssen die Entwicklung der nächsten Wochen abwarten. Wenn sie gut ausgeht – und die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch –, dann ist die Basis gelegt, um sich von allen Maßnahmen befreien zu können.

STANDARD: Die Covid-Verordnung in Wien mit der Öffi-Maskenpflicht ist bis Ende Februar in Kraft. Kann diese früher abgeschafft werden?

Hacker: Das könnte theoretisch sein. Aber nur, wenn wir große Klarheit über die Perspektive für das Infektionsgeschehen von Februar bis Juni haben.

STANDARD: Wird Wien weiterhin kostenlose Tests ermöglichen?

Hacker: Das werden wir sehen. Wir haben einmal eine Kostenübernahme bis zum Sommer. Es wird sicher kein System mehr geben, bei dem man in eine Testbox gehen und einen Test machen kann. Aber wir brauchen eine Lösung dafür, wie Menschen weiter zu einem Test kommen, wenn sie symptomatisch sind. Es könnte ein Testsystem sein, das die Sozialversicherung zahlen muss.

STANDARD: In einer Woche wird in Niederösterreich gewählt. Die ÖVP dürfte beträchtlich verlieren, die SPÖ stagniert laut Umfragen bei 23 Prozent. Was macht sie falsch?

Hacker: Das weiß ich nicht. Ich bin Stadtrat in Wien. Ich freue mich, wenn die Genossen in Niederösterreich gewinnen. Aber die Frage, was sie richtig oder falsch machen, beschäftigt mich nicht. Ich beschäftige mich nicht mit dem Wahlkampf in anderen Bundesländern. (David Krutzler, Gudrun Springer, 21.1.2023)