Es sind viele Sträuße, die Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) ausfechten muss – nicht nur mit dem Koalitionspartner ÖVP.

Fotos: APA / Eva Manhart

Am Geld für die Verkehrswende mangelt es nicht. Im Vorjahr wurden die Finanzmittel für die Bundesländer um 80 Millionen Euro auf 183 Millionen Euro aufgestockt. Damit sollen die Länder ihr Angebot im öffentlichen Verkehr ausbauen.

Die mit der Einführung des Klimatickets bereits deutlich verbilligten Regionaltickets sollen so noch einmal günstiger werden. Kontrolliert werde dies im Nachhinein, sagt Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) im STANDARD-Interview. Beim Gas sei Österreich noch nicht über den Berg.

STANDARD: Im Regierungsprogramm ist eine Mobilitätsgarantie angekündigt. Man soll auch in ländlichen Regionen ohne Pkw auskommen, nicht nur in Städten. Was sind nach dem Klimaticket die nächsten Schritte in diese Richtung?

Gewessler: Das Klimaticket sorgt dafür, dass es einen günstigen Tarif für alle gibt. Das ist einer von drei Faktoren, dass Menschen den öffentlichen Verkehr nutzen. Ein zweiter Faktor ist ein gutes Angebot mit guter Vertaktung auf einer modernen Infrastruktur. Begonnen haben wir mit der Bahn mit einem Rekordinvestitionspaket von 19 Milliarden Euro im ÖBB-Rahmenplan.

STANDARD: Der Bahnausbau dauert Jahre, und allein durch den Ausbau steigt nicht automatisch das Angebot an Zügen. Was verbessert sich?

Gewessler: Seit ich Ministerin bin, ist mit jedem Fahrplanwechsel das Angebot gestiegen. Außerdem haben wir eine Arbeitsteilung mit den Bundesländern, die für die regionalen Angebote wie Busse zuständig sind. Wir haben jetzt mit den Zusatzmitteln für regionale Klimatickets von 80 Millionen Euro einen zusätzlichen guten Rahmen geschaffen, damit die Länder das regionale Angebot ausbauen. Ein dritter Arbeitsschwerpunkt ist der Lückenschluss, also die letzte Meile zum Bahnhof. Das sind Mikro-ÖV-Systeme, also Anrufsammeltaxis oder Busse, die ins Klimaticket integriert werden. Das muss bottom-up von den Gebietskörperschaften kommen, das können wir nicht vom Ministerium aus entscheiden.

Umweltministerin Leonore Gewessler sieht Österreich bei der Verkehrswende auf dem richtigen Weg ...
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STANDARD: Um wie viel Geld geht es dabei, und welche Qualitätskriterien gibt es? Oder bekommen die Länder Millionen überwiesen und machen damit, was sie wollen?

Gewessler: Wir haben mit den Bundesländern genaue Vereinbarungen getroffen. Wir wollen, dass ein Teil der 80 zusätzlichen Millionen in den Tarif geht, damit auch die Bundesländertarife Richtung 365-Euro-Ticket gehen. Der Rest geht in die Angebotsausweitung.

STANDARD: Mit der Verbilligung steigt das Angebot noch nicht. Insgesamt belaufen sich die Kosten für diverse Klimatickets auf 500 Millionen Euro pro Jahr – zusätzlich zu dem inzwischen auf jährlich eine Milliarde Euro gestiegenen Aufwand für die Verkehrsdienstverträge, mit denen das Öffi-Grundangebot finanziert wird. Wie viel geht konkret in Angebotsausweitung, und wie wird es verteilt?

Gewessler: Verteilt wird das Geld nach dem Bevölkerungsschlüssel und gemäß Finanzausgleichsschlüssel. Die genaue verkehrliche Ausgestaltung liegt grundsätzlich in regionaler Kompetenz. Die Länder werden vertraglich nachweisen, dass diese Mittel auch tatsächlich für zusätzliches Angebot eingesetzt werden. Mittel, die in einem Durchrechnungszeitraum nicht vollständig abgeholt werden können, werden gegebenenfalls in den Folgejahren gegengerechnet.

STANDARD: Sind das dann die Mindeststandards für den öffentlichen Verkehr aus dem Koalitionspakt?

Gewessler: Ein Angebot, das gut, günstig, modern und bequem ist, schafft die Nachfrage im öffentlichen Verkehr. Deshalb arbeiten wir konsequent daran, damit wir zu einem guten öffentlichen Angebot kommen. Die Menschen müssen sich ja verlassen können, dass sie in die Arbeit und am Abend auch wieder zurück kommen.

... aber es fehlt bei Öffis noch ein deutlich besseres Angebot.
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STANDARD: Wann soll diese Angebotsausweitung spürbar sein, welche Zeitachse gibt es dafür? Solange es so viele weiße Öffi-Flecken gibt, wird es politisch schwer realisierbar sein, klimaschädliche Subventionen wie das Dieselprivileg abzuschaffen.

