Es ist ein für unsere Zivilisation geradezu typischer Widerspruch: Eines der vielversprechendsten technologischen Werkzeuge zur Bekämpfung des Klimawandels verursacht selbst enorme Emissionen. Künstliche Intelligenz wird schon heute dafür eingesetzt, Klimamodelle zu verbessern, Treibhausgasquellen zu identifizieren, ressourcenschonendere Landwirtschaft zu betreiben oder die Industrieproduktion effizienter und damit energiesparender zu machen. Gleichzeitig benötigen KI-Systeme aber selbst sehr viel Energie. Je mehr Daten sie verarbeiten, desto größer wird auch ihr CO2-Ausstoß. Dennoch sehen Fachleute ein enormes Potenzial darin, die Welt durch richtig eingesetzte Algorithmen nachhaltiger und grüner zu machen.

Der Großteil der globalen Landfläche ist bereits vom Klimawandel betroffen, wie eine KI-basierte Metaanalyse ergab.
Illustration: Midjourney

Ein Beispiel dafür ist die Energiewirtschaft. In diesem Bereich gilt künstliche Intelligenz, vor allem Algorithmen des maschinellen Lernens, als Schlüssel zu deutlich mehr Effizienz und bedarfsorientierter Versorgungssicherheit. Durch eine Kombination aus historischen Daten, Satellitenbeobachtungen und Wettermodellen lassen sich etwa komplexe Prognosen für den zu erwartenden Energiebedarf verbessern. Das ist vor allem für erneuerbare Energieträger wie Wind- und Solarenergie wichtig, sagt Irene Schicker von Geosphere Austria, dem neuen Zusammenschluss der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik und der Geologischen Bundesanstalt des Wissenschaftsministeriums.

Prognosen für die Energiewende

Da diese erneuerbaren Systeme nicht ständig gleich viel Strom produzieren können, ist ihre effiziente Nutzung und Ergänzung entscheidend. Um Angebot und Nachfrage im Stromsektor nach klimaschonenden Gesichtspunkten optimal abstimmen zu können, braucht es möglichst zuverlässige Vorhersagen. "Muss ich damit rechnen, dass es kälter wird und mehr geheizt werden muss oder im Sommer mehr Energie für Klimaanlagen gebraucht wird, wenn gleichzeitig wenig Windgeschwindigkeit zu erwarten ist? Das sind wichtige Prognosen für die Energiewirtschaft", sagt Schicker, die selbst an der Verbesserung von Vorhersagen für Wind- und Solarenergie arbeitet. In diesem Bereich werden Prognosen für 48 Stunden erstellt, jede Stunde neu gerechnet, mit einer zeitlichen Auflösung von etwa zehn bis 15 Minuten.

In vielen anderen Bereichen lassen sich durch KI ebenfalls mehr Effizienz und damit Ressourcenschonung erreichen, etwa in der Logistik, in der Industrie oder im Verkehrssystem. Längst verändert hat die Anwendung intelligenter Algorithmen auch die Klimaforschung und die Meteorologie. "Die Anwendungen werden von Tag zu Tag mehr und sind sehr vielfältig", sagt Schicker. "Künstliche Intelligenz wird inzwischen in allen Bereichen eingesetzt, etwa zur Datenqualitätskontrolle, zum Filtern von Daten, um Muster aufzuspüren oder Kausalitäten. In Vorhersagemodellen geht es zunehmend darum, rechenaufwendige Schritte zu ersetzen", sagt die Expertin.

So kann künstliche Intelligenz beispielsweise dabei helfen, bestimmte Teile in Klimamodellen zu ersetzen, um die Berechnungen einfacher zu machen und die Rechenzeit zu verkürzen. Das wirkt sich auch auf die Auflösung von Klimamodellen aus: Durch den Einsatz von maschinellem Lernen sind genauere lokale Modelle mit detailreicher Auflösung für unterschiedliche Klimaszenarien möglich.

Treibhausgase im Visier

Darüber hinaus kann künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle beim Monitoring in der Klimaforschung übernehmen, betont KI-Forscher Thomas Brunschwiler vom IT-Unternehmen IBM. Es sind laufend gigantische Mengen an Daten zur Wetterlage verfügbar – der Knackpunkt besteht darin, diese Datenfülle zusammenzuführen und zu modellieren.

"An solchen KI-Modellen arbeiten wir", sagt Brunschwiler. Ziel dabei sei etwa, rechtzeitige und punktgenaue Warnungen für Stürme oder andere Wetterextremereignisse zu haben. Trainiert wird das System mit historischen Daten, um Prognosen für künftige Wetterereignisse und Klimaszenarien zu verbessern. "Die Vision ist, ganz unterschiedliche Institutionen in ein gemeinsames Netzwerk zu integrieren und deren Daten zusammenzuführen und nutzbar zu machen", sagt Brunschwiler.

Das sei nicht nur für Vorhersagen und Klimaszenarien wichtig, sondern auch für die Treibhausgas-Überwachung: Um möglichst viele Emissionen reduzieren zu können, braucht es möglichst präzises Wissen über deren Herkunft. Neben Informationen zu CO2-Quellen könnte KI auch wichtige Daten zu einem weiteren kritischen Treibhausgas liefern: Methan. Dieses wird zwar in der Atmosphäre viel schneller wieder abgebaut als CO2, Methan ist aber kurzfristig rund 80-mal schädlicher als Kohlendioxid und daher das zweitwichtigste anthropogene Treibhausgas, das bei der Erderwärmung mitmischt.

Anker in der Datenflut

Ein besonderes Problem stellen Lecks in Leitungen der Öl- und Gasindustrie dar, durch die enorme Mengen von Methan entweichen. In einer Studie aus dem Vorjahr im Fachblatt Science fanden Forschende beinahe 1800 riesige Methanquellen. Zwei Drittel davon stammten aus unmittelbarer Nähe von Infrastruktur der Öl- und Gasindustrie. Mithilfe von Satellitendaten und intelligenten Systemen könnten solche Lecks zielsicherer lokalisiert werden, sagt Brunschwiler. "Es gibt zwar teils auch Sensoren vor Ort, aber die decken nicht alles ab." Ein genaueres Monitoring ist mithilfe von Erdbeobachtungssatelliten möglich, die auch Informationen über die Methankonzentration in der Atmosphäre liefern und eine immer bessere Auflösung ermöglichen.

Doch um akut gegensteuern zu können, reicht auch das nicht, sagt Brunschwiler: "Man muss herausfinden, wo genau strömt wie viel in welcher Zeit aus. Wir arbeiten daher an Modellen, die bei der raschen Identifizierung helfen können."

Einen ganz anderen Ansatz zur Nutzung von künstlicher Intelligenz im Dienste des Klimas zeigten Forschende 2021 auf: Sie nutzten ein Deep-Learning-System, um mehr als 100.000 wissenschaftliche Studien zu den Auswirkungen des Klimawandels auszuwerten. Eines der Ergebnisse der Metaanalyse, die in "Nature Climate Change" veröffentlicht wurde: Über 80 Prozent der globalen Landfläche sind inzwischen nachweislich vom menschengemachten Klimawandel betroffen. (David Rennert, 29.1.2023)