Gottfried Küssel (Dritter von links) nahm am Begräbnis von Herbert Bellschan-Mildenburg teil.

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Der Neonazi Gottfried Küssel war ebenso gekommen wie Burschenschafter und ehemalige FPÖ-Politiker. Sie versammelten sich am 12. November des vergangenen Jahres auf dem Friedhof Annabichl in Klagenfurt beim Begräbnis von Herbert Bellschan-Mildenburg.

Der 98-jährige Verstorbene war eine Art Ikone der rechtsextremen Szene. Trotz seines hohen Alters tingelte er durch Österreich und Deutschland, um in Hinterzimmern über seine Zeit bei der Waffen-SS zu reden. Besser gesagt, zu schwärmen. Er war einer jener "Zeitzeugen", die lieferten, was ihr Publikum gerne hörte: den Zweite Weltkrieg als Abenteuergeschichte samt Verklärung der SS und Leugnung derer Verbrechen.

Bellschan-Mildenburg sprach 2012 auf dem Ulrichsberg.
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Aus seinem Weltbild machte Bellschan-Mildenburg auch vor laufenden Kameras kein Hehl. In der Spiegel-TV-Dokumentation "SS – Die letzten Zeugen" nennt er den SS-Führer Heinrich Himmler, einen der Hauptorganisatoren des Holocausts, einen "sauberen Mann" mit "anständigem Charakter", der nur "das Beste für das deutsche Volk wollte". Weiters betont er, für ihn existiere das "Wort Auschwitz" nicht. Auch interessiere es ihn nicht, ob die Juden und Jüdinnen von den Nazis "vergast oder erschossen worden sind". Diese seien aber immer noch "unsere Feinde", sagte er dem TV-Team, als die Kamera ausgeschaltet war.

Österreichweit sorgte Bellschan-Mildenburg im Jahr 2012 für Schlagzeilen, als er auf dem sogenannten Heimkehrer-Treffen auf dem Ulrichsberg in Kärnten eine Festrede hielt, obwohl die Veranstalter dies zuvor öffentlich ausgeschlossen hatten. Man wollte einem SS-Mann nicht das Wort erteilen. Bei dem Treffen auf dem Ulrichsberg zählen seit Jahrzehnten ehemalige Mitglieder der Waffen-SS, Rechtsextremisten und Politiker von FPÖ, SPÖ und ÖVP zu den Stammgästen. Die Treffen haben mittlerweile stark an Bedeutung verloren, nachdem sich das Bundesheer 2009 von der Veranstaltung zurückgezogen hat.

Der rechte Aufmarsch bei dem Begräbnis von Bellschan-Mildenburg hat ein juristisches Nachspiel. Auf einem Trauerkranz war nämlich "Seine Ehre hieß Treue" zu lesen, eine Abwandlung von "Meine Ehre heißt Treue", des Wahlspruchs der SS.

Der Trauerkranz sorgte für ein juristisches Nachspiel.
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Als Bilder der Trauerfeier in Klagenfurt auf Twitter auftauchten, alarmierte das den ehemaligen Abgeordneten der Grünen, Karl Öllinger: Er schrieb eine Sachverhaltsdarstellung, die an die Staatsanwaltschaft Klagenfurt ging. "Der alte Nazi und SS-Mann ist zwar tot, aber mit dem SS- Spruch soll die mörderische Ideologie weiterleben. Das geht gar nicht", sagt Öllinger. Die Behörde hat daraufhin Ermittlungen wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetz eingeleitet.

In Österreich sind Abzeichen und Symbole der SS verboten, ebenso dürfen Autokennzeichen die Buchstabenkombination "SS" auf dem Nummernschild nicht tragen.

Die SS (Schutzstaffel) war eines der wichtigsten Terror- und Unterdrückungsorgane im NS-Staat, sie ist untrennbar mit der Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden verbunden. In ihrem Verantwortungsbereich fielen ab 1934 Betrieb, Bewachung und Verwaltung von Konzentrations-, ab 1941 auch von Vernichtungslagern, sie war sowohl an der Planung als auch an der Durchführung des Holocausts und anderer Völkermorde vorrangig beteiligt.

