Rätselraten: Dem Film gelingt es, den Mord taktvoll und ohne allzu viele Details zu schildern. Es geht nicht darum, Gewalt an Frauen zu reproduzieren, sondern um die Ermittlungen.

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Es ist ein Krimi, der andersherum aufgezäumt wird. Denn Regisseur Dominik Moll eröffnet In der Nacht des 12. mit der Info, dass es jedes Jahr in Frankreich 800 Morde gebe, von denen 20 Prozent nie aufgeklärt würden. Dieser Geschichte geht es um einen solchen. Sie handelt von einer jungen Frau, die nachts alleine unterwegs ist, von einem Vermummten mit Benzin überschüttet, angezündet und zum Sterben zurückgelassen wird.

Inspiriert wurde die Handlung, die Moll mit Gilles Marchand schrieb, von Passagen aus dem Buch Une année à la PJ von Pauline Guéna. Darin beschreibt die Autorin die alltägliche Arbeit der Kriminalpolizei in Versailles, die sie ein Jahr lang begleitet hatte.

Ascot Elite Entertainment

Moll verlagert seinen Film in die französischen Alpen, in das beschauliche Grenoble. Die Nacht ist der titelgebende 12. Oktober 2016. Yohan Vives (Bastien Bouillon) befindet sich auf der Abschiedsparty seines Bosses, ab nun wird er die Einheit der Kriminalpolizei leiten. Einige Stunden später, etwa 100 Kilometer entfernt, verlässt die 21-jährige Clara Royer (Lula Cotton-Frapier) eine Party ihrer besten Freundin Nanie (Pauline Serieys).

Ihr Zuhause wird die junge Frau aber nicht mehr erreichen. Tags darauf werden Yohan und sein Team an den Tatort gerufen. Nun beginnt das große Rätselraten. Wer könnte zu so einer brutalen Tat, eine junge Frau einfach anzuzünden, bereit gewesen sein? Clara, wie sich bald herausstellt, war, was manche Männer als "easy going" bezeichnen würden: hübsch, voller Lebensfreude, und sie liebte Sex. Den hatte sie meist mit fragwürdigen Typen. Doch wie ihre Freundin Nanie es zum Ausdruck bringt: Clara habe aus keinem anderen Grund sterben müssen, als dass sie "eine Frau war".

Perspektiven und Opfer

Moll gelingt es, den Mord taktvoll und ohne allzu viele Details zu schildern. Ihm geht es nicht darum, Gewalt an Frauen zu reproduzieren, sondern um die Ermittlungen. Er untersucht die Dynamik der Kriminaleinheit, die Vorurteile, die Opfer, die solch eine Arbeit fordern kann. Dabei ist die weibliche Perspektive, die der Film aus dem Quellmaterial mitnimmt, erfrischend.

Yohan und sein Kollege Marceau (Bouli Lanners) mögen der Frustration erliegen, dass sie über die nächsten Jahre keinen Täter finden. Letztendlich sind aber auch sie als Ermittler ein Puzzlestein in einem systematischen Problem, wie die neue Kollegin Nadia (Mouna Soualem), die im letzten Drittel des Films noch einen Auftritt hat, bemerkt. Es sind Männer, die Verbrechen an Frauen begehen, und Männer, die diese aufklären. Etwas liege im Argen an diesem Verhältnis.

Der einzige Wermutstropfen ist, dass der Film nie aus seinem semidokumentarischen Korsett ausbricht. Moll produziert hier zwar keinen klassischen Fernsehkrimi. Das kann er auch gar nicht, da er das Ende schon verrät und sein Augenmerk auf andere Dinge lenken muss. Dennoch hätte es der Film verdient, mit mehr cineastischer Inszenierung und Grandeur präsentiert zu werden. (Susanne Gottlieb, 24.1.2023)