Karlsbrücke, Moldau, Bier: ein recht klischeehaftes Abbild Prags. Es geht aber auch anders, wie unser Autor zeigt.
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Das Švejk-Klischee ist nett gemeint, aber nicht immer nett

Nur wenigen Romanhelden ist es vergönnt, zur Kultfigur zu werden. Der Protagonist aus Jaroslav Hašeks Anfang der 1920er-Jahre erschienenem Roman Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk, der im Original natürlich Švejk heißt, ist einer von ihnen.

Der Vielredner Josef Švejk kommt einfältig rüber. Aber eigentlich weiß man nie so recht, ob es Naivität oder Hinterlist ist, mit der er den Autoritäten, vor allem jenen beim Militär, die Stirn bietet. Seine Allgegenwart in Illustrationen, Filmen und den Namen unzähliger Bierstuben hat besonders im Ausland die These salonfähig gemacht, "die Tschechen" seien alle "kleine Švejks".

Zugegeben: Im kommunistischen System vor 1989 wurde eine gewisse Kreativität im Umgang mit der Obrigkeit kultiviert. Doch die Typisierung von außen ist vielen ein Dorn im Auge. Mit Švejk würde wohl niemand gerne Geschäfte machen oder politische Vereinbarungen treffen, sagt eine junge Diplomatin: "Wir wollen verlässliche Partner sein, keine listigen Originale."

Das Mittelalter-Klischee vernebelt den Blick auf die Moderne

Prag, die goldene, die hunderttürmige Stadt: In der Fantasie wabert da meist das Mittelalter durch die engen Gassen von Altstadt und Kleinseite – inklusive Golem-Zauber und Alchemisten-Romantik.

In der Tat hat das mittelalterliche Prag viel Flair zu bieten. Die Regentschaft Karls IV. als römisch-deutscher Kaiser im 14. Jahrhundert – Stichworte Karlsbrücke und Karlsuniversität – wird gern als Hochblüte beschrieben. Und weil Prag im Zweiten Weltkrieg kaum zerstört wurde, bestimmt die Epoche bis heute das Antlitz mancher Stadtteile zu beiden Seiten der Moldau.

Man sollte sich aber nicht den Blick auf die Moderne vernebeln lassen – vor allem nicht auf die Architektur der 1920er- und 1930er-Jahre. Während diese in Österreich vor allem den sozialen Wohnbau Wiens prägte, war es in der Aufbruchsstimmung der neuen Tschechoslowakei oft das reiche Bürgertum, das sich funktionalistische Villen bauen ließ – nicht nur in Prag. Berühmtes Beispiel: die Villa Tugendhat im mährischen Brünn.

Das Osteuropa-Klischee war immer schon unscharf

Wo genau endet eigentlich Mitteleuropa, und wo beginnt Osteuropa? Zahllose Buchseiten und Konferenzbeiträge widmeten sich bereits dieser Frage. Beantwortet werden kann sie wohl nie. Zu viele Aspekte sind im Spiel: geografische, historische, politische, religiöse – und noch ein paar mehr.

Dennoch sorgt der Begriff "Osteuropa" für fragwürdige Zuschreibungen. Auch heute noch werden Staaten, die wie Tschechien seit fast 20 Jahren in der EU sind, manchmal "osteuropäische Beitrittsländer" genannt. Von hier ist es nicht weit zu plumpen Verallgemeinerungen über Wirtschaftskraft oder gar demokratische Reife.

Abgesehen davon: Wer von Wien nach Prag will, muss bekanntlich nach Nordwesten. Und die tschechische Parteienlandschaft hat zutiefst mitteleuropäische Wurzeln in der Habsburgermonarchie. Inzwischen ist zwar so manche Retortenpartei an die Stelle traditionsreicher politischer Kräfte getreten, aber das gibt es auch anderswo. In Frankreich etwa – definitiv Westeuropa.

Das Kriegs-Klischee entspringt einem nützlichen Mythos

Ein wenig knüpft sie an das Švejk-Klischee an: die Erzählung, dass tschechische Soldaten – absichtlich oder nicht – entscheidend zur Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg beigetragen hätten. Böhmen und Mähren waren damals Teile der Habsburgermonarchie. Erst gegen Kriegsende, im Oktober 1918, wurde die Tschechoslowakei ausgerufen, der jahrzehntealte Traum von der eigenen Staatlichkeit wurde wahr.

Es gab sie zwar, die "Tschechoslowakischen Legionen", die offiziell an der Seite der Triple-Entente kämpften. Dass aber jene Tschechen, die in Österreichs Armee dienten, Erfüllungsgehilfen der "Legionäre" waren, gilt als Mythos. Dessen Langlebigkeit hat einen guten Grund: Ein Land, das einen Krieg verloren hat, in diesem Fall Österreich, sucht die Ursachen gerne anderswo. Und für die Nationsbildung der Tschechoslowakei war es förderlich, die eigene Rolle dabei zu überhöhen. Der Mythos wurde also von beiden Seiten gepflegt – kein gutes Argument dafür, dass schon irgendetwas dran sein wird.

Das Knödel-Klischee lauert ums Eck vom Vietnamesen

Hübsch, aber nicht zeitgemäß: "Mitteleuropa ist dort, wo man am Sonntag Schnitzelklopfen hört." Schnitzel sind in Tschechien tatsächlich beliebt – wenn auch nicht so wie der Schweinsbraten oder die tolle Svíčková, ein Rinderbraten mit Rahmsauce. Zu den letzteren passen die böhmischen Knödel einfach besser.

Hier sind wir aber an einem heiklen Punkt: Die Knödel sind oft eine längliche, trockene, in Scheiben geschnittene Angelegenheit – okay zum Auftunken der Sauce, selbst aber geschmacklich eher umstritten.

Warum also nicht auch hier den Sprung in die Gegenwart wagen? Die Esskultur in Tschechien wird bereichert vom duftenden Einfluss der vietnamesischen Community. Vor der Wende Fremdarbeiter aus einem sozialistischen Bruderstaat, sind viele nach 1989 einfach geblieben – samt ihren Pho-Küchen, die es in Prag längst gab, bevor sie anderswo hip wurden. Zum Glück passt Bier gut zum vietnamesischen Essen. Tschechisches Bier ist nämlich köstlich. Einige Klischees stimmen eben doch. (Gerald Schubert, 21.1.2023)