Das Massaker von Oradour

In Frankreich steht die kleine Ortschaft Oradour für die außerordentliche Grausamkeit der SS. Eine Einheit der SS-Division "Das Reich" überfiel das Dorf am 10. Juni 1944. Sie erschoss die Männer des Ortes in Scheunen und Garagen und trieb Frauen und Kinder in der Dorfkirche zusammen. Dort wurde zuerst eine Art Gasbombe gezündet, sodass viele der Zusammengepferchten erstickten. Anschließend schoss die SS mit Maschinengewehren in die Kirche und zündete sie an. Es starben 643 Menschen, darunter 255 Frauen und 207 Kinder.

Bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen nach 1945 wurde die Waffen-SS als verbrecherische Organisation eingestuft. Wegen seiner Verstrickung in unzählige Verbrechen wurde 1946 der damals ranghöchste noch lebende SS-Mann, der gebürtige Oberösterreicher Ernst Kaltenbrunner, in Nürnberg hingerichtet. Der Gerichtshof kam in seinem Urteil zu dem Schluss, die SS habe verbrecherischen Zwecken gedient: "Sie bestanden in der Verfolgung und Ausrottung der Juden, Brutalitäten und Tötungen in den Konzentrationslagern, Übergriffen bei der Verwaltung besetzter Gebiete, der Durchführung des Zwangsarbeiterprogramms und der Misshandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen."

Ein Überbleibsel der berüchtigten Kameradschaft IV

Der Kranz auf dem Grab von Bellschan-Mildenburg kam, wie die Schleife verriet, vom "Soldatenverband Kameradschaft IV – Landesgruppe Steiermark-Südburgenland". Der in Graz ansässige Verein ist ein Überbleibsel der berüchtigten Kameradschaft IV (K IV), einer 1954 gegründeten SS-Veteranenorganisation, die sich 1995 selbst auflöste, als ein Verbot wegen NS-Wiederbetätigung im Raum stand. Die Landes- und Unterorganisationen bestanden jedoch in Wien, Wiener Neustadt, Krems, Linz, Salzburg, Klagenfurt und Graz weiter.

Die mit der Kameradschaft IV verbundene Zeitschrift "Die Kameradschaft".
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Neben der "Kameradschaft IV Land Kärnten" ist noch die "Landesgruppe Steiermark-Südburgenland" als Verein aktiv. Mitglieder dieser Gruppe nahmen am Begräbnis von Bellschan-Mildenburg teil. Es war eine kleine Gruppe, keine zehn Personen. Allerdings zeigte sich, dass es offensichtlich gelungen ist, einige jüngere Männer an sich zu binden. Bei der Trauerfeier war auch ein Mann zu sehen, der vor Jahren im Raum Mariazell im Milieu militanter Skinheads und der FPÖ aktiv war. Nach der Trauerzeremonie besuchten Teilnehmer und Teilnehmerinnen ein weiteres Grab auf dem Klagenfurter Friedhof: jenes des ehemaligen NS-Gauleiters Friedrich Rainer, auf dessen Grabstein eine Rune prangt, die auch im Nationalsozialismus verwendet wurde. Zudem ist ein Zitat Adolf Hitlers eingraviert – diese Kombination ist für die Grünen strafrechtlich bedenklich. Sie haben Anzeige erstattet.

Der Geist der SS

Das Begräbnis zeigte, dass von der Kameradschaft IV (K IV) nicht mehr viel übrig ist. Dabei war sie über Jahrzehnte eine der mitgliederstärksten rechtsextremen Gruppierungen Österreichs. In vielen Städten und Ortschaften trafen bis in die 1990er-Jahre regelmäßig größere Runden ehemaliger SS-Männer zusammen. In Wien fanden die Treffen an jedem zweiten Donnerstag in einem Restaurant auf der Mariahilfer Straße statt. Ihre größeren Veranstaltungen atmeten allein durch die Art ihrer Durchführung den Geist der SS: Dazu gehörten die gesungenen Lieder, das Zurschaustellen von Orden sowie die dabei benutzten Objekte wie Wappenschilder von Waffen-SS-Divisionen. Ihre Zeitschrift "Die Kameradschaft" las sich stellenweise wie das Zentralorgan einer neonazistischen Partei: Leugnung der Kriegsschuld, Verharmlosung von NS-Verbrechen oder Rassismus waren darin zu finden. Gemeinsam traten die SS-Veteranen mit Neonazis bei Veranstaltungen und Begräbnissen auf.

