Zwei dunkelrote Spitzkerzen und zwei runde Kartonscheiben als Tropfschutz. Ein weißes Blatt Papier mit der Überschrift "6 Punkte", auf der in schwer leserlicher Handschrift Forderungen ausgeführt werden. Ein T-Shirt mit dem SOS-Mitmensch-Logo. Und ein schwarzer Button, auf dem in weißen Blockbuchstaben steht, was diese drei Gegenstände eint: "Lichtermeer". Fotos von all diesen Erinnerungsstücken sind derzeit auf der Website des Hauses der Geschichte Österreich im Rahmen einer Online-Ausstellung zu sehen. Anlass ist der 30. Geburtstag der bisher größten Demonstration in der Zweiten Republik.

Es ist der 23. Jänner 1993 um 17 Uhr, als sich am Wiener Rathausplatz und am Stephansplatz Menschenmassen in Bewegung setzen. In den Händen halten sie pünktlich zum Glockenschlag entzündete Kerzen und Fackeln, sie marschieren über den Ring zum Heldenplatz. Dort beginnt um 18 Uhr die Schlusskundgebung.

Die größte Demonstration der Zweiten Republik, das Lichtermeer vom 23. Jänner 1993, auf einer Archivaufnahme.
Foto: APA/Ulrich Schnarr

250.000 bis 300.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden letztlich gezählt, in den Landeshauptstädten gibt es ähnliche Veranstaltungen. Was die Protestierenden eint: der Kampf gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Ausgrenzung.

Nachahmungen gab es in den vergangenen Jahren so einige – wobei das Format dabei durchaus mit neuen Themen aufgeladen wurde. Unter dem Motto "YesWeCare" fand etwa im Dezember 2021 am Wiener Ring eine Kundgebung zum Gedenken an die damals 13.000 Covid-Toten in Österreich statt. Ein Update hatte sich da auch längst bei den Lichtquellen durchgesetzt: Neben Kerzen und Fackeln verwendeten die 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer Handys als Leuchtmittel.

Beim Lichtermeer zum Gedenken an die Covid-Toten im Dezember 2021 wurden 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gezählt.
Foto: APA/Florian Wieser

Im Mai 2022 fand am Heldenplatz schließlich ein Lichtermeer gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine statt – mit 7.000 Protestierenden. Doch wie kam das große Vorbild von 1993 überhaupt zustande?

Ein FPÖ-Volksbegehren als Anstoß

Als unmittelbarer Anlass gilt das Ausländervolksbegehren "Österreich zuerst" der FPÖ unter dem mittlerweile verstorbenen Jörg Haider. Das 1992 angekündigte Volksbegehren war quasi der Höhepunkt nach einer ganzen Reihe von Provokationen und Kampagnen aus dem freiheitlichen Lager. Gefordert wurden unter anderem ein Einwanderungsstopp, keine vorzeitige Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und eine Verfassungsbestimmung, wonach Österreich kein Einwanderungsland sei. Die FPÖ liebäugelt derzeit mit einer Neuauflage. Bundesparteiobmann Herbert Kickl hatte Ende 2022 erklärt, darüber nachzudenken, heuer ein solches "Österreich zuerst 2"-Referendum zu starten.

Doch nicht nur die Haider-FPÖ war Adressatin des Lichtermeers: Die Kundgebung richtete sich auch gegen die Asyl- und Zuwanderungspolitik der damaligen großen Koalition, angeführt von Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ). Dazu kam die noch nicht verdaute Waldheim-Affäre.

Vorbilder für Protest gegen all diese Strömungen fanden sich in Deutschland. Dort hatten ab 1992 Großdemos stattgefunden, weil es immer wieder zu Übergriffen Rechtsradikaler auf Heime für Asylsuchende gekommen war. Breiter Protest regte sich, als Ende November bei Anschlägen auf zwei von türkischen Familien bewohnte Wohnhäuser in Mölln in Schleswig-Holstein drei Menschen ums Leben kamen. In mehreren deutschen Städten gingen daraufhin Hunderttausende mit Lichterketten gegen die rechtsradikalen Gewalttäter auf die Straße.

