Was bringen Frauen an der Spitze Frauen abseits von dieser?

Foto: Heribert CORN

Wir müssen über noch ein Plakat für den Niederösterreich-Landtagswahlkampf sprechen. Über Sinn und Bedeutung von Wahlwerbungslogans für Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wie "JETZT Niederösterreich" oder "Die Niederösterreich Wahl" wurde bereits hinreichend gerätselt. Ratlos lässt Passant:innen und Zeitungsleser:innen in Wien, die ebenfalls in den Genuss des NÖ-Wahlkampfes kommen, aber auch dieses Sujet zurück: "Was haben Dänemark, Finnland und Niederösterreich gemeinsam? Eine Frau an der Spitze." Bebildert ist das Ganze mit den Regierungschefinnen Mette Frederiksen (Dänemark) und Sanna Marin (Finnland). Und Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner.

Inhalt und Geschlecht

Das gibt zu denken: Ist Niederösterreich inzwischen ein eigener Staat? So wie Finnland? So wie Dänemark? Nein, bis jetzt jedenfalls nicht. So ganz exakt wollte man bei dem Vergleich sicher auch nicht sein, denn es soll offenbar um etwas anderes gehen: um Frauen an der Spitze. Doch was soll das für die Politik eines Landes, oder besser: eines Bundeslandes, heißen?

Gemeinsam haben sie nur das Frausein. Doch ist das für ihr politisches Handeln von Bedeutung?
Foto: Volkspartei Niederösterreich

Nun, die Frage ist schnell beantwortet: Nichts. Es ist erstaunlich, dass insbesondere in der Politik Frausein noch immer als so etwas wie ein moralischer Garant herhalten muss, wenn man es gerade braucht. Dabei müssten wir nur ins benachbarte Italien schauen, wo Giorgia Meloni im Oktober 2022 Ministerpräsidentin wurde – die erste Italiens. Wow. Sie wäre doch auch was für das "Frauen an der Spitze"-Plakat. Blöd nur, dass sie die Chefin der rechtsextremen Fratelli d'Italia ist. Mit rechtsradikalen Frauen möchte man sich also wohl nicht allein aufgrund von Geschlecht in eine Reihe stellen. Bei Sozialdemokratinnen wie Mette Frederiksen und Sanna Marin geht sich das mit dieser diffus angedeuteten Schwesternschaft aber offenbar noch aus, was wohlwissend um die inhaltlichen Differenzen zwischen SPÖ und ÖVP insbesondere für ein österreichisches Wahlplakat allerdings doch erstaunlich ist.

Kurzum: "Eine Frau an der Spitze" ist ein Satz ohne jeglichen politischen Inhalt. Allerdings gibt es die Position, dass Repräsentation zentral für mehr Gleichstellung ist. Dass das arge Ungleichgewicht durch deutlich mehr Männer in höchsten Regierungsämtern weltweit zumindest ein bisschen durch Frauen an der Spitze ausgeglichen wird. Wenn diese Frauen allerdings dieselbe Politik wie die meisten Männer in Machtpositionen machen, dann werden alle anderen abseits dieser Spitzen nichts von dieser Form der Schmalspurdiversität haben.

Modernes "Mutterland"?

Frauen schon gar nicht. Dabei kann der Blick auf Programme von Parteien rasch Klarheit schaffen. In dem von Mikl-Leitner für ihre angestrebte nächste Amtszeit wird angekündigt, dass nun Kinder bereits mit zwei Jahren in die niederösterreichischen Kindergärten kommen können, bisher ging das erst mit zweieinhalb. Das war's aber dann schon mit konkreten Verbesserungen, die konkret vor allem Frauen betreffen. Trotzdem ist im Programm kühn von Niederösterreich als "Mutterland moderner Familienpolitik " die Rede. Dort, wo Kindergärten nur von 7 bis 13 Uhr kostenlos sind. Wer Kinderbetreuung nachmittags braucht, zahlt eine Stundenpauschale. Daran hat sich seit 2017, seit Niederösterreich mit Mikl-Leitner eine Landeshauptfrau hat, nichts geändert. Laut einer Analyse der institutionellen Kinderbetreuung der Arbeiterkammer Niederösterreich für die Jahre 2020/2021 essen weniger als die Hälfte der Kindergartenkinder in Niederösterreich (46,2 Prozent) im Kindergarten auch zu Mittag, 38 Prozent bleiben nur vormittags. Im September 2022, wenige Monate vor der heißen Phase des Wahlkampfes, wurde der Ausbau der Kinderbetreuung, etwa der von Kleinkind-Gruppen, beschlossen. Das ist verdammt spät. Aber immerhin besser als nie.

Sicher, Familienpolitik ist nicht gleich Frauenpolitik. Aber eine fortschrittliche Familienpolitik ist die notwendige Basis für Frauenpolitik. Auch unter diesem Punkt – "Frauen und Gleichberechtigung" – wird geklotzt und Niederösterreich als "Vorreiter der Frauenpolitik" bezeichnet. Eines der zentralen Argumente dafür? Weil Niederösterreich eine Landeshauptfrau hat. Womit wir wieder beim Anfang wären. (Beate Hausbichler, 25.1.2023)