Im Herbst 2022 nahm Vera* – Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport (vera-vertrauensstelle.at) den Betrieb auf. 100% Sport gibt es bereits seit 2008.

Foto: Vera*

Der Sport nimmt für sich in Anspruch, sich schon lange und intensiv damit auseinanderzusetzen, wie Missbrauchsfälle einerseits möglichst zu vermeiden sind – und wie andererseits, falls doch ein solcher Fall auftritt, damit umzugehen ist.

Dass ein Fall Teichtmeister nicht nur in der Theater- und Filmbranche, sondern überall passieren kann, ist Claudia Koller klar. Sie ist Geschäftsführerin von 100% Sport, dem 2008 gegründeten österreichischen Zentrum für Genderkompetenz und Safe Sport. Im Auftrag von Vizekanzler Werner Kogler, dessen Ministerium für Sport wie für Kunst und Kultur zuständig ist, hat 100% Sport im September 2022 eine gemeinsame Einrichtung namens Vera* auf den Weg gebracht. Der Name steht für "Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport". Kernelement ist die Beratung und Begleitung von Personen, die von Belästigung und Gewalt betroffen sind.

Betroffenheit

Betroffene im Fall Teichtmeister, das sind die für später konsumierte Darstellungen missbrauchten Kinder, betroffen gezeigt haben sich auch seine Arbeitgeber. Ob diese Betroffenheit spät gekommen ist, das wird auch in Sportkreisen diskutiert. Koller will es nicht beurteilen, sondern berichten, was im Sport schon präventiv getan wird. Dort nütze man gemeinsam mit allen wichtigen Institutionen das sogenannte Ein-Platz-Prinzip, um präventive Maßnahmen bis auf die Vereinsebene zu bringen. Es ist auch im internationalen Sportrecht verankert und sieht vor, dass in (fast) jeder Sportart über der kleinsten Einheit ein einziger größerer Verband steht, über dem wiederum ein einziger größerer Verband steht usw. Beispiel Fußball: Dorfverein, Bezirksverband, Landesverband, ÖFB, Uefa, Fifa. Das erleichtert die Einführung gleichlautender Regeln – in sämtlichen Bereichen.

"Es gibt in fast jedem Verband und in vielen Vereinen jemanden", sagt Koller, "der sich mit Prävention von sexualisierter Gewalt und Missbrauch beschäftigt. Wir bieten Aus- und Weiterbildungen an." Die Vision ist klar: größtmöglicher Schutz, größtmögliches Vertrauen. Aufgabe der Schutzbeauftragten ist es, in ihrem Verband oder ihrem Verein "eine Haltung und Kultur des Hinsehens zu schaffen", wie Koller sagt. "Diese Haltung ist im Sport zu einem guten Teil schon angekommen." Wenn weggeschaut werde, passiere das oft aus Unsicherheit, oft aus einem Nicht-wahrhaben-Wollen heraus.

Claudia Koller setzt auf Weiterbildung der zum Schutz Beauftragten.
Foto: Liam Achim Strasser

Besonders wichtig ist laut Koller "ein Betroffenen-zentriertes Vorgehen". Das Wort "Betroffene" zieht sie dem Wort "Opfer" vor, weil letzteres von Betroffenen selbst oftmals als problematisch empfunden wird. Vor dem konkreten kommt der vage Verdacht, vor dem vagen Verdacht die Irritation, vor der Irritation das Bauchgefühl. Wie damit umgehen? "Wichtig ist das Wissen, an wen man sich wenden kann", sagt Koller. "Und wichtig ist es, schon ein Bewusstsein zu schaffen für leichte Grenzüberschreitungen."

Riegel vorschieben

Eine kleine Überschreitung, nicht selten ein verbaler Ausrutscher, könne nämlich manchmal "der erste Schritt einer Täterstrategie sein". Hier gleich einen Riegel vorzuschieben kann Schlimmeres verhindern, ganz abgesehen davon, dass verbale Ausrutscher so oder so abzulehnen sind. Koller: "Da findet ein Umdenken, ein Kulturwechsel statt. Wachsendes Bewusstsein für das Thema spiegelt sich auch in der Sprache wider."