Gewessler: Es gibt unterschiedliche Handlungsstränge, vom Abbau klimaschädlicher Subventionen über den Ausbau der Infrastruktur und die Verbesserung des Angebots. Mit jedem Fahrplanwechsel gab es eine Ausweitung des Angebots. Schwerpunkt heuer sind sicher die Ausweitung in der Fläche und der Ausbau des Mikro-ÖV, aber das muss aus den Regionen kommen. Wir können das nicht von Wien aus verordnen.

STANDARD: Das nicht. Aber die Finanzierungsflüsse sind völlig unübersichtlich: Schülerfreifahrten werden aus dem Familienlastenausgleichsfonds über die Länder finanziert, die ihre Öffi-Mittel über den Finanzausgleich bekommen, und der Rest kommt über Verkehrsdiensteverträge vom Bund. Im Regierungsprogramm steht nicht weniger als eine Reform der Finanzierungsstruktur mit einer Zweckbindung. Kommt der große Wurf mit dem Finanzausgleich?

Gewessler: Der öffentliche Verkehr ist immer auch Teil des Finanzausgleichs. Für den großen legistischen Wurf mit einer Reform sind wir erst am Anfang, und wir haben sicher noch Arbeit vor uns.

STANDARD: Das Wifo rechnet 2024 bereits wieder mit kletternden CO2-Emissionen im Verkehrsbereich, der Kraftstoffverbrauch steigt. Greifen die Maßnahmen nicht?

Gewessler: Wir sind sicher noch nicht fertig, das war in zwei Jahren auch nicht zu erwarten. Wir haben eine Vielzahl an Gesetzen und Maßnahmen beschlossen – von der Energiewende über den Bahnausbau, Fahrradinfrastruktur bis zum Erneuerbaren-Wärme-Gesetz und vervielfachten Förderungen. All das zeigt erste Wirkung, und ich erwarte für 2022 sinkende Emissionen. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Wir brauchen dieses Tempo jedes Jahr bis 2040.

STANDARD: Bis 2040 muss sich das Tempo deutlich erhöhen, damit die Klimaneutralität erreicht werden kann – und die Nachfrage nach Treibstoff ist extrem unelastisch. Der Verbrauch wird nicht sinken, die Menschen nehmen hohe Mehrkosten in Kauf, ehe sie den Verbrauch reduzieren.

Gewessler: Wir sehen Veränderungen, weniger junge Leute machen einen Führerschein ...

STANDARD: Das gilt aber nur für den urbanen Bereich ...

Gewessler: Es beginnt immer irgendwo. Und es gibt nicht die eine Einzelmaßnahme, die das Verkehrssystem von heute auf morgen revolutioniert. Man muss sehr viele Dinge gleichzeitig machen. Die Rekordinvestitionen in Erneuerbare oder in die Mobilitätswende sind richtig, obwohl es noch ein paar Jahre dauern wird, bis wir am Ziel sind. Wir müssen aber so realistisch sein: Wir werden auch 2040 noch Auto fahren, aber mit anderen Autos. Deshalb ist der Antriebswechsel in der individuellen Mobilität hin zur Elektromobilität ein großer Schwerpunkt. Die E-Autos sind der Weg hin zum klimafreundlichen Verkehr auf der Straße, deshalb freue ich mich über die Dynamik bei den Neuzulassungen.

STANDARD: Aber das sind ja fast nur Firmenwagen, deren Anschaffung der Staat kräftig fördert ...

Gewessler: Neuzulassungen sind in Österreich traditionell Firmenwagen. Bei Privatkunden dominiert der Gebrauchtwagen, da etabliert sich der Markt für E-Mobilität allmählich.

Der für die Verbreitung von Elektroautos im Privatkundensegment maßgebliche Gebrauchtwagenmarkt sei im Entstehen, sagt Verkehrsministerin Leonore Gewessler.
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STANDARD: Stichwort Energiesparen: Dass Österreichs Gasreserven für den Winter reichten, ist den milden Temperaturen geschuldet. Die von der der EU-Kommission avisierten 15 Prozent Einsparung wurden nicht erreicht, im November waren gar nur fünf Prozent ...

Gewessler: Im Jahresvergleich mit 2021 waren es sogar 20 Prozent weniger Gasverbrauch. Im Fünfjahresvergleich waren es beim Strom minus 10,4 Prozent, das ist die relevante Größe für die EU-Kommission. Wir sind mit relativ hohen Speicherständen in den Winter gegangen, weil wir eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen haben, damit wir gut über den Winter kommen – bis hin zur strategischen Gasreserve als Sicherheitspolster für Notlagen.

STANDARD: Rechnet man die gute Witterung heraus, sind es laut Boku rund fünf Prozent. Je nachdem, wie kalt es wird, wird wohl der Winter 2023/24 zur Herausforderung. Sind Sie da entspannt?

Gewessler: Wir haben viel getan, aber sind nicht über den Berg, in Österreich und in ganz Europa nicht. Wir müssen die Speicher wieder füllen, und das über den gemeinsamen Gaseinkauf der EU. Dafür haben wir lang gekämpft ...

STANDARD: Das wird großteils LNG sein, also Fracking-Gas aus aller Welt?

