Andreas Khol und Wolfgang Schüssel zu ihrer besten Zeit – bei einer ÖVP-Klubklausur 2003.

Foto: APA/GINDL

Wien – Wenn man über 80 Jahre alt ist, neigt man vielleicht zum Pessimismus: "Die Lage für die Demokratie ist insgesamt nicht mehr gut", sagte Andreas Khol am Dienstagabend in der Politischen Akademie der ÖVP. Die Feier zum 80. Geburtstag des ehemaligen Klubobmanns und Nationalratspräsidenten war pandemiebedingt um eineinhalb Jahre verschoben worden – umso leidenschaftlicher wurde dann diskutiert. Und zwar mit Wolfgang Schüssel, der noch zweieinhalb Jahre bis zu seinem 80. Geburtstag hat und die Lage der Demokratie in einem wesentlich freundlicheren Licht sieht.

"Parlament hat an Ansehen verloren"

Khol sieht eine zweifache Bedrohung des Prinzips Demokratie: zum einen in der internationalen Entwicklung, wo etwa im russischen Krieg gegen die Ukraine Tag für Tag das Völkerrecht gebrochen wird. Zum anderen von unten; und da betrifft es Österreich direkt: Er konstatiert, "dass das Parlament massiv an Ansehen verloren hat". Selbst Intellektuelle würden ernsthaft erwägen, ob der Nationalrat nicht durch einen zufällig nach dem Schöffensystem zusammengesetzten Bürgerrat ersetzt werden sollte. Und vielfach werde behauptet, dass Experten das Land besser führen könnten als Politiker – "da besteht die Illusion, dass, wenn man die Gesetzgebung an 30 Experten auslagert, die Demokratie weiter existiert".

Schüssel glaubt dem zum Trotz, dass die parlamentarische Demokratie ein Erfolgsmodell ist – und sieht die Migrationsbewegungen der letzten Jahre als Beleg dafür: "Warum stellen sich die Flüchtlinge denn nicht beim Kreml an? Oder am Platz des Himmlischen Friedens? Oder in Nicaragua?" Ganz einfach, weil soziale Marktwirtschaft in einem demokratischen Rechtsstaat eben attraktiver ist.

"Ständige Hirnwäsche" durch die Medien

Allerdings sei man in den westlichen Demokratien "einer ständigen Hirnwäsche ausgesetzt, dass alles immer schlechter würde. Obwohl das ja gar nicht stimmt", sagt Schüssel mit Verweis auf den schwedischen Statistiker Hans Rosling, der in seinem Buch "Factfulness" die Fortschritte der globalen Entwicklung dokumentiert hat. Positive Nachrichten würden aber immer weniger verbreitet, wie die Analyse von Medienberichten ergibt.

Dass heute von vielen Menschen eine Expertenherrschaft mit kriegswirtschaftlichen Maßnahmen gegen den Klimawandel gefordert wird, ordnet Schüssel historisch ein: Es habe zu allen Zeiten Apokalyptiker gegeben, die eine endzeitliche Radikalität entwickelt haben – dem müsse eben eine bürgerliche Politik entgegengesetzt werden.

Demokratie braucht produktiven Streit

Viele trauten sich aber nicht, prononcierte Meinungen zu vertreten – was Schüssel gerade auch seiner eigenen Partei rät: Die ÖVP müsse wieder mit inhaltlichen Diskussionen beschäftigt werden, alle vier bis fünf Jahre müssten neue Konzepte erarbeitet werden – und zwar nicht vonseiten der Regierungsmitglieder (diese sollen eben die Regierungsarbeit machen), sondern auf der Ebene der Funktionäre und Mitarbeiter. Dass man dabei in Streit geraten kann, dürfe einen eben nicht abschrecken – dieser gehört nämlich in der Demokratie, auch in der innerparteilichen, zur Entwicklung neuer Ideen dazu. (Conrad Seidl, 25.1.2023)