2019 war Naledi Pandor noch Technologieministerin Südafrikas. Mittlerweile ist sie Außenministerin und wird am Montag ihren russischen Amtskollegen Sergej Lawrow begrüßen.

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Dass der russische Außenminister Sergej Lawrow am Montag Südafrika besucht, ist noch kein Skandal. Schließlich ist die Regierung in Pretoria im Ukraine-Krieg um "Neutralität" bemüht, weil sie nur so in dem Konflikt irgendwann vermitteln könne. Dass Lawrow kurz vor seiner Reise in den Süden Afrikas die Rolle der Nato im Ukraine-Konflikt mit "Hitlers Endlösung der Judenfrage" verglich, hätte Pretoria schon eher zu denken geben müssen.

VIDEO: Aufnahmen von Lawrows Ankunft in Pretoria, wo er von Außenministerin Naledi Pandor begrüßt wurde.
DER STANDARD

Dass Südafrika gleichzeitig eine militärische Übung mit der russischen (und chinesischen) Marine vor seiner Ostküste plant, musste die Warnlampen erst recht aufleuchten lassen. Und dass diese Übung ausgerechnet am Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar stattfindet, ist dann doch zu viel des Schlechten. "Diese Obszönität ist nur schwer zu übertrumpfen", schimpft Kommentator Brooks Spector im "Daily Maverick".

Und dabei war noch gar nicht von dem russischen Frachter Lady R die Rede, der Anfang Dezember im Militärhafen von Simon's Town andockte, obwohl die USA und die EU das Schiff wegen angeblicher Waffentransporte unter Sanktionen gestellt hatten. Allein die Tatsache, dass der Frachter in einen Militärhafen gelassen wurde, sorgte in Südafrika für Stirnrunzeln: Er hatte gegenüber der Schifffahrtsbehörde außerdem "technische Probleme" vorgetäuscht und sein automatisches Identifikationssystem ausgeschaltet. Schließlich wurden unter strengen Sicherheitsvorkehrungen des Nachts zahlreiche Container aus der Lady R entladen und mit anderen beladen. Einwohner der Stadt nahmen von der Nacht-und-Nebel-Aktion mehrere Fotos auf.

Spekulationen über Waffenlieferungen

Südafrikas Regierung verweigerte tagelang jede Stellungnahme zu dem Vorgang. Erst dann gab Verteidigungsministerin Thandi Modise bekannt, dass es sich bei der Ladung des Frachters "um eine alte Bestellung von Munition" gehandelt habe. Auf die entladenen Container könnte das zutreffen – auf die beladenen kaum. Liefert Südafrika also Waffen ans kriegführende Russland? Bisher bot die Regierung noch keine andere Erklärung an.

Dass der Afrikanische Nationalkongress (ANC) eine historische Schwäche für Russland beziehungsweise die Sowjetunion hat, ist bekannt. Schließlich unterstützte Moskau die Befreiungsbewegung jahrzehntelang in ihrem Kampf gegen das weiße Rassistenregime, während der Westen diesem viel zu lang die Stange hielt. Zahlreiche ANC-Hierarchen wurden in der Sowjetunion ausgebildet – auch nach dem Ende der Apartheid und des Kalten Krieges blieb das Verhältnis herzlich. Ex-Präsident Jacob Zuma und Freunde begaben sich regelmäßig zur medizinischen Behandlung nach Moskau.

Und als es in Südafrika um einen eventuellen Erwerb von Atomreaktoren ging, galt Russland als bevorzugter Anbieter. Kein Wunder, dass sich Moskau und Pretoria auch bei der Schaffung eines gegen die USA und deren westlichen Partner gerichteten Bündnisses auf derselben Seite fanden: Beide wurden Teil von "Brics", dem außerdem noch China, Indien und Brasilien angehören.

Südafrika gab USA einen Korb

Pretoria gibt sich alle Mühe, seinen Bündnispartner nicht zu verprellen. Als US-Diplomaten nach Putins Überfall auf die Ukraine den afrikanischen Kontinent durchkreuzten, um Verbündete zu finden, holten sie sich in Südafrika einen Korb. Pretoria enthielt sich bei der Verurteilung Putins in der UN-Vollversammlung der Stimme und beteiligte sich auch nicht an Sanktionen gegen Russland.

In einer spontanen moralischen Regung hatte Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor am Tag des Überfalls auf die Ukraine diesen als "Angriff auf die Souveränität und Integrität eines unabhängigen Staates" verurteilt und den "sofortigen Rückzug der Russen" gefordert. Doch die Ministerin wurde wenig später vom Präsidenten selbst zurückgepfiffen. Dabei muss ihr Cyril Ramaphosa die Bedeutung Russlands – auch für den ANC – verklickert haben. Schließlich macht die Regierungspartei gemeinsame Bodenschatzgeschäfte mit dem russischen Oligarchen Viktor Vekselberg.

Pretoria folgt Russlands Lesart

Seit Pandors Ausrutscher folgt Pretoria der russischen Lesart des Ukraine-"Konflikts": dass Putin auf die Provokation der Nato gar nicht anders reagieren konnte. Von dessen völkerrechtswidriger Invasion, dem Raketenterror gegen die Zivilbevölkerung und anderen russischen Kriegsverbrechen will Pretoria nichts wissen – jedenfalls haben weder der Präsident noch seine Minister und Ministerinnen jemals darüber geredet.

Einer Umfrage der Johannesburger Brenthurst-Stiftung zufolge kann sich der ANC dabei keineswegs auf ein Votum der Bevölkerung stützen. Drei Viertel der Südafrikaner und Südafrikanerinnen sind offenbar der Überzeugung, dass Putins Invasion "ein Akt der Aggression" war, der "verurteilt" werden müsste.

Dagegen sprechen die jüngsten politischen Richtlinien des südafrikanischen Außenministeriums eine andere Sprache: In ihnen wird ein Zusammenschluss Südafrikas mit jenen Kräften gefordert, "die der Dominanz des Westens und der liberalen internationalen Wirtschaftsordnung etwas entgegensetzen". Nach Auffassung des ANC wird in der Ukraine also um die Weltherrschaft und nicht um die Selbstbestimmung eines Volkes gekämpft. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 23.1.2023)