Im Gastkommentar schreibt die Umweltjuristin Lisa Weinberger über die Klimaaktionen und darüber, wie Teile der Politik darauf reagieren.

Der Ruf nach Einschränkungen von Demonstrationen unter dem Argument der Verkehrsbehinderung ist in Europa nicht ungewöhnlich, umso mehr in Zeiten des fokussiert unintelligenten Wahlkampfes. Die derzeit primär auf moralischer Ebene geführte Debatte zu konkreten Protestaktionen in Österreich lenkt jedoch von den weitreichenden demokratiepolitischen Folgen derartiger Vorschläge ab. Denn damit werden Demonstrierende, die den öffentlichen Raum zur Ausübung ihrer politischen Rechte nutzen, auf bloße Verkehrsteilnehmende und der öffentliche Raum als ein Ort der Demokratie auf bloße Verkehrswege reduziert.

In der Aktionswoche der "Letzten Generation" werden täglich Straßen blockiert. Rund 40 Wissenschaftlerinnen zeigen sich solidarisch und fordern von der Politik effektive Maßnahmen gegen die Klimakrise
DER STANDARD

Dabei ist es Demonstrationen inhärent, zu stören. Besonders für die Politik ist es unangenehm, wenn sie – wie im Fall von Klimaprotesten – auf Lücken beziehungsweise Defizite ihres politischen Handelns aufmerksam gemacht wird. Gerade aus diesem Grund sind Demonstrationen verfassungsrechtlich streng geschützt und fordern ein erhebliches Maß an Toleranz ein.

Man muss konkrete Aktionen nicht für gut befinden, kann sie aber trotzdem schützenswert finden. Denn die Art und Weise, wie Versammlungsfreiheit rechtlich verankert und praktisch gelebt wird, zeigt den Zustand der Demokratie und des Demokratieverständnisses in einem Land, so auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Einschüchternde Wirkung

Forderungen wie die Verschärfung von Strafen, aber auch die Klagsdrohungen der Stadt Wien im letzten Jahr rund um den Lobautunnel sind Einschüchterungsversuche und damit nicht nur demokratiepolitisch bedenklich. Sie sind auch aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch, weil ihre Verhältnismäßigkeit nicht unbestritten ist.

Wenngleich Expertinnen und Experten die ebenfalls diskutierte Ausweitung des Strafrechts zur Verfolgung von Klimaprotesten einhellig ablehnen und klar ist, dass das Strafrecht nur Ultima Ratio sein kann, sind auch bloße Strafandrohungen bereits verfassungsrechtlich relevant. Laut der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können nämlich bereits Strafandrohungen die Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig einschränken. Allein die Androhung der Strafverfolgung kann dazu führen, dass deshalb Menschen abgeschreckt werden und an künftigen Treffen nicht mehr teilnehmen.

Werden derartige Klagen beziehungsweise Klagsdrohungen im großen Stil eingesetzt, spricht man von strategischer Verfahrensführung gegen Öffentlichkeitsbeteiligung, wie wir sie aus Ländern mit erheblichen Demokratiedefiziten kennen.

Forderungen debattieren

Für die einen sind sie Störenfriede, für die anderen einfach nur engagierte junge Menschen: Die Klimakleber sorgen jedenfalls für Aufsehen.
Foto: APA / Tobias Steinmaurer

Anstatt zu versuchen, demokratischen Umweltaktivismus mit rechtlichen Mitteln zu unterbinden und Grundrechte für den eigenen politischen Nutzen anzugreifen, täten die betroffenen politischen Vertreterinnen und Vertreter gut daran, sich mit den inhaltlichen Forderungen der Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten zu beschäftigen. Denn völlig außer Frage steht, dass Österreich noch einen langen Weg zur Klimaneutralität vor sich hat und derzeit in der politischen Umsetzung viel zu langsam ist, um die Klimaziele bis 2040 tatsächlich zu erreichen. Dafür braucht es unter anderem die rasche Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes, eine Mobilitätswende und steuerpolitische Maßnahmen für nachhaltige Entwicklungen. (Lisa Weinberger, 25.1.2023)