Generalstabschef Rudolf Striedinger: "Die Verschärfung der Lage hat man nicht ernst genommen, die Krim war weit weg."

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Wien – Auch mit dem erhöhten Verteidigungsbudget wird eine ernst zu nehmende Landesverteidigung durch das Bundesheer nicht möglich sein. Das räumte Generalstabschef Rudolf Striedinger Freitagnachmittag bei einer Veranstaltung zum Tag der Wehrpflicht ein. Was zunächst möglich gemacht werden muss, ist die Fähigkeit zu einer "Schutzoperation", bei der das Bundesheer überwiegend subkonventionelle souveränitätsgefährdende Angriffe auf Staat, Bevölkerung oder Lebensgrundlagen an Land, in der Luft sowie im Cyberraum abwehren kann. Da gehe es jetzt darum, die seit 30 Jahren eingerissenen Mängel zu beseitigen. Eine "Abwehroperation" – also die Fähigkeit, die Neutralität und das Staatsgebiet mit allen Mitteln zu verteidigen – würde noch wesentlich größeren Aufwand erfordern.

Keine Leicht-Lkws mehr

In seiner Rede zum "Tag der Wehrpflicht" gab der General vor den versammelten Militärs und Politikern bekannt, dass Österreich keinen Ersatz für den seit fünf Jahrzehnten eingeführten Klein-Lkw Pinzgauer beschaffen wird – die Zukunft gehöre Fahrzeugen, die auf dem Gefechtsfeld rundum einen gewissen Schutz für die transportierten Soldaten bieten. Das wichtigste Beschaffungsprojekt sieht er in der Fliegerabwehr – deren derzeitiger Stand sei damit zu vergleichen, dass das Bundesheer nur eine einzige Kaserne verteidigen könne.

Immerhin ist der Budgetrahmen für die Wiederherstellung der Fähigkeit zu Schutzoperationen auf zehn Jahre gesichert – wenn auch (wie der anwesende SPÖ-Wehrsperecher Robert Laimer bedauerte) ohne verfassungsrechtliche Absicherung. Diese hatte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner im Vorjahr in einem STANDARD-Interview vorgeschlagen, war aber beim grünen Koalitionspartner nicht durchgedrungen.

Personell wurde der Bogen überspannt

Aber dem General brennt ohnehin der Personalmangel mehr unter den Nägeln: Mit jahrzehntelangen Assistenzeinsätzen "haben wir den Bogen überspannt" – nicht voll ausgebildete Grundwehrdiener würden in großer Zahl an die Grenze geschickt und stünden nach dem Abrüsten nicht mehr für eine allfällige Einberufung in eine Milizfunktion zur Verfügung. Daher mangelt es im Bundesheer auch an längerdienenden Chargen und an Nachwuchs für das Unteroffizierskorps.

Dabei brauche das Bundesheer "für die komplette Aufgabenerfüllung" künftig mehr Soldaten als offiziell geplant. Seit der populistisch agierenden Zilk-Kommission in der Ära Schüssel II ist nämlich nicht nur die Übungspflicht für die Miliz abgeschafft (woran auch Striedinger und Tanner festhalten wollen), sondern der Mobilmachungsrahmen auf 55.000 Mann beschränkt worden. Das dürfte nicht einmal für eine Schutzoperation reichen, geschweige denn für die Abwehr eines Angriffs auf das Bundesgebiet.

Kritik an der Schein-Miliz

In der folgenden Diskussion signalisierte vor allem FPÖ-Wehrsprecher Volker Reifenberger Unterstützung: "Der Mobilmachungsrahmen von 55.000 reicht nicht aus – und auch nicht eine Schein-Miliz", die nicht beübt und nur nach und nach ausgerüstet werde. Die FPÖ will auch eine richtige Landesverteidigung, nicht nur die Fähigkeit zur Schutzoperation.

Brigadier Peter Fender bekam ebenfalls viel Zustimmung, nachdem er das schrittweise Herunterwirtschaften des Bundesheers in den vergangenen Jahrzehnten analysiert hatte: "Ab 2003 sind wir auf eine schiefe Ebene geraten." Die damaligen Abrüstungsschritte waren mit Vorstellungen von einem ewigen Frieden und einer Vorwarnzeit von zehn Jahren begründet worden. Nur habe niemand die Vorwarnzeit ernst genommen, die ersten Angriffe auf die Ukraine ebenfalls nicht – als hätte man 2014 darauf gewartet, dass ein RsA-Brief kommt, der mitteilt, dass jetzt die zehnjährige Vorwarnzeit beginnt.

Wiederbelebung der Geistigen Landesverteidigung

Nun aber habe die österreichische Bevölkerung erkannt, was Krieg bedeutet, sagt Neos-Wehrsprecher Douglas Hoyos. Dass daraus aber auch gefolgert werde, dass die seit 48 Jahren in der Verfassung vorgesehene Geistige Landesverteidigung wiederbelebt wird, bezweifelt Hoyos. In diesem Punkt bekommt er Zustimmung auch von der ÖVP und sogar von den Grünen. SPÖ-Wehrsprecher Laimer strahlt auf dem Podium: "Nur ein wehrhaftes Österreich ist ein wahrhaftes Österreich." (Conrad Seidl, 20.1.2023)