Zitronella, die sanft blickende Kuh, steht weit hinten in der Halle 25. Die Blicke der Besucher und Besucherinnen zieht davor der stattliche Bulle Condor auf sich. "Mei, ist der lieb", hört man die Nachbarn am Metallzaun sagen. Wer sich von diesem Prachtexemplar eines Simmentaler Rindes losreißen kann, kommt an Schafen und Lämmern vorbei, in der Mitte der Halle werden nervös tänzelnde Pferde durch die große Arena geführt.

Wer durch die Hallen der Grünen Woche im Messegelände in Berlin schlendert, lernt viel. Bei den Tieren herrscht bei der Eröffnung am Freitag wenig Gedränge. Gut für all jene, die es auf ihrem Rundgang, vorbei an rund 1400 Ausstellern aus aller Herren Länder, bis hierher schaffen. Fachleute haben viel Zeit. Sie erklären, welcher Bussard für welche Art von Jagd besonders geeignet ist und woran zu erkennen ist, ob er nervös ist. Ist er nicht, bekommen Interessierte zu hören. Sogar küssen lässt der Greifvogel sich – auf Wunsch eines Besuchers.

An Condor, dem Bullen, kommen Besucher und Besucherinnen in der Messehalle 25 nicht vorbei. Massentierhaltung ist hier nicht Thema.
Regina Bruckner

Die Messe zieht als weltgrößtes Ernährungs- und Agrartreffen hunderttausende Besucher an. Sie suchen Unterhaltung und Gaumenfreuden. "Fressa" hat der Tagesspiegel das Event einst despektierlich genannt. Wer durch den rot-weiß-roten Messebereich flaniert, vorbei an gut zwei Dutzend heimischen Ausstellenden, wähnt sich auf der Alm. Zünftige Hüttengaudi wird geboten, Lederhose und Schuhplattler, Speckjause und Kaiserschmarren.

Ehrlich und authentisch

Alles teuer, auch weil die Österreicher ehrlich, authentisch und unter hohen Standards produzieren. Das beteuern alle hier – egal ob Aussteller oder Politiker. Aus der Agrarbranche ist angereist, was Rang und Namen hat. Allen voran Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger, Bauernbundpräsident Georg Strasser (alle ÖVP).

Deutschlands grüner Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey statteten den Österreichern in Berlin einen Besuch ab. Zu diskutieren gab es wohl einiges.
Foto: Imago/Thomas Bartilla

Es ist die 87. Ausgabe der Messe. Im Februar 1926 fand sie zum ersten Mal statt. "Ausstellung für den Bedarf der Landwirtschaft und verwandter Betriebe" hieß sie schlicht. Jagdschauen und Reitturniere waren die Publikumsmagneten. 1939 rief eine Ernährungsuhr zum Kaloriensparen auf, in den 1950er-Jahren hielten Kiwis, Grapefruits und Avocados Einzug. Umweltschutz bekam ab den 1970ern eine Bühne. Den ersten Biostand bespielte 1998 ein Biobäcker aus Berlin.

Die Zeichen der Zeit konnte man hier immer ablesen. Wichtig ist auch, was nicht zu sehen ist. Russland etwa fehlt heuer, die Ukraine ist als Ausstellerland ebenfalls nicht vertreten. Auch die Proteste gegen die Agrarpolitik gehören seit Jahren dazu. Die Forderungsliste wird immer länger. Mittlerweile ziehen viele unterschiedliche Interessenvertreter an einem Strang. "Massentierhaltung braucht kein Schwein", "Agrarindustrie Tötet!", "Jeder Hof muss zählen" lauten einige der Botschaften.

Nicht nur Klima- und Umweltschützer gehen auf die Straße. Auch die Produzenten sehen sich unter Druck.
Foto: Imago/A. Friedrichs

Voluminöser sind über die Jahre auch die Traktoren geworden, die zum Protest anrollen. In den Hallen der Messe spielen sie kaum eine Rolle. Umwelt- und Klimaschutz sind große Themen – im Hintergrund. Die grüne Transformation der Landwirtschaft, Versorgungssicherheit, all das debattiert man mit Kollegen und Kolleginnen aus anderen Ländern. Die Konsumenten fordern immer mehr davon, die Produzenten setzt das unter Druck. Irgendjemand muss dafür bezahlen. Die Preise, auch sie sind hier Thema.

Billigeres Fleisch aus dem Ausland

Fünf bis zehn Euro das Kilo sei das Wildfleisch aus Neuseeland billiger, sagt Daniel Hold, Aussteller aus dem Mühlviertel. Hold hat die Wildfleischmarke Wüdian mitgegründet. Im Wirtshaus lande das billigere Fleisch aus Neuseeland auf den Tellern, klagt Hold. Weil kaum jemand wisse, woher das Fleisch komme. Herkunftskennzeichnung werde nicht nur in Österreich heiß diskutiert, sagt Wolfgang Burtscher, Generaldirektor für den Agrarbereich in der EU-Kommission bei einem Kamingespräch. Was derzeit in Österreich nur in der Gemeinschaftsverpflegung gilt, soll ausgeweitet werden. Die Kommission plant dazu heuer ein Gesetz.

Käse und viel Folklore hatten selbstverständlich nicht nur die Österreicher im Reisegepäck.
Foto: IMAGO/Political-Moments

Wichtiges Thema für die EU-Agrarpolitik wird laut Burtscher neben Ökologie heuer auch die Frage nach dem Tierwohl sein, etwa ein mögliches EU-Verbot von Käfighaltung. In Österreich gilt das bereits. Auch in Sachen Herkunftskennzeichnung werden hierzulande dicke Bretter gebohrt. Konsumenten wissen bisher auch nicht, ob das Feisch im Fertigknödel aus dem Supermarkt etwa aus den Niederlanden kommt.

Letztere präsentieren sich in Berlin farbenfroh – zwischen "Vertical Farming" und Tulpenmeer. Von Pestiziden, Massentierhaltung und hochgezüchteten Nutztierrassen ist auf der Messe wenig zu sehen. Dort, wo diese komplexen Themen abgehandelt werden, bleiben wenige Besucher unter sich. Zu kompliziert. Energietanken heißt hier, vor allem Käse und Speck aus Österreich, Schnaps aus Kroatien und Salami aus Frankreich zu verkosten.

Klimaschutz, nachhaltige Ernährung, Versorgungssicherheit, alles kompliziert. In Berlin bleiben Interessierte an diesen Sachverhalten eher unter sich. Wieviel Pestizide vertragen die Welt, wieviel brauchen die Landwirtschaft, strittige Fragen, die nicht abschließend geklärt sind.
Regina Bruckner

In Wahrheit geht es um sehr viel mehr. Müssen Kühe angesichts des Umstandes, dass sie Methan in die Welt furzen, der Umwelt zuliebe in den Stall, fragt EU-Mann Wolfgang Burtscher. Reicht es, Landwirte mit finanziellen Anreizen zu mehr klimafreundlicher Bewirtschaftung zu motivieren? Und wie lässt sich die grüne Wende mit Versorgungssicherheit und der Wirtschaftlichkeit der Betriebe vereinbaren? Und was würde ein Handelsabkommen mit den Mercosur-Staaten bedeuten?

Vieles wird in Brüssel verhandelt. Österreich kommt, ohne Allianzen zu schmieden, nicht weit. In Sachen Mercosur will man sich mit Frankreich zusammentun. Zitronella, die sanfte Kuh, tangiert das alles nicht. Sie kaut in ihrem Gehege friedlich vor sich hin. (Regina Bruckner aus Berlin, 24.1.2023)