Das Hickhack um den Leopard-2-Kampfpanzer wird zunehmend zum Nervenkrimi in ganz Europa – und darüber hinaus. Den USA, namentlich Verteidigungsminister Lloyd Austin, geht Berlins Hin und Her, was Lieferungen der Panzer made in Germany in die Ukraine betrifft, längst zu weit, wie die "Süddeutsche Zeitung" am Montag berichtete.

Ein wütendes Wortgefecht habe es am US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein zwischen Austin und dem deutschen Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt gegeben, Washington sei "wütend" auf Berlin und fordere ultimativ jedenfalls die Exportgenehmigung für Drittstaaten ein, hieß es. DER STANDARD beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das deutsche Zögern.

VIDEO: Laut dem polnischen Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bemühe man sich um eine Genehmigung für Panzer aus deutscher Produktion. Man wolle aber auch ohne ein Ja aus Berlin handeln
DER STANDARD

Frage: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat am Sonntag erklärt, Deutschland würde die Lieferung von Leopard-2-Panzern aus Drittstaaten an die Ukraine nicht blockieren. Was bedeutet das?

Antwort: Erst einmal nicht allzu viel. Bis jetzt ist man sich in Deutschlands rot-grün-gelber Ampelkoalition keineswegs einig über einen möglichen – und von den westlichen Partnern zunehmend ungeduldig eingeforderten – Kurswechsel in Sachen Leopard 2: Während etwa FDP-Verteidigungssprecherin Agnes Strack-Zimmermann Deutschland am Wochenende als in dieser Frage "gescheitert" bezeichnete und der Grünen-Abgeordnete Anton Hofreiter wegen des Zögerns Deutschlands Ansehen in der Welt "zerdeppert" wähnt, wägt man in der SPD von Kanzler Olaf Scholz vorerst weiter ab. Es gebe "gute Gründe für und gute Gründe gegen die Lieferung", sagte der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Freitag am Rande des Ukraine-Treffens im US-Stützpunkt Ramstein.

Baerbocks Aussage vom Sonntag in einer französischen TV-Sendung bedeutet nun, dass sich Deutschland als Herstellerland einem möglichen Export des Geräts aus Drittstaaten in die Ukraine nicht entgegenstellen würde. Wenn denn jemand ansucht: "Wir wurden bisher nicht gefragt und (…) wenn wir gefragt würden, würden wir dem nicht im Wege stehen."

Auf dem Münchner Marienplatz baten Demonstrierende am Samstag Deutschland um schwere Kampfpanzer – die einen tierischen Namen tragen.
Foto: IMAGO

Frage: Warum muss Polen überhaupt Deutschland um Erlaubnis bitten, um seine Panzer in die Ukraine schicken zu können?

Antwort: Im Rüstungsgeschäft ist es üblich, dass das Land, in dem etwa ein Panzer gefertigt und von wo aus er verkauft wurde, einer Ausfuhr in Drittländer zustimmen muss. Im Falle des Leopard 2 ist das Deutschland: Produziert werden die quer über den Globus eingesetzten Panzer von der Rüstungssparte des Konzerns Rheinmetall in Düsseldorf.

Polen, einer der vehementesten Unterstützer der Ukraine, hatte Ende vergangener Woche laut darüber nachgedacht, auf dieses Standardprozedere zu verzichten und Leopard-2-Panzer auch ohne Placet aus Berlin in die Ukraine zu schicken. Am Montag meldeten deutsche Medien schließlich, dass Warschau nun offiziell um Ausfuhrgenehmigung angesucht habe – Außenministerin Baerbock dementierte dies kurz darauf. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte aber ohnehin klargestellt: Polen werde Deutschland zwar der Form halber fragen, eine Antwort aus Berlin werde man aber nicht abwarten. Auch die baltischen Russland-Anrainer Lettland, Estland und Litauen riefen Deutschland am Wochenende dazu auf, rasch Leopard-2-Panzer für die Ukraine freizugeben, auch die britische Regierung schloss sich dem Appell an.

Der Leopard 2, hier im Einsatz bei der polnischen Armee, gehört zu den besten Kampfpanzern der Welt.
Foto: REUTERS/Kacper Pempel/File Photo

Frage: Wer besitzt Leopard-2-Panzer?

Antwort: Neben Chile, Singapur, Indonesien und Katar sowie den neutralen Staaten Österreich (etwas mehr als 50 Stück) und Schweiz sind es vor allem Nato-Staaten, die den Leopard-2-Panzer besitzen. Genau deshalb wären die "Leoparden" auch aus logistischen Gründen so wertvoll für die Ukraine. Sie könnten nämlich nicht nur relativ rasch geliefert werden, es gibt aufgrund der breiten Verfügbarkeit auch jede Menge an Know-how und wertvollen Ersatzteilen unter den transatlantischen Partnern der Ukraine.

Auch wenn in vielen Staaten bis zu drei verschiedene Typen des Leopard 2 im Einsatz sind, so unterscheiden sie sich untereinander freilich weniger stark voneinander als Panzer anderer Produktion. Leopard 2 ist in seinem Herstellerland Deutschland in den größten Mengen vorrätig. Laut Zahlen des International Institute for Strategic Studies haben die Deutschen 321 Panzer im Einsatz und weitere rund 200 auf Vorrat. Am nächsthäufigsten ist er im Süden des Kontinents verfügbar, Griechenland besitzt 353, Spanien 327 und die Türkei 316. Mit Polen (247), Finnland (200) und Schweden (120) folgen dann schon drei der glühendsten Unterstützer der Ukraine. Eine Lieferung der österreichischen Kampfpanzer wird aufgrund der Neutralitätspolitik nicht diskutiert.