Wie Betroffenen-zentriert aktuell nach einem zumindest vagen Verdacht das Vorgehen in der Theater- und Filmbranche war, mag noch Gegenstand von Untersuchungen sein. Anders als mit dem mutmaßlichen Täter, dem geglaubt und der weiterhin mit guten Rollen bedacht wurde, ließ sich mit den Betroffenen jedenfalls nicht reden.

Betroffene schützen

Nicht nur das unterscheidet den Fall von jenem, der im Vorjahr beim Fußballverein Vienna öffentlich wurde. Der Zweitligist hatte im Mai überraschend den Cheftrainer entlassen, erst zwei Monate später wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft wegen länger zurückliegender Missbrauchsvorwürfe gegen ihn ermittelte. Dass sich die Vienna in der Causa zunächst bedeckt gehalten hatte, wurde ihr zum Vorwurf gemacht. Freilich hatte sie sich den Betroffenen gegenüber "zu absoluter Vertraulichkeit und dem Schutz ihrer Identität verpflichtet" und auch sofort den Kontakt mit 100% Sport gesucht.

Die #MeToo-Bewegung ist in Österreich 2017 angekommen, als Ex-Skirennläuferin Nicola Werdenigg im STANDARD-Sportmonolog von einem übergriffigen Skifabrikanten, einem pädophilen Heimleiter und der Vergewaltigung durch einen Teamkollegen sprach. Eine weitere Rennläuferin und die Sportjournalistin Helen Scott-Smith berichteten ebenfalls von Übergriffen und Vergewaltigungen im Skizirkus. Sexualisierte Gewalt in Form des sogenannten Pasterns als lange gepflegtes Aufnahmeritual unter Jugendlichen stellte sich auch in der Kaderschmiede Stams heraus.

Prävention soll Bedingung für Förderung sein, sagt Werdenigg.
Foto: APA/EVA MANHART

Werdenigg war 2018 Mitbegründerin des gemeinnützigen Vereins #WeTogether zur Prävention von Machtmissbrauch im Sport. Sie ist Netzwerkerin und immer wieder mit Betroffenen in Kontakt, auch aus dem Kunst- und Kulturbereich. "Der Sport ist schon weiter", sagt sie. "In der Kultur gibt es viele lose Enden, die schwer zu fassen und zu verknüpfen sind."

Die Nachwuchsarbeit ist nicht nur im Spitzensport, sondern auch für den Breitensport besonders wichtig. Kinder und Jugendliche von heute sind die vollzahlenden Mitglieder von morgen. Vereine und Verbände legen viel Wert auf die Ausbildung von kleineren oder größeren Talenten. Auch im Kulturbereich geht es um Nachwuchspflege, man denke an Theatergruppen, ans Ballett oder an Musikschulen. Das Feld ist ein breites, und es gibt viele private Initiativen.

Hürden errichten

Im Sport ist die Höhe der staatlichen Fördergelder, in deren Genuss die 60 Fachverbände der einzelnen Sportarten kommen, mittlerweile nicht nur von deren Bedeutung, Erfolgen und Perspektiven abhängig. Im "Kriterienkatalog zur Bewertung der Leistungsfähigkeit" der Verbände findet sich auch der Punkt "Qualität der Verbandsstruktur und Verbandsarbeit", unter dem wiederum viele weitere Punkte aufgelistet sind. Punkte wie "Good-Governance-Grundsätze", "Umsetzung von Gender-Mainstreaming" und auch "Prävention von sexualisierter Gewalt und Missbrauch".

Claudia Koller von 100% Sport würde sich wünschen, dass dieser Punkt nicht nur eine bürokratische Hürde darstellt. "Ein Schutzkonzept", sagt sie, "ist ein lebendes Konzept, ein laufender Prozess." Es gehöre ständig weiterentwickelt, es gehöre ausgeschildert, bekannt gemacht, beispielsweise auf der Homepage eines Vereins. Nicola Werdenigg geht noch einen Schritt weiter und fordert, dass Missbrauchsprävention nicht nur ein Punkt von vielen ist, die über die Fördermittelhöhe entscheiden. "Die Verpflichtung dazu sollte Bedingung dafür sein, dass überhaupt staatliche Fördergelder fließen." Nachsatz: "Im Sport wie in Kunst und Kultur." (Fritz Neumann, 23.1.2023)