Die weiße Karte wird sich vermutlich nicht durchsetzen und es nicht ins Regelwerk schaffen. Der internationale Fußball hat mit Rot und Gelb ausreichend zu tun.

Irgendwann ist immer das erste Mal. Es begab sich am Sonntagabend in Lissabon, als Catarina Campos, sie ist Schiedsrichterin, Fußballgeschichte nicht geschrieben, sondern gezeigt hat.Im Cupspiel der Frauen zwischen Sporting und Benfica, dem übrigens 15.032 Fans beiwohnten, wurde kurz vor der Pause einer Ersatzspielerin unwohl. Die Mediziner beider Teams kümmerten sich um die Angeschlagene, sie konnte rasch wieder gerade sitzen. Campos war begeistert, griff in ihre Tasche und zückte eine weiße Karte. Keine rote, keine gelbe, eine weiße. Sie hielt sie hoch, deutete mit der anderen Hand auf beide Ärzteteams. Die wussten nicht, wie ihnen geschieht.

Die weiße Karte ist ein Spezifikum des portugiesischen Sports, seit fünf Jahren gang und gäbe. Eingeführt wurde sie vom Institut für Jugend und Sport, sie soll die ethischen Werte und den Fair-Play-Gedanken fördern. Sie kommt vor allem im Nachwuchsbereich zum Einsatz, wird auch im Badminton, Hockey, Rugby oder Tennis verwendet. Wer viele weiße Karten sammelt und am Ende einer Saison die Wertung anführt, kann sich zwar nichts kaufen, wird aber geehrt.

Der Fußballweltverband Fifa kennt keine weißen Karten, der europäische Uefa detto, er ist ja Teil der Welt. Harald Lechner, Österreichs bester Schiedsrichter, versichert dem STANDARD sehr glaubhaft, "zuvor noch nie davon gehört zu haben". Er ist Neuigkeiten gegenüber prinzipiell aufgeschlossen, "den Sinn verstehe ich nicht ganz. Das hat fürs Spiel keine Auswirkungen, keinen Mehrwert."

Regelwerk

Mit Regeländerungen befasst ist das IFAB, das International Football Association Board. Prinzipiell können dort jede und jeder Vorschläge einbringen, die werden über einen längeren Zeitraum getestet (wenn sie vernünftig klingen) oder auch nicht (wenn sie extrem doof sind). So fanden etwa der Freistoßspray und die Abstoßänderung (Torleute können auch im Strafraum passen) Aufnahme ins Regelwerk.

Lechner kommt mit Rot (Ausschluss) und Gelb (Verwarnung) gut aus. Im Nachwuchsbereich wird in Österreich auch eine blaue Karte verwendet. Sie ist nicht so ultimativ wie Rot, führt lediglich zu einer zehnminütigen Zeitstrafe.

Selbstverständlich ist Lechner "der Fair-Play-Gedanke wichtig". Dazu sei keine weiße Karte notwendig. "Was sollen wir nicht noch alles tun?" Er erinnert an den Fall des Austrianers Georg Teigl, dem nach einem Zusammenstoß zwei Spieler des WAC sofort erste Hilfe geleistet hatten. "Es ist aber nicht meine Aufgabe, diese Leute auszuzeichnen, sie gehören von anderen geehrt."

Dass eine weiße Karte eine zuvor erhaltene gelbe löschen könnte, sei eher nicht das Gelbe vom Ei. "Das würde mitunter zu schleimigen, berechnenden Aktionen führen." Lechner ist überzeugt, dass im harten Profigeschäft "der Fairness Grenzen gesetzt sind". So sei es ihm nie passiert, "dass ein gefoulter Spieler bei 0:0 zu mir gekommen ist und gesagt hat, Schiri, Sie haben sich geirrt, das war kein Elferfoul." Dieses Problem wurde freilich durch den Videobeweis gelöst.

Interpretation

Ganz oben auf der Agenda steht für Lechner "die Handspielbewertung. Es ist schwierig in der Hektik und bei dem Tempo, auf Absicht oder Unabsichtlichkeit zu entscheiden. Da ist der Interpretationsraum zu groß, da sollte man sich etwas einfallen lassen."

Die weiße Karte wird sich wohl gedulden müssen. Lechner: "Vor einigen Jahren war eine grüne Karte angedacht, glaube ich."

Benfica wahrte im Stadtderby die weiße Weste, gewann gegen Sporting 5:0. Catarina Campos hat trotzdem Geschichte gezeigt. Fortsetzung folgt. Oder nicht. (Christian Hackl, 25.1.2023)