Frage: Wer entscheidet in Deutschland letztlich über die Lieferung?

Antwort: Kaum eine Woche im Amt, muss sich Neoverteidigungsminister Pistorius schon mit höchst heikler Materie befassen. Beim Leopard 2 habe man es schließlich mit einer schweren Panzerwaffe zu tun, die auch für Offensivzwecke eingesetzt werden könne, mahnte der Minister zu Vorsicht: Vorschnelle Entscheidungen dienten der Sache nicht. Und schlussendlich, fügte er an, werde über Für und Wider einer Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine nicht in seinem Haus, sondern im Bundeskanzleramt entschieden.

Tatsächlich hängt die Entscheidung zumindest vordergründig mehr oder weniger an Kanzler Scholz höchstpersönlich: Mithilfe seiner Richtlinienkompetenz – über die etwa sein österreichischer Kollege nicht verfügt – könnte Scholz zu Beginn einen entscheidenden Impuls in der Frage der Lieferungen setzen. Ohne Scholz, so viel steht fest, geht nichts.

Den Buchstaben des deutschen Gesetzes zufolge muss jeder Rüstungsexport, sei es über Drittstaaten oder direkt aus deutschen Schmieden, aber vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BafA) abgesegnet werden, das zu Robert Habecks Wirtschaftsministerium gehört. Beschlossen wird die Angelegenheit aber zuvor weder direkt im Bundeskanzleramt noch im Bundestag, sondern vom geheim tagenden Bundessicherheitsrat: Dem gehören neben Scholz ingesamt acht Ministerinnen und Minister an, deren Ressorts fachverwandt sind, also etwa Verteidigungsminister Pistorius, Außenministerin Baerbock und Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Das Meinungsbild in Deutschland bietet hierbei keine allzu guten Entscheidungshilfen: Anders als bei Grünen, FDP und einigen Experten gibt es laut Umfragen in Deutschland bisher keine Mehrheit für eine Leopard-Lieferung. Im RTL/NTV-Trendbarometer befürwortete dies nur gut ein Drittel, im ZDF-Politbarometer sind es 42 Prozent, beim ARD-Deutschlandtrend 46 Prozent.

Deutschlands Kanzler Scholz vor einer schwierigen Entscheidung.
Foto: REUTERS/Benoit Tessier/Pool

Frage: Wie würde der Transport der Panzer koordiniert werden?

Antwort: Der Transport der Leoparden – deren Namensgebung übrigens auf einer nie abgeschafften Tradition aus der Nazizeit beruht – ist eine heikle Angelegenheit. Auf Nato-Boden werden die Russen keinerlei Sabotageakte oder gar Angriffe durchführen. Sobald sie aber die Grenze zur Ukraine aus den Nachbarländern Slowakei, Rumänien und Polen passiert haben, gelten die Waffentransporte für Moskau als legitime Ziele. Eine wirklich effektive Luftwaffe würde aufgrund der langen Reise von der West- in die Ostukraine mit den Panzern wohl kurzen Prozess machen. Auch hier haben die Russen in diesem Angriffskrieg aber Mängel erkennen lassen. Dennoch gibt es ausgeklügelte Vorkehrungen.

Koordiniert werden diese einige Kilometer außerhalb der deutschen Stadt Wiesbaden, im International Donor Coordination Center (IDCC) in der Clay-Kaserne, einem US-Stützpunkt. Zunächst aus Polen operierend, laufen dort mittlerweile die Fäden aus Infos aus den 41 militärischen Unterstützerstaaten der Ukraine zusammen. Munition wird organisiert, Instandsetzungen und Reparaturen koordiniert und Transport- und Nachschubwege ausgetüftelt. Je weniger unterschiedliche Waffentypen es gibt, desto leichter die Arbeit der Expertengruppe. 130 Experten sind es aktuell, 300 sollen es schon bald sein, bestätigte das Pentagon im November 2022. Projekt Security Assistance Group Ukraine heißt die Langfristlösung. Eine Viertelmillion Tonnen an Kriegsgerät wurde jedenfalls unter der Koordination des IDCC bereits auf verschiedensten, sich ständig ändernden Routen in die Ukraine gebracht. Züge gelten dabei als die logischen Transportmittel. Beim IDCC gibt man sich aber wenig überraschend verschwiegen.

Frage: Wie finanziert die Ukraine die teuren Panzer?

Antwort: Derzeit gar nicht. Die Ukraine könnte die enormen Summen derzeit nicht stemmen, ist deshalb auf Schenkungen und Kredite aus dem Ausland angewiesen. Diese sind oft zinsfrei und zu besonders guten Konditionen, werden etwa auf Jahrzehnte ohne Inflationsbereinigung gestreckt. Nach einem Kriegsende wird es dann Mittel und Wege geben, diese "Schulden" zurückzubezahlen, sei es durch Beteiligungen ausländischer Firmen am Wiederaufbau der Ukraine oder andere strategische Partnerschaften. Die Finanzierungsfrage wird aktuell aber tatsächlich eher hintangestellt. (Florian Niederndorfer, Fabian Sommavilla, 23.1.2023)