Gewessler: Die Priorität ist, all das zu ersetzen, was bisher aus Russland kommt. Deshalb bündeln wir die Marktmacht, um Versorgungssicherheit zu haben und uns nicht gegenseitig beim Preis zu überbieten.

STANDARD: Welchen Vorschlag wird Österreich nach Brüssel übermitteln für das neue Strommarktdesign, damit ein hoher Gaspreis nicht zu extremen Strompreisausschlägen führt?

Gewessler: Jetzt ist erst einmal die Kommission dran, im ersten Quartal einen Vorschlag für ein überarbeitetes Strommarktdesign zu machen.

STANDARD: Der spanische Vorschlag scheint für die EU nicht unvorteilhaft?

Gewessler: Die Frage ist, wie legt man die Kosten um auf alle EU-Länder? Denn Spanien hält den Preis für Gas, das der Stromerzeugung dient, künstlich niedrig. Aber dieses Modell umzulegen auf den sehr, sehr vernetzten Strommarkt ist nicht trivial. Denn diese Kosten müssen auf alle Staaten umgelegt werden, bei unterschiedlicher Abhängigkeit. Die Neuordnung ist dringend notwendig, auch weil der Anteil an erneuerbaren Energien steigt, und das muss für die Kundinnen und Kunden spürbar und wirksam sein.

Umweltministerin Leonore Gewessler gibt sich zuversichtlich, dass auch im nächsten Winter genug Gas da ist, um die Versorgung sicherzustellen.
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STANDARD: Fachleute halten die nach der Regierungsklausur gefeierte Beschleunigung von Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und Genehmigungsverfahren für überschätzt und manches gar für verfassungswidrig. Was muss saniert werden im Gesetz, dass etwas weitergeht?

Gewessler: Wie zünden wir den Turbo für die Energiewende? Das war die Hauptaufgabe in der Klausur. Ein Teil ist das UVP-Gesetz mit einem Fast Track für Erneuerbaren-Ausbau. Die Branche ist der Meinung, das kann die Verfahrensdauer halbieren. Ein zweiter Teil ist das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz, und als Drittes die Erhöhung der Mittel für den Photovoltaikausbau, damit jeder, der eine Förderung beantragt, auch eine bekommen kann.

STANDARD: Es ist ja skurril: Die Grünen freuen sich, dass die ÖVP einer von der ÖVP maßgeblich bestimmten UVP-Novelle zustimmt. Was wird jetzt besser im blockierten Entwurf?

Gewessler: Bei der Verfahrensbeschleunigung waren wir sehr einig. Wir haben jetzt zusätzlich ein Bodenschutzkonzept drin – und das noch vor der Einreichung eines Projekts. Das war ein großer und wichtiger Schritt. Wir haben drei Monate intensiv gearbeitet, um Änderungen einzuarbeiten. Das ist für eine so komplizierte Materie gar nicht so lang.

STANDARD: Warum wird die Umrüstung der Energieanlagen der Industrie nicht erfasst von der Verfahrensbeschleunigung? Die brauchen am meisten Gas in Österreich.

Gewessler: Wir haben für die Industrie gerade 5,7 Milliarden Euro beschlossen – für die große Transformationsoffensive bis 2030. Dort ist die große Unterstützung gesichert. Und die Industrie wird von der UVP-Beschleunigung auch profitieren.

STANDARD: Damit Österreich seine Energie bis 2040 komplett aus erneuerbaren Energien gewinnen kann, muss nicht nur der Ausbau der Erneuerbaren beschleunigt werden, sondern auch der Energieverbrauch deutlich reduziert werden. Der Entwurf zum neuen Effizienzgesetz gibt ein Ziel dazu vor, aber verbindliche Maßnahmen fehlen ebenso wie Sanktionsmöglichkeiten – zu welchen Mitteln greifen Sie, wenn die Ziele verfehlt werden?

Gewessler: Wir haben mit dem Energieeffizienzgesetz ein ambitioniertes Ziel als gesetzliche Verpflichtung – erstmals auch als Verpflichtung für die Bundesländer. Und Gesetze müssen auch eingehalten werden.

STANDARD: Gesetzlich festgeschriebene Ziele werden regelmäßig gerissen. Wird es beim Klimaschutzgesetz solche Mechanismen geben, die greifen, wenn zu viele Emissionen ausgestoßen werden?

Gewessler: Ein gutes Klimaschutzgesetz braucht eine gute institutionelle Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure, aber auch einen verbindlichen Mechanismus, der uns sagt, was passiert, wenn man die Ziele verfehlt. Und das ist eines der Themen, die wir diskutieren.

STANDARD: Wenn es nicht bald eine Einigung gibt – ist es dann eine Option, die Koalition platzen zu lassen?

Gewessler: Jedes einzelne Gesetz, das wir in dieser Regierung beschlossen haben, hat viel Widerstand gehabt, und jedes einzelne Gesetz ist am Ende gekommen. Auch das Klimaschutzgesetz wird kommen. (Luise Ungerboeck, Alicia Prager, 24.1.2023