Kameradschaft IV auf dem Ulrichsberg.
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Obwohl die K IV keinen Zweifel an ihrer politischen Ausrichtung ließ, wurde sie seitens der Politik hofiert. An ihren Veranstaltungen nahmen auch hochrangige Vertreter von FPÖ, ÖVP und SPÖ teil. Sie kamen aus ideologischen und opportunistischen Gründen, jedenfalls wollten sie im Teich der ehemaligen SS-Männer und deren Familien nach Stimmen fischen. Die K IV veranstaltete traditionell einen Tag vor dem Ulrichsbergtreffen einen Kameradschaftsabend in Krumpendorf am Wörthersee, der 1995 durch den Auftritt des damaligen FPÖ-Parteichefs Jörg Haider in die Schlagzeilen kam. Haider bezeichnete die Anwesenden als "anständige Menschen", die "einen Charakter haben und die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung treu geblieben sind". Es war ein Lobgesang auf die anwesenden SS-Männer.

ÖVP-Politiker: "Das waren schneidige Hunde"

Beispielhaft für den Umgang mit den SS-Veteranen war auch jener des steirischen VP-Landtagspräsidenten Franz Wegart, der 1992 den Ehrenschutz für eine Festveranstaltung der Kameradschaft IV übernommen hatte und damit Proteste auslöste. Wegart bezeichnete sich selbst gegenüber dem "Kurier" als "altes Frontschwein" und die SS-Veteranen als "ehrenwerte alte Herren, weder Faschisten noch Nazis", die er selbst "an der Ostfront erlebt" habe: "Das waren schneidige Hunde, da kann einer sagen, was er will." Ihm selbst gehe es "ausschließlich um die Ehre der Soldaten". Die K IV verzichtete nach Protesten aus eigenen Stücken auf den Ehrenschutz. Der damalige Landtagspräsident nahm schließlich als "Privatmann" an der Veranstaltung teil. Immerhin hatte er im Vorfeld der Veranstaltung ebenfalls gesagt, dass ein ehemaliger KZ-Wächter "keine Chance" hätte, von ihm die Hand gereicht zu bekommen. Wegart musste wissen, dass SS-Männer auch für die Bewachung von Konzentrations- und Vernichtungslager zuständig waren.

Der damalige ÖVP-Parteichef Erhard Busek sagte, er sei zwar "nicht glücklich" über die Entscheidung Wegarts, trat aber für die "Eigenverantwortlichkeit" von Politikern ein. Busek bezeichnete die Aussagen Wegarts als "eben die Sprache einer Generation", die noch den Krieg erlebt habe. Der Grazer FPÖ-Vizebürgermeister Peter Weinmeister, der ebenfalls den Ehrenschutz für die umstrittene Veranstaltung übernommen hatte, sagte derweil, man tue der K IV "schwer unrecht, wenn man sie zu einer Horde von Verbrechern" abstemple.

"Pflicht erfüllt"

Nicht als "Horde von Verbrechern" gesehen zu werden, darum ging es auch der K IV. Der Verein wollte die Geschichte ihrer Mitglieder verbissen weißwaschen, sie seien "normale Soldaten" gewesen, die einfach "ihre Pflicht erfüllt haben". Ihnen half, dass im Nachkriegsösterreich die NS-Zeit für viele Menschen ein Thema war, über das sie lieber schwiegen und das sie verdrängten. Es gab nur wenige Prozesse gegen Nazi-Verbrecher, die auch im Sand verliefen. So wurde das Verfahren gegen SS-Oberscharführer Karl Josef Silberbauer eingestellt, jenem Polizisten, der Anne Frank und deren Familie am 4. August 1944 in Amsterdam verhaftet hatte. Silberbauer arbeitete ab 1954 als Polizist in Wien, bis er vom "Nazijäger" Simon Wiesenthal aufgespürt wurde.

SS-Führer Heinrich Himmler (li.), KZ-Kommandant Franz Ziereis und Ernst Kaltenbrunner besichtigen das Konzentrationslager Mauthausen, aufgenommen 1941.
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Dabei ist die Bezeichnung "Kameradschaft IV" schon der Versuch einer Geschichtsfälschung. "IV" steht für die vierte Waffengattung, neben Heer, Luftwaffe und Marine. Zwar unterstand die SS im Fronteinsatz demselben Kommando, sie war nie Teil der Wehrmacht. Dies hielt Adolf Hitler bereits 1941 in einem Schreiben ausdrücklich fest. Demnach sei die Wehrmacht "einzig und allein zum Einsatz gegen äußere Feinde des Reiches bestimmt", während die Waffen-SS auch im Inneren eingesetzt wurde. Die Aufrechterhaltung der Autorität im Inneren brauche "Männer besten deutschen Blutes", die sich "ohne jeden Vorbehalt mit der das Großdeutsche Reich tragenden Weltanschauung" identifizierten. Die K IV stellte sich bewusst in diese Reihe, da die Soldaten der Wehrmacht von der Mehrheit der Bevölkerung als "normale Soldaten" gesehen wurden. Das änderte sich erst in den 1990er-Jahren, als die Verbrechen der Wehrmacht auch hierzulande ein Thema wurden.

