Nach der Urteilsverkündung am Montag wollte Christoph Chorherr nichts zu seinem Verfahren sagen: Es sei noch alles zu emotional. Am Dienstag ging es dann schon wieder. Ein Gespräch in seiner Bäckerei auf dem Wiener Nordbahnhof-Gelände.

STANDARD: Was sagen Sie heute zu Ihrem Freispruch und Ihrem Verfahren?

Chorherr: Sehr große Freude, sehr große Erleichterung nach fünf sehr belastenden Jahren. Und großer Respekt vor dem öffentlichen Gerichtsverfahren; es ist ein großes Privileg, in einem Staat leben zu dürfen, wo es so ein faires Verfahren gibt. Und das sage ich nicht wegen meines Freispruchs. Aber natürlich hinterlässt ein solches Verfahren Schrammen.

Einen Fehler räumt Christoph Chorherr ein: dass er 2010, als die Grünen in die Wiener Stadtregierung kamen, nicht als Vereinsobmann zurückgetreten ist.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Keine Verletzungen?

Chorherr: Ich bin gesegnet mit einer robusten Psyche. Einem nicht so robusten Menschen wünsche ich das nicht

STANDARD: Anklage mit Fehlern, fünf Jahre Verfahren, alle freigesprochen: Kritik an der WKStA wird laut. Wie sehen Sie ihre Arbeit?

Chorherr: Es steht mir nicht zu, mich dazu zu äußern. Zu dieser Überzeugung bin ich nach reiflicher Überlegung gekommen.

STANDARD: In seinem Schlussvortrag hat der Staatsanwalt einen Vergleich zu Ibiza gezogen, dort ging es auch um Vereine. "Eine Hand wäscht die andere", sei Ihr System gewesen. Gekränkt?

Chorherr: Der Richter hat der WKStA eine sehr klare Antwort gegeben, über die ich sehr froh bin: keine Beweise für eine Straftat. Und es gab andere, viel schwerere Kränkungen als die in den Plädoyers der WKStA. Ich habe die überwiegende Mehrheit der Medienberichte in den vergangenen fünf Jahren als systematische Rufschädigung und Vorverurteilung empfunden. Mit einigen Ausnahmen ging es Enthüllungsjournalisten nicht darum darzustellen, was Vorwürfe und was Fakten sind, sondern um eine geile G'schicht. Ich würde mir wünschen, dass ein Publizistik-Wissenschafter einmal untersucht, wo versucht wurde, nach damaligen Wissenstand wahrheitssuchend zu schreiben, und wo vorverurteilend. Meine These ist: 90 Prozent waren massiv vorverurteilend. Der Terminus "Es gilt die Unschuldsvermutung" wird so eingesetzt, dass er in Wirklichkeit bedeutet: "Sehts her, da ist der nächste Verbrecher."

STANDARD: Ich hoffe, Sie haben vom STANDARD eine andere Meinung. Aber sehen Sie das nicht zu streng aus Ihrer Betroffenenperspektive?

Chorherr: Es ist mir nicht nur einmal passiert, dass ich, als ich mit meinen Kindern unterwegs war, hörte: "Na, du Verbrecher, hoffentlich gehst bald in Häfn." Ich beschreibe hier das Problem, aber ich habe keine Lösung dafür. Eine freie Medienlandschaft ist eine enorme Errungenschaft – aber: Dieses Vorgehen ist verletzend. Und ich spreche nicht nur von Boulevardmedien.

STANDARD: Wie haben Sie das Ermittlungsverfahren der WKStA erlebt?

Chorherr: Mein emotionaler Tiefpunkt war vor zwei Jahren. Da lagen die Aussagen von 16 Magistratsbeamten vor, und alle haben in scharfen Befragungen ausgesagt, dass alles korrekt gelaufen sei, ich nicht interveniert hätte. Da bin ich fix von einer Einstellung ausgegangen. Als ich erfuhr, dass eine Anklage wegen Bestechung und Amtsmissbrauchs kommt, ging es mir wirklich schlecht. Aber die Diskussion, was alles angeklagt wird von der WKStA, wird nun sowieso geführt.

STANDARD: Schließen Sie sich jetzt der Kritik der ÖVP an der WKStA an?

Chorherr: Das Vorgehen der WKStA ist sicher nicht politisch motiviert. Aber ich glaube, dass die heftige Kritik an ihr zu Systemnachjustierungen führen wird. Denn die WKStA ist eine enorm wichtige Einrichtung. Aber angesichts der Fehler in der Anklage – sie hat mich etwa als Planungsstadtrat bezeichnet – frage ich mich schon, wo da die Aufsicht war, wer über die Anklage drübergeschaut hat ...

STANDARD: Das waren die Oberstaatsanwaltschaft und das grün geführte Justizministerium, das die Anklage gegen Sie auch genehmigt hat.

Chorherr: Es war sicher für alle eine schwierige Situation, man weiß auch nicht, was passiert wäre, wäre das Verfahren unter einer grünen Ministerin eingestellt worden. Jedenfalls sollten wir zur Praxis zurückkommen, dass es für Anklagen Beweise braucht.

