Josef Christian Aigner, Bildungswissenschafter und Psychoanalytiker, schreibt in seinem Gastkommentar, dass die Klimaproteste durch die Unterstützung der Wissenschaft noch stärker werden.

Ich muss gestehen, dass ich mit dem Gesamtbild, das die Wissenschaft bis vor kurzem abgab, nicht sehr zufrieden war. Ich habe mich beispielsweise gefragt, warum die Medizinerinnen und Mediziner bezüglich bestimmter gesundheitlicher Gefährdungen – Lärm, Luftverschmutzung, ungesunde Ernährung – nicht lauter öffentlich aufschreien. Oder die Pädagoginnen und Pädagogen angesichts der Gestaltung von Schule und Lernen. Man könnte die Liste fortsetzen.

Für Tempo 100 den Straßenverkehr blockiert: Klimaprotest in Wien.
Foto: APA/EVA MANHART

Ein politisch derzeit besonders gefragtes Fachgebiet sind alle mit Natur- und Klimaschutz befassten Wissenschaften. Wenn Schifahren nur mehr auf schmalen Kunstschneebändern im Grünen möglich ist und uns die Gletscher wegschmelzen, dann schreit es nach Expertinnen und Experten, die hier Ursachen einklagen und Einhalt gebieten. Und auch wenn die Regierungen in einer Art Wahrnehmungsstupor oder in unverblümter Interessengebundenheit an die maßlose Wachstumswirtschaft kaum auf sie hören, sind sie enorm wichtig. Und das haben viele von ihnen nun auch erkannt und tun es! Hunderte Wissenschafterinnen und Wissenschafter unterstützen die Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten, deren Ziele und auch die verzweifelten Methoden, sich im Interesse kommender Generationen Gehör zu verschaffen. Chapeau!

Mann fürs Grobe

Man darf gespannt sein, wie etwa der neue Mann fürs Grobe in der ÖVP, Christian Stocker, nun mit diesen teils auch öffentlich hochdekorierten Kolleginnen und Kollegen umgehen wird. Hat er bisher die Klimaaktivistinnen und Klimaaktivsten kriminalisiert, sie gar als demokratiegefährdende Elemente diffamiert, so bin ich gespannt, wie er und seine Klimaschutz-Blockade-Partei nun mit dieser neu hinzugekommenen Gruppe von Unterstützerinnen und Unterstützern umspringen. Die Prominenz, die die Wissenschafterinnen und Wissenschafter den Klimaschutzanliegen verleihen, wird es für die Verharmloser und Verleugnerinnen der großen Gefahren schwermachen, die Dramatik der Anliegen jugendlichen "Berufsdemonstrierenden" unterzuschieben.

Das dumme Gerede von den nur 0,2 Prozent, die Österreichs Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß ausmachen würde, die Empfehlung Stockers an eine Aktivistin, sich in Peking anzukleben, weil China als "Hauptsünder" 30 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortet, werden wie anderes parteipolitisches Blabla den Fakten weichen müssen, dass nämlich – um beim Beispiel zu bleiben – China einen kaum von Österreich unterscheidbaren Pro-Kopf-Fußabdruck produziert. Die Biertischargumente werden sich gegenüber den faktenbasierten Argumenten hochrangiger Expertinnen und Experten, die damit nicht zu beeindrucken sind, bewähren müssen. Auf diese öffentlichen Auseinandersetzungen dürfen wir gespannt sein.

Verdrängen und verleugnen

Für mich und mein Fach stellt sich ebenfalls eine nach wie vor ungeklärte Frage: Wie ist es möglich, dass Menschen – ob in Gesellschaft oder Regierungen – eine derart unglaubliche Verdrängungs- und Verleugnungsleistung erbringen können? Welche Mechanismen, nämlich andere Ängste, Wohlstandsabstumpfung und Entsolidarisierungsprozesse, müssen hier am Werk sein, dass vielen Menschen, vor allem Eltern und Großeltern, die Zukunft ihrer Kinder und Enkel so unwichtig zu sein scheint, dass sie vom persönlichen Lebensstil her bis zum politischen Denken kaum zu Veränderungen zu bewegen sind? Ein schönes Forschungsprojekt für die Psychologists for Future! (Josef Christian Aigner, 25.1.2023)