Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) blieben im Vorfeld der Reise beim Veto gegen den Schengen-Beitritt Bulgariens.

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Sofia – Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) sind am Montag zu einem Besuch an der bulgarisch-türkischen Grenze in Bulgarien eingetroffen. Der Kanzler wurde von Staatspräsident Rumen Radew auf dem Flughafen Plowdiw mit militärischen Ehren empfangen. Beide ÖVP-Politiker flogen nach dem Empfang per Helikopter gemeinsam mit dem bulgarischen Präsidenten und dem bulgarischen Innenminister Iwan Demerdschiew an die Grenze, um sich ein Bild von der Lage zu machen.

Nehammer forderte vor der Bulgarien-Reise mehr EU-Unterstützung beim Schutz der Außengrenze. Dabei geht es insbesondere um EU-Mittel für einen Grenzzaun auf bulgarischer Seite nach dem Vorbild Griechenlands. Bisher hat sich die EU-Kommission geweigert, Geld für Mauern, Zäune und Stacheldraht zu geben, sie will lediglich Infrastruktur an der Grenze unterstützen.

Die Asylantragszahlen in der Europäischen Union sind vergangenes Jahr deutlich gestiegen – um 46,5 Prozent auf insgesamt 923.911. Österreich liegt mit über 100.000 Asylanträgen europaweit auf Platz vier, im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl hierzulande verdreifacht. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) drängen angesichts dieser Zahlen auf eine Reform des Schengen-Systems. Sie reisen jetzt nach Bulgarien, um dort für einen stärkeren Grenzschutz zu werben.
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Österreich hat wegen der Migrationsproblematik im Dezember ein Veto gegen den Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens eingelegt. Vor dem Besuch betonte Nehammer, das Schengen-Veto Österreichs bleibe so lange aufrecht, "bis sich die Situation grundlegend ändert".

Karner: "System ist kaputt"

In Österreich sind 2022 mehr als 100.000 Migranten aufgegriffen worden. Laut Innenministerium kamen 40 Prozent aus der Türkei über Bulgarien, vor allem Menschen aus Afghanistan, Syrien, Marokko, Ägypten und Somalia. Der bulgarische Migrationsforscher Tihomir Bezlov bezweifelte dies und forderte, sich die Zahlen der irregulären Migranten genauer anzuschauen. Das österreichische Innenministerium reagierte mit einem Verweis auf die hohen Dunkelziffern.

Innenminister Karner sagte am Sonntagabend in der "ZiB 2": "Das sogenannte Schengen-System ist kaputt. Es funktioniert nicht." Karner verwies auf "über 100.000 illegale Aufgriffe", die im Vorjahr an der österreichischen Grenze gezählt wurden. 75.000 Menschen seien zuvor in keinem anderen Land registriert worden. Der Außengrenzschutz müsse robuster werden – auch technisch. Damit seien laut Karner Zäune gemeint.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) verteidigt das österreichische Veto gegen den Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens. Gemeinsam mit Bulgarien will Österreich eine Allianz bilden, um "das System" an der Grenze zu verbessern.
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An den EU-Außengrenzen gebe es allgemein ein Problem, sagte Karner. Auch rechtlich brauche es neue Möglichkeiten. Österreich habe eine Zurückweisungsrichtlinie vorgeschlagen, "weil wir gesehen haben im letzten Jahr, dass wir besonders Asylanträge von Personen aus Ländern hatten, die keine Chance auf Asyl hatten, aber letztendlich das Gesamtsystem belastet hatten". Mit einer Zurückweisungsrichtlinie der EU sollen Migranten, die keine Chance auf Asyl haben, schneller heimgeschickt werden können. Eine neue Richtlinie auf EU-Ebene braucht aber ein gemeinsamen Vorgehen der EU-Mitgliedsstaaten.

Nehammer und Karner sollen an der Grenze laut Programm das regionale Koordinationszentrum der Grenzpolizei nahe der Stadt Elchowo besichtigen. Nach der Rückreise nach Sofia ist auch ein Treffen des Kanzlers mit dem bulgarischen Premierminister Galab Donew vorgesehen. Den Besuch in Bulgarien hatte Nehammer bereits beim Besuch des bulgarischen Präsidenten Rumen Radew zum Neujahrskonzert in Wien angekündigt.

Nehammer und Karner werden unter anderem vom Leiter der Schleppereibekämpfung im Bundeskriminalamt, Gerald Tatzgern, begleitet. Tatzgern erklärte im Vorfeld, der bisherige Grenzzaun, von den bulgarischen Behörden als "technisches Hindernis" bezeichnet, sei zum größten Teil über 155 Kilometer einreihig ausgeführt und stelle für kriminelle Schlepper kein ernst zunehmendes Hindernis dar. Lediglich 80 Kilometer seien zweireihig ausgebaut. Schlepper würden die Schwachstellen des bestehenden Grenzzauns konsequent ausnutzen. Der Migrationsdruck aus der Türkei nach Bulgarien sei nach wie vor sehr hoch, deshalb sei der Ausbau der "technischen Sperren" von entscheidender Bedeutung zur Schleppereibekämpfung, sagte Tatzgern. (red, APA, 23.1.2023)