Der Polizeidirektor als K-IV-Mitglied

Die K IV wurde von vielen Menschen in Österreich nicht als ein Verein von und für Kriegsverbrechern gesehen und fügte sich in die Nachkriegsgesellschaft ein. Aktive Offiziere des Bundesheeres waren ebenso in ihren Reihen zu finden wie Johann Biringer, seines Zeichens ehemaliger Polizeidirektor von Salzburg. Biringer diente selbst in einer SS-Einheit, die unter anderen im Juni 1941 in der Region Minsk an "Säuberungsaktionen" vor allem gegen Juden und Partisanen beteiligt war. Nach dem Krieg trat er der SPÖ bei und machte Karriere. Bei der alljährlichen Kranzniederlegung zu Ehren der gefallenen SS-Angehörigen auf dem Salzburger Kommunalfriedhof nahm er sogar in seiner Uniform als Polizeidirektor teil. Franz Fekete, der langjährige SPÖ-Bürgermeister der steirischen Industriestadt Kapfenberg, trat schon vor dem Zweiten Weltkrieg der SS bei, zu den Aufgaben seiner Totenkopf-Einheit gehörte die Bewachung von KZs.

Innig waren die Verbindungen zur FPÖ, deren erster Parteichef, Anton Reinthaller, ein SS-General (Brigadeführer) war. Sein Nachfolger Friedrich Peter war in einer SS-Mordbrigade aktiv und später ein Mitglied der K IV.

Im Jahr 2010 verteidigte der damalige FPÖ-Generalsekretär und heutige Parteichef Herbert Kickl in der ATV-Diskussionssendung die langjährige Mitgliedschaft des damaligen steirischen FPÖ-Spitzenkandidaten Gerhard Kurzmann bei dem SS-Traditionsverein: "Da werden wir uns nicht darauf verständigen können, dass ein Verein als solcher oder eine Einheit wie die Waffen-SS kollektiv schuldig zu sprechen ist."

Betreuung von KZ-Wächtern

Zu den Mitgliedern der K IV gehörte auch Sylvester Stadler, Kommandeur der 9. SS-Panzer-Division "Hohenstaufen". Zuvor war er der direkte Vorgesetzte Adolf Diekmanns, der für das Massaker in Oradour verantwortlich war. Oder Otto Kumm, der Kommandeur der an zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligten 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division "Prinz Eugen". Kumm war einer der Mitbegründer der deutschen HIAG, der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS, die unter anderem inhaftierte KZ-Wächter betreute, weil sie Mitglieder der SS waren.

Hitlers persönliche "Leib- und Prügelgarde"

Die SS wurde 1925 von Hitler als persönliche "Leib- und Prügelgarde" gegründet. 1934 wurde sie eine selbstständige Organisation, die ihm direkt unterstellt war. Ab 1934 waren SS-Männer für die Bewachung von Konzentrationslagern zuständig. In der Zeitung "Für die Waffen-SS" wurden sie ausdrücklich für diesen Dienst gelobt. Ihnen sei es zu verdanken, dass diese "Inseln blieben, aus denen das Gift der inneren Zersetzung niemals wieder in den Volkskörper der Heimat gelangen konnte", hieß es im Jahr 1939 in dieser Zeitung.

Die Bezeichnung "Waffen-SS" führte der Reichsführer-SS Heinrich Himmler im Oktober 1939 ein, als SS-Verfügungsdivision, SS-Division Totenkopf und SS-Totenkopfverbände zusammengeführt wurden. Der Soldat der Waffen-SS sollte nach der Nazi-Ideologie ein fanatischer Träger der nationalsozialistischen Weltanschauung sein. Der Freiwillige der Waffen-SS war ein "politischer Soldat". 1938 hatte der Verband erst 7.000 Mitglieder. Zum Kriegsende wurde aus dem Eliteverband eine eher zusammengewürfelte Truppe mit bis zu 914.000 Mann. (Markus Sulzbacher, 9.3.2023)