Im Gastkommentar widmet sich die niederösterreichische Schriftstellerin Cornelia Travnicek dem Landtagswahlkampf. Und sie fragt sich: "Liegt es an der Landesebene, diesem mittleren Kind", dass sich ÖVP und SPÖ "dermaßen genötigt fühlen, alles zu sein, nur nicht einfach sie selbst?".

Wahlwerbung der ÖVP für die Landeshauptfrau im weiten Land – und auf dem Plakat manchmal sogar über die Landesgrenzen hinaus.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Mein Bekanntenkreis und ich sind der Albtraum eines jeden Wahlkampfteams, wir sind gestandene Wechselwähler:innen, bis zu drei Parteien umfasst unser potenzielles Wahlspektrum, je nach Wahlebene unter Umständen sogar jedes Mal andere, und mit keiner sind wir wirklich einer Meinung. Für die Parteien bedeutet das, sie müssen für uns Kampagnen entwerfen und Geld ausgeben, für uns bedeutet das, wir müssen uns das Ergebnis ihrer Bemühungen ansehen, und somit sind beide Seiten miteinander gestraft.

Das Erfreuliche am aktuellen Wahlkampf in Niederösterreich ist seine gefühlte Kürze. Nach diversen Herbstfeiertagen, Advent, Weihnachten und Silvester kam er für Menschen mit der durchschnittlichen Menge an Alltagssorgen beinahe überraschend. Angesichts der Wahlplakate, die nach Jahreswechsel zum ersten Mal so richtig ins Auge sprangen, wusste so manch eine:r vielleicht erst einmal gar nicht, ob man es nun mit einer Gemeinde-, Landes- oder Bundeswahl zu tun hatte. Kurz darauf beantworteten dann diverse Aufsteller der "Niederösterreich-Partei" diese Frage ganz nebenbei.

Gestaltwandlung in Blau-Gelb

Aufsteller der "Niederösterreich-Partei"? Welche Neugründung oder Abspaltung ist das nun wieder, werden sich vielleicht Leser:innen aus anderen Bundesländern eben verwundert gefragt haben. Ich kann Sie beruhigen, es handelt sich dabei nur um die neueste Gestaltwandlung der ÖVP in Blau-Gelb – für die einen fröhlicher Lokalpatriotismus, für die anderen die offensichtlichste Dissoziation von der Bundespartei der Welt. Diese Konzentration auf alles Niederösterreichische hält die VPNÖ allerdings nicht davon ab, "unsere Landeshauptfrau" auch fleißig in Wien zu bewerben, was bei manchen Wiener:innen wiederum ebenfalls Verwirrung ausgelöst haben dürfte. Befragte Politikwissenschafter:innen sehen durchaus einen Sinn in der Aktion, weisen aber darauf hin, dass diese nur mit einem entsprechenden Wahlkampfbudget und darum eben nur für die ÖVP finanzierbar ist. Angesichts diverser anderer Wahlkampfausgaben der VPNÖ erhält man somit leicht den Eindruck, sie stelle sich bezüglich der Wahlbudget-Millionen die Frage: "Wie werd ich sie los in zehn Tagen?"

Größtmögliche Annäherung

Auch andere Parteien beweisen einen gewissen Hang zur Transidentität oder zur gar gespaltenen Persönlichkeit. Das Sujet mit dem SP-Spitzenkandidaten und dem Schriftzug "Der rote Hanni", in Anlehnung an VP-Landeshauptfrau Johanna "Hanni" Mikl-Leitner, erlangte binnen kürzester Zeit heitere Netzberühmtheit. Als Texterin tut mir das Herz weh, dass diese Kampagne an einen Franz verschwendet wurde, anstatt damit auf einen Johannes oder zumindest etwas auch nur annähernd Passendes zu warten. Als Sinologin muss ich dem Wahlkampfteam zugestehen, dass es zumindest verstanden hat, wie man in einer Ein-Parteien-Herrschaft mit starker Führungspersönlichkeit die Machtübernahme vorbereitet: Mit der größtmöglichen persönlichen Annäherung des neuen Kandidaten an die aktuelle Führung. Dass die Ausführung dieses Schachzugs aufgrund fehlender Übung noch ungeschliffen daherkommt, kann man so nur halb übel nehmen.

