Im Gastblog schreibt Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes über ein Liederbuch, auf das Udo Landbauer bisher nur selten angesprochen wurde.

Aus FPÖ-Sicht erzählt der laufende Wahlkampf die Geschichte der triumphalen Rückkehr eines schuldlos Verfemten. Kurz vor der Landtagswahl 2018 war bekanntlich ein Liederbuch von Landbauers Burschenschaft aufgetaucht und hatte ob seiner skandalösen Inhalte für Aufsehen gesorgt. Dem freiheitlichen Spitzenkandidaten zufolge waren die problematischen Texte freilich aus dem Buch getilgt worden, noch bevor er in die Verbindung eingetreten sei.

Bei einem anderen Liederbuch mit einschlägigem Inhalt steht fest, dass Landbauer dieses kannte.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Von einer temporären Niederlegung seiner politischen Funktionen abgesehen, blieb Landbauer unbeschadet. Noch 2018 zog er, mit einigen Monaten Verspätung, in den niederösterreichischen Landtag ein, 2019 wurde er Landesparteiobmann, heute ist er Spitzenkandidat und wird als Nachwuchshoffnung der Partei für die Bundesebene gehandelt. Herbert Kickl fand am heurigen FPÖ-Neujahrstreffen deutliche Worte für die Wiener Neustädter Liederbuchaffäre: "Ein unglaubliches Schurkenstück ist das das gewesen, ein Kriminalfall, ein politisches Attentat (…) auf unsern Udo Landbauer, Tatwaffe: ein Liederbuch".

Nun sei es Kickl unbenommen, die freiheitliche Lust an der eigenen Opfererzählung zu bedienen. Tatsächlich aber kann Landbauer von Glück sagen, dass die öffentliche Debatte sich 2018 an diesem Liederbuch entspann – und nicht etwa an einem zweiten, das nicht nur neuer und inhaltlich skandalöser ist als jenes der Wiener Neustädter Germanen, sondern für welches Landbauers Kenntnis und Gutheißung auch eindeutig belegt ist, nämlich durch Landbauer selbst. Aber der Reihe nach.

"Junge Patrioten“

Ab 2009 lieh der damals 23-Jährige einer Gruppe namens "Junge Patrioten" sein Gesicht. In mehreren Rundschreiben, die dem Dokumentationsarchiv für österreichischen Widerstand (DÖW) vorliegen, warb er für diese Initiative, der er nach eigenen Angaben aus einem der Briefe (Dezember 2010) "mit Wort und Tat zur Seite" stehe, und ihre Zeitschrift "gegenARGUMENT". Der Trägerverein der "Jungen Patrioten" wurde 2011 aufgelöst – eben zu jener Zeit, als Landbauer die geschäftsführende RFJ-Obmannschaft übernahm. Während die Zeitschrift zum rechtsextremen Grazer Aula-Verlag überging, blieb Landbauer ihr verbunden.

Als etwa Ausgabe 2/2012 die "Gesinnungstyrannei" beklagte, wonach man heute das N-Wort nicht mehr verwenden solle, und als Beilage Sticker mit der Neonaziparole "Hasta la vista antifascista" aufbot, fand sich in derselben Nummer auch ein Landbauer-Interview. Regelmäßig bedienten die anonymen Autoren des "gegenARGUMENT" antisemitische Verschwörungsmythen oder feuerten Breitseiten gegen die Menschenrechte schlechthin: diese gehörten „schnellstens abgeschafft“ beziehungsweise "auf dem Müllhaufen der Geschichte" entsorgt. Dass sie weltweit und "für jeden Menschen" zu gelten hätten, sei "höchst problematisch". Man pochte auf die "rassischen und kulturellen Unterschiede" zwischen Menschen, bezeichnete Multikulturalismus als "Verbrechen an den Völkern und Rassen der Erde" und forderte ein "Recht" ein, "fremde Menschen nicht zu mögen".

Per Brief bewarb Udo Landbauer 2010 die "Jungen Patrioten" und ihr "Liederbüchlein für unterwegs".
Foto: DÖW

Neben der Zeitschrift verzeichneten die "Jungen Patrioten" in der kurzen Zeit ihres offiziellen Bestehens ein zweites Projekt: die Herausgabe eines "Liederbüchleins für unterwegs", das Landbauer – bereits als Generalsekretär der FPÖ-Parteijugend (RFJ) – 2010 in einem der erwähnten Rundschreiben anpries. Um dem "zerstörerischen Zeitgeist" entgegenzuwirken und im Sinne der "Pflege der eigenen Kultur" sollten junge Menschen das Singen traditioneller Lieder praktizieren. Oder, wie es das anonyme Vorwort des Buches (hier zitiert nach der zweiten Auflage von 2010) formuliert: Lieder, "aus denen unsere Art spricht".