STANDARD: Im Prozess waren etliche von Österreichs größten Immobilienunternehmern mit Geschäftsinteressen in Wien angeklagt. Sie sind per Du miteinander, zum Teil befreundet und haben an den Verein S2Arch gespendet, in dem Sie Obmann waren. Sie als Gemeinderatsmitglied und grüner Planungssprecher hatten mit Stadtentwicklung und Entscheidungen über Immobilienprojekte zu tun. Macht keinen schlanken Fuß.

Chorherr: Diesen Fehler, dass ich auch nach 2010 Obmann blieb, als die Grünen in die Stadtregierung kamen, habe ich sofort und in meinem Diversionsantrag eingeräumt. Auf der sichersten Seite wäre ich gewesen, hätte ich den Verein nicht gegründet, die Schulen nicht gebaut, in die 500 Kinder gehen. Dann wäre nichts passiert. Wer viel riskiert, macht viele Fehler – und bringt viel weiter. Und ich habe riskiert und etwas weitergebracht.

STANDARD: Es wäre auch nichts passiert, wären Sie nicht Obmann von S2Arch gewesen.

Chorherr: Ja, dieser Fehler hätte mir nicht passieren dürfen. Aber heißt das, dass kein Gemeinderatsmitglied in Österreich eine NGO mitinitiieren, bei ihr mitarbeiten darf, weil es Spenden vom Wirt im Ort geben könnte, der irgendwann eine Genehmigung braucht? Das wäre die supersaubere Form.

STANDARD: Vielleicht wäre die nötig.

Chorherr: Vielleicht sollten wir aber auch lernen, genauer zu differenzieren, was wirklich Korruption ist – so, wie es das Gericht getan hat. Wir sollten die Grenze schärfer ziehen, da wird zu wenig differenziert.

STANDARD: Wird nicht zwischen Politikern und Unternehmern zu wenig Abstand gehalten?

Chorherr: Hätten die Spender nicht spenden dürfen? Die Konsequenz des Nichtdifferenzierens ist, dass Spenden schon als etwas potenziell Kriminelles gelten. Das kann nicht sein. Sonst landen wir eben bei Willi Hemetsberger, der nichts mit Immobilien zu tun hat und insgesamt eine Million für den Verein gespendet hat – und damit schon begonnen hatte, bevor die Grünen in die Regierung kamen.

STANDARD: Haben Sie sich eigentlich auch auf einen Schuldspruch vorbereitet?

Chorherr: Ich war von meiner Unschuld total überzeugt, aber sicher war ich nicht.

STANDARD: Wie hat sich das Verfahren auf Ihre berufliche Karriere ausgewirkt? Sie sind an der Bäckerei, in der wir hier sitzen, beteiligt.

Chorherr: Neben der Bäckerei war ich freiberuflich in der Stadtplanung tätig, aber jemandem, der wegen des Vorwurfs des Amtsmissbrauchs und der Bestechung verfolgt wird, gibt man nicht unbedingt einen Auftrag. Also, förderlich war es nicht – und das habe ich jetzt sehr zärtlich ausgedrückt. Momentan lebe ich noch von Ersparnissen und einer Anstellung im Energieeffizienzbereich.

STANDARD: Für das Bauunternehmen Soravia?

Chorherr: Nein, schon länger nicht mehr. Soravia war einer meiner Kunden, als ich selbstständig tätig war; da habe ich ein Städtebauprojekt in Deutschland betreut.

STANDARD: Was kostet Sie das Verfahren?

Chorherr: Die Rechtsanwaltskosten für die fünf Jahre machen einen sechsstelligen Betrag aus. Ich bin meiner 87-jährigen Mutter extrem dankbar, dass sie mir damit großzügig und ohne den Hauch eines Vorwurfs ausgeholfen hat. Ich wüsste nicht, wie ich das sonst finanziert hätte. Wie es jemandem geht, der nicht das Privileg hat, eine solche Mutter zu haben, weiß ich nicht. Der Kostenersatz bei Freisprüchen gehört wirklich reformiert.

STANDARD: Was haben Sie im Prozess über sich gelernt? Da ging es etwa darum, dass Ihre Bedeutung für die Stadtregierung überschätzt wurde.

Chorherr: Das ist eine sehr persönliche Frage, aber ich weiche ihr nicht ganz aus. Ich wurde fünf Jahre lang als potenzieller Verbrecher beschrieben, das hat sich bei vielen verfestigt. Insofern ist mein Ruf signifikant beschädigt. Aber ich habe gelernt, dass mir Status und Ruf Gott sei Dank nicht so wichtig sind, sodass ich nicht wie ein Hund darunter leide. Und ich habe gelernt, dass ich sehr viel aushalte.

STANDARD: Wie geht's jetzt weiter?

Chorherr: Darauf bin ich auch gespannt. Und ich überlege, wie wir nach diesen fünf schwierigen Jahren eine Offensive starten können, um die Schulen in Südafrika für die nächsten 20 Jahre finanziell absichern zu können. (Renate Graber, 24.1.2023)