"Die Assoziation mit der Bundesebene ist im Landeswahlkampf oft eher hinderlich."

Auf Bezirksebene agiert die SPÖ zwar in ihrer Markenfarbe Rot, macht aber den ÖVP-erprobten Schachzug, die "Junge Generation" vorzuschicken: So wurde in Tulln zum Beispiel mit den Worten "Am 29. Jänner ist Valentinstag" Werbung für den JG-Kandidaten gemacht, dessen Vorname zumindest das Wortspiel rechtfertigt. Nachdem die Wahlgeschenke ebenfalls nur im JG-Branding daherkommen, musste man den Blick schon zum Aufdruck auf dem Parteipavillon heben, um zu wissen, mit wem man es eigentlich zu tun hat.

Liegt es an der Landesebene, diesem mittleren Kind, dass sich die beiden Parteien dermaßen genötigt fühlen, alles zu sein, nur nicht einfach sie selbst? Denn während auf Gemeindeebene im ländlichen Raum die Parteizugehörigkeiten bekanntermaßen oft egal sind, weil ohnehin jede:r jede:n kennt und nach persönlicher Sympathie wählt, ist die Assoziation mit der Bundesebene im Landeswahlkampf oft eher hinderlich. Es bleibt die Befürchtung, dass die Farbcodes und Selbstbenennungen der NÖ-Parteienlandschaft für Außenstehende bald unübersichtlicher sind als die der LGBTQIA-Community.

In bester Millennial-Manier

Die anderen Parteien zeigen sich etwas weniger experimentierfreudig in ihren Kampagnen. Bei den Neos finde ich persönlich immer sehr – wie man im Internet gerne sagt – relatable, wie sie die Zerrissenheit des menschlichen Daseins allgemein, und die oft gegebene Ambivalenz der eigenen politischen Überzeugungen innerhalb einer Person im Speziellen, in der Diskrepanz zwischen grundlegender Parteienphilosophie und Wahlkampagnen-Inhalten abbilden. Wer teilt noch diese Erheiterung auf Metaebene?

Dagegen macht die FPÖ einen nahezu gefestigten, um nicht zu sagen: in bester Millennial-Manier Instagram-therapierten Eindruck, wenn sie sich mit Slogans präsentiert, die man auch als Selbstaffirmation lesen könnte, wie "Es geht auch gerecht" oder in Bezug auf Korruption "Es geht auch sauber". Und die FPNÖ assoziiert sich sogar so heftig mit ihrer Bundespartei, dass sie den (auf Landesebene) unwählbaren Herbert Kickl plakatiert.

Im Jetzt leben

Vielleicht sind auch im grünen Marketing-Team ein paar Sinolog:innen untergekommen, denn deren Spitzenkandidatin steht auf den Plakaten vor ihrem großgedruckten Vornamen, der passenderweise ebenfalls mit H beginnt, und ihre Frisur weist auch ausreichend Ähnlichkeit mit der amtierenden Landeshauptfrau auf. Die Grünen fordern allerdings sehr vieles für ein "Morgen" ein und vergessen dabei: Die wichtigste Mental-Health-Message ist, dass man im Jetzt leben soll und dass jedes Morgen mit einem Heute anfängt.

Allen, die angesichts der angestrengten/anstrengenden Parteienbemühungen nicht nur weiterhin unentschlossen, sondern zunehmend unwillig sind, möchte ich für den Wahlkampf-Endspurt diesen Gedanken mitgeben: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Demokratie ist, wenn man trotzdem wählt. (Cornelia Travnicek, 24.1.2023)