Insgesamt sollen laut Medien zwischen 25 und 30 vertrauliche Dokumente in Joe Bidens Privathaus, seiner Garage und einem Büro gefunden worden sein.

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Äußerlich schien das Weiße Haus in Feierlaune. "Herzlichen Glückwunsch zu unserem zweiten Jahrestag", leitete Präsidentensprecherin Karine Jean-Pierre am Freitagmittag (Ortszeit) lachend ihre Ausführungen bei der täglichen Pressekonferenz ein. Ein paar Türen weiter, im prunkvollen East Room, pries sich Joe Biden zur Halbzeit seiner Amtsperiode vor 200 Bürgermeistern für die Schaffung von elf Millionen neuen Jobs.

Doch die Männer und Frauen, die zur gleichen Zeit das Privathaus des Präsidenten im 160 Kilometer entfernten Wilmington bevölkerten, waren nicht zum Gratulieren gekommen: Geschlagene 13 Stunden lang durchkämmten Beamte der Bundespolizei FBI nach Angaben von Bidens Anwalt "alle Arbeits-, Wohn- und Lagerräume" in dem stattlichen Anwesen an einem See und stellten weitere sechs vertrauliche Dokumente sowie einige handschriftliche Notizen sicher.

Der Fund ist für Biden in mehrfacher Hinsicht heikel: Zum einen hatte er die Affäre um falsch gelagerte Geheimakten erst am Vortag heruntergespielt: "Da war nichts." Zum anderen wurde die US-Öffentlichkeit über die Durchsuchung erneut erst mit 24-stündiger Verspätung am nachrichtenschwachen Samstagabend unterrichtet, was den Eindruck einer verschleiernden Informationspolitik verstärkt. Den ersten Fund hatte das Weiße Haus zwei Monate lang verschwiegen.

Munition für Republikaner

Schließlich liefert der Vorgang den Republikanern im Kongress frische Munition für ihre mit Verdrehungen und Verleumdungen gespickte Kampagne gegen Biden und zur Entlastung ihres Vormanns Donald Trump, der mehr als 300 vertrauliche Dokumente beiseitegeschafft hatte.

Anders als Trump, dessen Anwesen Mar-a-Lago im vergangenen Sommer Ziel einer FBI-Razzia war, kooperiert Biden mit den Behörden. Die Durchsuchung fand im Einvernehmen statt. Das Weiße Haus selber hatte nach dem ersten Aktenfund Anfang November in einem früheren Büro von Biden bei einer Washingtoner Denkfabrik das Justizministerium eingeschaltet, das nach mehreren weiteren Funden einen Sonderermittler eingesetzt hat.

Insgesamt sind nun nach Medienberichten 25 bis 30 vertrauliche Dokumente in Bidens Privathaus, seiner Garage und seinem Washingtoner Büro aufgetaucht, die eigentlich im Nationalarchiv gelagert werden müssten. Die meisten stammen aus seiner Zeit als Vizepräsident zwischen 2009 und 2017. Doch wurden bei der aktuellen FBI-Durchsuchung auch Papiere aus seiner Senatorenzeit zwischen 1973 und 2009 gefunden.

Kritik auch von demokratischer Seite

"Der Grund, weshalb das passiert, ist, weil er (Biden, Anm. d. Red.) sich einer Untersuchung nicht widersetzt", strich Ian Sams, der Sprecher des White-House-Rechtsberaters, die Unterschiede der Aktenfunde bei Trump und Biden heraus. Dennoch scheint eine Anklage von Trump in diesem politischen Umfeld kaum noch vorstellbar. Und der Ex-Präsident tut alles, um Biden als den eigentlichen Übeltäter darzustellen. "Wann wird das FBI die vielen Häuser von Joe Biden durchsuchen?", hatte er schon vor Tagen gefordert.

Mehrere Ausschüsse des inzwischen vom Trump-Flügel der Republikaner dominierten Repräsentantenhauses haben sich die Untersuchung der Biden-Familie zum obersten Ziel gesetzt. Die unsachgemäße Lagerung der Akten sei "beunruhigend", erklärte James Comer, der republikanische Vorsitzende des Kontrollausschusses. Bemerkenswerte Unterstützung bekam er am Sonntag von Joe Manchin, dem oftmals quertreibenden rechten Demokraten-Senator, der die Lagerung der Papiere "total unverantwortlich" nannte.

Schlamperei und nicht Absicht

Zwar gehen die meisten Beobachter davon aus, dass Biden die Akten aus Schlamperei und nicht aus Absicht verlegte. Doch auch im linksliberalen Lager wächst der Frust über die politischen Kollateralschäden der Affäre. Die New York Times veröffentlichte am Samstag einen Gastbeitrag des Autors Jonathan Alter unter der Überschrift "O Biden, was hast du gemacht?", in dem der Verzicht auf eine erneute Kandidatur nahegelegt wurde.

Biden wollte eigentlich Anfang dieses Jahres bekanntgeben, ob er 2024 für eine weitere Amtszeit antritt. Nun muss er sich erst einmal einen neuen Stabschef suchen. Der bisherige Amtsinhaber Ron Klain, der ihm loyal gedient hat, will laut Medien den Posten bald aufgeben. Solche Wechsel zur Halbzeit einer Administration sind in Washington allerdings nicht ungewöhnlich und haben oft mehr mit der persönlichen Karriereplanung als mit inhaltlichen Gründen zu tun. Die Washington Post nennt den Unternehmensberater Jeff Zients als wahrscheinlichen Nachfolger. Er war bereits seit zwei Jahren als Berater Bidens tätig und koordinierte dabei die Maßnahmen zur Corona-Pandemie. (Karl Doemens aus Washington, 22.1.2023)