In der Serie "Stranger Things" ist das Rollenspiel "Dungeons & Dragons" ein elementarer Bestandteil der Geschichte.

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Es ist der Inbegriff für Tischrollenspiele, der Urvater eines Genres, das längst nicht mehr nur die Geeks und Nerds anspricht. Populäre Videospiele wie die "Baldur's Gate"-Reihe basieren darauf, und in der Netflix-Hitserie "Stranger Things" spielt es eine große Rolle in der Geschichte. Die Rede ist von "Dungeons & Dragons", einer Marke, die zu ihrer eigenen Unterhaltungsindustrie geworden ist.

Frei von Kontroversen war die Geschichte des Rollenspiels nie: In den 1980er-Jahren wurde das Spielsystem von konservativen Kreisen verdächtigt, das meist junge Publikum an den Satanismus heranzuführen, und mit jeder veröffentlichten Edition gibt es Fans, die mit den Änderungen unzufrieden sind. Aber Politiker mit lebhafter Fantasie und einige enttäuschte Fans konnten eine Marke wie "Dungeons & Dragons" nicht erschüttern. Doch jetzt steckt das Pen- and-Paper-System in einer bedrohlichen Krise – ausgelöst durch geleakte Pläne, wie die Marke noch mehr Geld abwerfen soll.

Rollenspiel wird neu gebaut

Doch der Reihe nach: Mit der Pandemie kam es noch einmal zu einem Popularitätsschub, und die Verkäufe stiegen um 33 Prozent an und generierten einen Rekordumsatz von 1,3 Milliarden US-Dollar. Schätzungen gehen davon aus, das rund 50 Millionen Spieler weltweit das System aktiv nutzen. Aktuell soll das gesamte Universum von Grund auf neu designt werden, und das kommende "One Dungeons & Dragons" soll das Rollenspielsystem vereinheitlichen.

Die Entwickler lassen sich dafür Zeit: Ein derart delikater Eingriff in ein bestehendes System darf schließlich nicht unüberlegt passieren, und jede Regeländerung muss getestet werden. Fans können deshalb das neue Material herunterladen, die Änderungen selbst ausprobieren und Feedback direkt an die Designer geben.

Offener Umgang mit geistigem Eigentum

Doch Wizards of the Coast, der Verlag von "Dungeons & Dragons", hat sich in einem Aspekt verkalkuliert. Mit dem grundlegenden Umbau des Systems sollte auch die sogenannte Open Game License (OGL) verschwinden. Diese erlaubte es anderen Firmen, selbst Material für "Dungeons & Dragons" zu entwerfen, zu veröffentlichen und damit Geld zu verdienen, ohne dass Wizards of the Coast involviert ist.

Dieser offene Umgang mit geistigem Eigentum führte dazu, dass sich um ein Rollenspielsystem, das hauptsächlich aus Regel- und Abenteuerbüchern besteht, eine ganze Industrie entwickeln konnte – vom Podcast über Live-Action-Roleplay bis hin zu Fanartikeln und ganzen Spin-off-Spielen. Seit 23 Jahren wurde diese Politik von Wizards of the Coast erfolgreich betrieben, die Marke wuchs und wuchs immer weiter, und Drittanbieter sorgten dafür, dass der Nachschub für die Fans niemals versiegen würde.

Ein Leak bringt den Verlag in Bedrängnis

Doch Anfang Jänner wurde ein internes Dokument aus dem Verlag geleakt. In diesem waren die Bedingungen für ein Update der OGL enthalten. Die Versionsnummer 1.1 sah unter anderem vor, dass Inhaltsersteller für "Dungeons & Dragons" zukünftig Provisionen an Wizards of the Coast bezahlen sollten. Damit nicht genug, wollte sich der Verlag die Option offenhalten, den Fremd-Content im Nachhinein lizenzieren zu dürfen.

Die Reaktionen der Fans ließen nicht lange auf sich warten. Sie riefen umgehend zum Boykott des Onlinestores D&D Beyond auf und verbreiteten ihren Protest unter dem Hashtag DnDBegone. Gleichzeitig wurden Inhaltsersteller aufgerufen, die OGL 1.1 nicht zu unterzeichnen. Eine diesbezügliche Petition wurde 77.000-mal unterschrieben.

Aber nicht nur das: Kurz darauf taten sich 1.500 unabhängige Spieleentwickelnde unter der Federführung des "Pathfinder"-Verlags Paizo zusammen und entwickelten ihre eigene Variante der OGL namens Open RPG Creative License (ORC). Mehrere Unternehmen kündigten an, ihre zukünftigen Spielsysteme unter der ORC entwickeln und Wizards of the Coast so den Rücken zukehren zu wollen.

Für Wizards of the Coast kam der Leak zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die Fans hatten zuvor schon den Verdacht gehegt, der Verlag könnte nach zusätzlichen Einnahmequellen auf Kosten der Community suchen, nachdem dessen CEO Cynthia Williams die Marke "Dungeons & Dragons" als "untermonetarisiert" bezeichnet hatte.

Ein kritischer Fehlschlag

Der Shitstorm tobte acht Tage, bis Wizards of the Coast zur Schadensbegrenzung ausrückte. "Den Reaktionen nach zu urteilen haben wir 1 gewürfelt", entschuldigte sich das Entwicklungsteam. Einen Einser zu würfeln ist im D&D-System gleichbedeutend mit einem kritischen Fehlschlag. Ende der Vorwoche präsentierten Wizards of the Coast schließlich eine neue Variante namens OGL 1.2, die nun keine Provisionszahlungen und Lizenzübernahmen mehr vorsah.

Diese neue Creative-Commons-Lizenz mache es laut Kyle Brink, dem ausführenden Produzenten, möglich, das Kernregelwerk weiterhin frei zu nutzen. Wizards of the Coast will aber im Fall von "beleidigenden und verletzenden Inhalten" eingreifen können. Doch das reichte den Fans nicht, und sie wandten sich an die Juristen unter ihnen. Laut deren Rechtsauffassung ist unklar, ob Wizards of the Coast die Lizenzvereinbarung der OGL 1.0a einfach so einseitig widerrufen kann. Das Fazit mehrerer US-Kanzleien: Unternehmen, die in den letzten Jahren Indie-Bücher für "Dungeons & Dragons" veröffentlicht haben, könnten dies theoretisch weiterhin tun, das Durchgriffsrecht von Wizards of the Coast in OGL 1.2 gelte nur für Neueinsteiger.

Irreparabler Schaden an der Marke

Wizards of the Coast hat es also mit einer unüberlegten Lizenzänderung geschafft, nicht nur die Fans, sondern auch einen guten Teil der Rollenspielhersteller gegen sich aufzubringen, und damit laut dem Branchenjournalisten Thomas Wilde möglicherweise irreparablen Schaden an der eigenen Marke verursacht. "Kein Unternehmen kann realistisch mit Wizards konkurrieren", schreibt Wilde via Geekwire. "Aber 1.500 von ihnen, die zusammenarbeiten, können dies mit ziemlicher Sicherheit." (pez, 25.1.2023)