"Wenn ihr der türkischen Republik oder dem religiösen Glauben der Muslime keinen Respekt zollt, dann könnt ihr von uns in Sachen Nato auch keine Unterstützung bekommen." Mit diesem Statement bei einer öffentlichen Veranstaltung am Montagabend reagierte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf eine Koranverbrennung am vergangenen Samstag vor der türkischen Botschaft in Stockholm.

Erdoğan: "Wenn ihr der türkischen Republik oder dem religiösen Glauben der Muslime keinen Respekt zollt, dann könnt ihr von uns in Sachen Nato auch keine Unterstützung bekommen."
Foto: Turkish Presidency via AP

Der Vorfall hatte nicht nur innerhalb der Regierung für Empörung gesorgt: Auch auf der Straße protestierten aufgebrachte türkische Islamisten und Nationalisten. Sie verbrannten ihrerseits eine schwedische Fahne vor dem Konsulat in Istanbul.

Immer neue Gründe

Die vorläufige Absage Erdoğans an eine Ratifizierung des schwedischen Nato-Beitritts ist der bisherige Höhepunkt in dem seit Monaten anhaltenden politischen Schacher um den Preis, den Schweden und Finnland bereit sind zu zahlen, damit die Türkei ihrer Nato-Mitgliedschaft zustimmt.

Seit Monaten hält Erdoğan die Skandinavier mit immer neuen Forderungen hin. Nachdem Schweden bereits die Aufhebung eines Waffenembargos gegen die Türkei angekündigt hatte und außerdem seine Verfassung um einen schärferen Antiterrorartikel ergänzen will, konzentrierte sich Erdoğan auf die Forderung, Schweden müsse bis zu 100 Terrorverdächtige, die in dem Land Schutz gesucht hätten, an die Türkei ausliefern.

Besonders erzürnt ist man in Ankara darüber, dass ein schwedisches Gericht die Auslieferung von Bülent Keneş – des früheren Chefredakteurs der englischen Ausgabe der Tageszeitung "Zaman", die von der Gülen-Sekte herausgegeben wurde – verweigerte. Die türkische Regierung beschuldigt die Sekte, hauptverantwortlich für den Putschversuch im Sommer 2016 gewesen zu sein, und Keneş sei darin verwickelt gewesen.

Forderung nach Auslieferung

Neben Angehörigen der Gülen-Sekte verlangt Erdoğan aber auch die Auslieferung diverser Kurden, die in Ankara als PKK-Mitglieder oder Unterstützer gelten. Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson hatte daraufhin gesagt, Schweden könne und wolle diese Forderungen nicht erfüllen.

Das hatte bereits dafür gesorgt, dass die türkische Regierung eine mögliche Ratifizierung des Nato-Beitritts Schwedens in den Sommer verschob. Eine Demonstration kurdischer Aktivisten in Stockholm, bei der eine Erdoğan-Puppe verbrannt wurde, und dann die Bücherverbrennung des Koran durch den Rechtsextremisten Rasmus Paludan, die von den schwedischen Behörden genehmigt worden war, haben die Atmosphäre zwischen den beiden Ländern nun vollends vergiftet. Während Kristersson und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vom hohen Gut der Meinungsfreiheit reden, redet Erdoğan von mangelndem Respekt und Islamophobie.

Affäre zieht Kreise

Die Affäre hat bereits Kreise über die beiden Länder hinaus gezogen. Im Irak gab es ebenfalls heftige Proteste vor der schwedischen Botschaft in Bagdad, bei denen es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Aus den USA meldeten sich Stimmen, die in der Koranverbrennung des notorischen Provokateurs Paludan eine womöglich aus Russland gesteuerte Aktion sehen, um "unsere beiden engen Verbündeten Schweden und die Türkei gegeneinander aufzubringen".

Mindestens ein weiteres potenzielles Nato-Mitgliedsland hat bereits reagiert: Am Dienstag sagte der finnische Außenminister Pekka Haavisto, angesichts eines möglichen Nein der Türkei zu Schwedens Nato-Mitgliedschaft müsse Finnland auch einen Beitritt ohne Schweden in Erwägung ziehen.

Ein Hintergrund der türkischen Reaktionen auf die Proteste in Schweden ist die am 14. Mai anstehende Präsidentschafts- und Parlamentswahl. Da Erdoğan aufgrund der Wirtschaftskrise im Land massiv unter Druck steht, nutzt er die Debatte um den Nato-Beitritt der Skandinavier, um sich als starker nationalistischer Führer zu profilieren. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 24.1.2023)