Eine Ausgabe des "Liederbüchlein für unterwegs".
Foto: DÖW/Weidinger

Wehrmachtsweisen

Folgt man dieser Ansage, lässt das Buch über "Art" und weltanschauliche Verortung seiner Macher wenig Fragen offen. Zu einem erheblichen Teil besteht die "Liedersammlung für unsere Gemeinschaft" (so das Vorwort) aus genuinem NS-Liedgut, das heißt aus Liedern, die während der NS-Ära von Nazis für Nazis geschrieben wurden. So finden sich darin etwa nicht weniger als acht Lieder aus der Feder des HJ-Barden Hans Baumann. Herbert Napiersky, ein weiterer Co-Autor des Soundtracks zum nazideutschen Vernichtungskrieg, ist mit zwei Liedern vertreten: "Es dröhnet der Marsch der Kolonne" und "Lasset im Winde die Fahne weh'n" ("Alle müssen zur Fahne ste'n / Wenn wir zu Felde traben / (…) Also ruft die neue Zeit / Kameraden, seid bereit!").

Auch ansonsten werden Freunde der Wehrmacht gut bedient: für Luftwaffenfans gibt es die Fallschirmjägerhymne "Auf Kreta", wer es mehr mit der Panzertruppe hält, kommt bei "Ob's stürmt oder schneit" auf seine Kosten ("Was gilt denn unser Leben für unsres Reiches Heer, ja Reiches Heer? Für Deutschland zu sterben, ist uns höchste Ehr'"). Selbst "Der mächtigste König im Luftrevier", das eigentlich aus der Zeit des Ersten Weltkriegs stammt, ist hier in der NS-Version abgedruckt, welche schon in Strophe eins die "Herren der Welt" besingt.

 Den deutschen Kolonialismus romantisiert "Heia Safari" – nicht das einzige Lied mit offen rassistischen Tönen in Landbauers Buch (vergleiche etwa: "N****aufstand ist in Kuba"). Pädagogisch wertvoll auch das "Heckerlied" aus dem 19. Jahrhundert: "An den Darm der Pfaffen, hängt den Edelmann. / (…) Fürstenblut muß fließen, fließen stiefeldick". Das Kapitel "Feierstunde" eröffnet passenderweise mit "Deutschland, Deutschland über alles", selbstverständlich in der dreistrophigen Variante, gefolgt vom Sonnwendfeierhit "Flamme empor" ("Siehe, wir singenden Paare / Schwören am Flammenaltare / Deutsche zu sein!").

Im "braunen Sud"

Es scheint vor diesem Hintergrund nicht frei von Ironie, wenn Landbauer in seinem Werbeschreiben für das Büchlein beklagt, wie schnell man heutzutage "von den Systemmedien als rechtsextrem oder nazistisch gebrandmarkt" werde. Nicht minder originell seine These von 2011, wonach die mediale Berichterstattung schuld an der Attraktivität der FPÖ für Neonazis sei: "Wenn wir ständig dargestellt werden wie die Nachfolgepartei der NSDAP, ist es logisch, dass sich brauner Sud angezogen fühlt."

Seither wurde Landbauer bedauerlicherweise selten auf besagtes Liederbüchlein angesprochen. 2018 gab er in der ORF-Diskussion der Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten zur damaligen niederösterreichischen Landtagswahl zu Protokoll, er stehe zu dem Buch. Es enthalte "keine bösen Lieder", sondern "einfach Volkslieder (…). Das sollen auch unsere Jungen wieder lernen."

Blaue ohne rote Linien?

Freilich: man ist von freiheitlichen Funktionären und Funktionärinnen einiges gewohnt. Gerade unter Kickl und Generalsekretär Michael Schnedlitz wurden bestimmte Verhaltensauffälligkeiten endgültig normalisiert, wenn nicht für explizit erwünscht erklärt. Ob Interviews in rechtsextremen Gazetten wie Info-DIREKT, Klagen über "Überfremdung", Infragestellung von Menschenrechten und NS-Verbotsgesetz, von Antidiskriminierungsgesetzgebung und Verhetzungsparagraph (Interview in der Aula Nr. 3/2012, S. 10), die pauschale Erklärung von Asylwerbenden zu Kriminellen: keiner dieser Aspekte des Landbauerschen Gesamtwerks sprengt den Rahmen dessen, was in der FPÖ anno 2023 als akzeptabel gilt.

Aber ein Liederbuch zu bewerben, das am Lagerfeuer jeder Wehrsportgruppe für Begeisterung sorgen könnte? Das erscheint selbst für die Kickl-FPÖ reichlich steil. Landbauer jedenfalls hat ungeachtet seines noch 2018 erneuerten Bekenntnisses zu diesem Buch seither in der FPÖ Karriere gemacht und steht kurz davor, den größten Wahlerfolg in der Geschichte der niederösterreichischen Landespartei einzufahren. Rote Linien der Abgrenzung nach rechtsaußen scheint die FPÖ nicht mehr zu kennen. Sie werden ihr, so die nicht ganz neue und doch ernüchternde Erkenntnis, von ihrer Klientel aber auch nicht abgefordert. (Bernhard Weidinger, 27.1.2023)

Bernhard Weidinger ist Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU) und im Brotberuf Rechtsextremismusforscher am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW).

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