Wien – Die Potenz der russischen Pianistenschmieden ist beeindruckend. Auf Jewgeni Kissin, der zuletzt mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, folgt der um zwei Jahrzehnte jüngere Daniil Trifonov, der vielen als einer der fesselndsten Pianisten unserer Zeit gilt. Mit dem 21-jährigen Alexander Malofeev meldet sich schon der nächste Kandidat für eine Weltkarriere an.

Trifonovs Einspielwerk im Musikverein: Tschaikowskis Kinderalbum op. 39 (Hieß das früher Jugend-Album?). Der in New York lebende Russe präsentiert die 24 kurzen Stücke am Montagabend größtenteils verhuscht, versonnen, verwaschen: zarte Aquarelle im Briefmarkenformat. Die beliebte Süße Träumerei: eine Pianissimo-Studie in Zeitlupe. Gedimmt euphorisch noch der Beginn von Schumanns Fantasie C-Dur, erhöhte Schubkraft und gepardenhafte Wildheit dann im Mittelsatz: vorwärts!

Fontänen der Ekstase

Der 31-Jährige vereint emotionale Ausdrucksstärke mit größter Geschmeidigkeit: ein Maserati mit Automatikschaltung. Wunderschön die Bässe und die warme Mittellage des Bösendorfer-Flügels im langsamen Werkausklang. Eine kunstfertige Darstellung existenzieller Zerrissenheit dann Mozarts c-Moll-Fantasie. Wie hätte wohl Nikolaus Harnoncourt das Werk interpretiert, wenn er statt Cello Klavier studiert hätte?

Eilig der Beginn von Ondine in Ravels Wunderwerk Gaspard de la nuit, zauberhafter das Ende. Traumhaft schön Le Gibet, Scarbos Dämonie gerät bei aller grellen Exaltiertheit leider unter die Räder eines Hochgeschwindigkeitszugs. Unfassbar dann Skrjabins fünfte Sonate. Fiebrig und extrem, harte Stöße nach kurzem Verweilen auf Samtklanglagern, Fontänen der Ekstase. Trifonov, der große Glühende. Als Zugabe ein keusches Kontrastprogramm: Bachs Jesus bleibet meine Freude. Auf dessen vollkommene Seelenruhe folgte das Toben des Publikums im Großen Saal. (sten, 24.1.2023)