Künstlerisch-grüne Wurzeln

Triebfeder des Wiener Lichtermeers war die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch. Sie hatte sich im Dezember 1992 formiert – aus Protest gegen besagtes blaues Ausländervolksbegehren. Das erste Treffen zur Gründung der NGO fand im November 1992 im Haus von Künstler André Heller in Wien-Hietzing statt. Schriftsteller Josef Haslinger (von ihm stammt übrigens das eingangs erwähnte Blatt Papier), der 2022 verstorbene Musiker Willi Resetarits und der damalige Grünen-Politiker Peter Pilz entschlossen sich dabei laut SOS Mitmensch, eine Bewegung zu gründen – kurz darauf wurde sie öffentlich vorgestellt.

André Heller, einer der Initiatoren der Bewegung hinter dem Lichtermeer, spricht am Heldenplatz.
Foto: Christian Fischer

Bald reifte die Idee, ein Lichtermeer zu organisieren. Die nächsten Zusammenkünfte fanden statt bei Friedrun und Peter Huemer – ihres Zeichens Wiener Landtagsabgeordnete und Journalist. Später gab es auch ein Büro. Der Initiative schlossen sich Künstler, Intellektuelle, Gewerkschafter und Kirchenvertreter an. Binnen weniger Wochen wird die Großkundgebung auf die Beine gestellt. Das Motto lautete in Anspielung auf das FPÖ-Volksbegehren "Anständigkeit zuerst", zentrale Forderungen waren Menschlichkeit, Solidarität und die Gültigkeit der Menschenrechte für alle.

Nachwirkungen

Abgesehen vom großen Zulauf verzeichneten die Proponentinnen und Proponenten des Lichtermeers einen konkreten politischen Erfolg. Das zwei Tage später anlaufende Volksbegehren der FPÖ war mit 416.531 Unterschriften mäßig erfolgreich, Haider hatte ursprünglich eine Million Unterschriften angepeilt. Bemessen an der Unterschriftenzahl belegt es im österreichischen Volksbegehren-Ranking heute Platz 18.

Verschärfungen in der Ausländerpolitik folgten dennoch, auch wenn die Hauptforderungen – ein "Zuwanderungsstopp" und eine Verfassungsbestimmung "Österreich ist kein Einwanderungsland" – selbst in fast drei Jahren FPÖ-Regierungsbeteiligung nicht umgesetzt wurden.

Die unmittelbaren Konsequenzen für die FPÖ selbst waren jedenfalls unangenehm: Direkt nach dem Volksbegehren spalteten sich fünf Nationalratsabgeordnete von der Partei ab und gründeten unter der Führung von Heide Schmidt das Liberale Forum. Dieses ist inzwischen in den Neos aufgegangen.

Beiträge gesucht

Das Haus der Geschichte Österreich ist übrigens noch auf der Suche nach Beiträgen für seine Lichtermeer-Schau. Bisher gebe es in Museen kaum Objekte, die an die Kundgebung erinnern, sagte Direktorin Monika Sommer vor kurzem in einer Aussendung: "Zum 30-jährigen Jubiläum wollen wir gemeinsam Erinnerungen und Objekte zu diesem Ereignis sammeln, bevor sie verloren gehen."

Fotos von Fundstücken aus dem persönlichen Fundus können direkt auf der Museumswebsite hochgeladen werden. Dabei können die Objekte für die Sammlung angeboten werden. Willkommen seien auch Beiträge von Menschen, die damals neu nach Österreich gekommen oder schon länger hier gelebt haben und von Hass und Rassismus betroffen waren, unabhängig davon, ob sie am Lichtermeer teilgenommen haben oder nicht. (Stefanie Rachbauer, 22.1.2023)