Jamil S. Scott ist Assistenzprofessorin an der Georgetown University.

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Laut Scott wird es in den kommenden Jahren eine Veränderung bei den Inhaberinnen von politischen Ämtern geben.

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Stacey Abrams war zweimal knapp dran am Gouverneursamt.

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Mehr als ein Viertel aller Abgeordneten im US-Kongress sind Frauen – eine Rekordzahl, aber gleichzeitig noch weit entfernt von einem ausbalancierten Geschlechterverhältnis im Kapitol. Vor allem schwarze Frauen konnten noch nicht alle gläsernen Decken durchbrechen, und so warten die USA weiterhin auf eine Gouverneurin bzw. nach Kamala Harris eine weitere Senatorin aus ihren Reihen.

Assistenzprofessorin Jamil S. Scott unterrichtet und forscht an der Georgetown University zu den Zusammenhängen von Hautfarbe, Geschlecht und politischer Mitsprache. Im Interview spricht sie über die homogene Wählergruppe der schwarzen Frauen und die Vorurteile, mit denen Kandidatinnen konfrontiert sind.

DER STANDARD: Die Halbzeitwahlen im November haben gezeigt, dass Frauen ein mächtiger Wählerinnenblock sind. Insbesondere das Thema Abtreibungsrechte hat sie zu den Wahlurnen gebracht. Aber braucht es solch weibliche Themen, um Frauen zum Wählen zu bewegen, oder können sie auch durch andere Themen mobilisiert werden?

Scott: Es hat etwas mit Wut zu tun, die Menschen dazu inspiriert, sich für Politik zu begeistern. Das haben wir bereits 2018 und direkt nach der Wahl von Donald Trump gesehen. Es geht aber sicherlich auch um Frauenfragen – denn auch im Zusammenhang mit dem ehemaligen Präsidenten stellte sich die Frage, wer er war und wie er in der Vergangenheit mit Frauen umgegangen ist. Auch damals waren Wählerinnen wütend.

Ich glaube aber nicht, dass es per se um Themen gehen muss, die nur Frauen betreffen, sondern um solche, bei denen sich viele Frauen einig sind. Und das sind nicht viele. Zum Beispiel wählen weiße Frauen eher republikanische Kandidatinnen und Kandidaten, während sich Afroamerikanerinnen und Latinas für die Demokraten entscheiden.

DER STANDARD: War dieses Abstimmungsverhalten immer schon so?

Scott: Vor dem Jahr 1964 gab es auch eine gewisse Anzahl an schwarzen Frauen, die die Republikanische Partei unterstützten. Aber danach hat sich das stark geändert. Damals deutete der Präsidentschaftskandidat Barry Goldwater an, dass die Republikaner keine oder eine ablehnende Haltung zur Bürgerbewegung einnehmen würden. Seitdem sehen wir eine Zementierung der schwarzen Wähler bei der Demokratischen Partei.

Bei den lateinamerikanischen und asiatisch-amerikanischen Wählerinnen ist es nicht ganz so klar. So gibt es bei ihnen Untergruppen, die sich der einen oder der anderen Partei näher fühlen. Kubanische Amerikaner stimmen eher republikanisch, während puerto-ricanische Amerikaner demokratisch wählen.

DER STANDARD: Sie sagten vorhin, dass es nicht viele Themen gibt, bei denen Frauen Gemeinsamkeiten finden ...

Scott: Frauen sind zum Beispiel beim Thema Gesundheitswesen oder bei Bildungsfragen gespalten. Obwohl man vielleicht annehmen würde, dass die Wählerinnenschaft hier eher einen Konsens findet. Bei der Frage von Impfstoffen haben sich viele Muttergruppen dagegen gewehrt, dass ihre Kinder immunisiert werden sollen. Einige haben religiöse Gründe geltend gemacht und unterrichten ihre Kinder zu Hause. Andere verteidigen Vakzine und setzen sich für ihren Einsatz ein. Ebenfalls umstritten ist, was unsere Kinder in den Schulen lernen sollen. Da gibt es etwa Uneinigkeiten im Zusammenhang damit, wie die Themen Sklaverei oder Rassismus im Unterricht behandelt werden.

DER STANDARD: Mehr als ein Viertel aller Kongressmitglieder sind im Moment weiblich – der höchste Prozentsatz in der Geschichte. Wie kam es dazu?

Scott: Dass mehr Frauen politische Ämter innehaben, beginnt damit, dass mehr Frauen kandidieren. Die Zahlen steigen bereits seit 2018. Viele kommen über Gruppierungen, die Informationen ausgeben, wie man ein politisches Amt erreicht. Wichtig ist, dass viele Frauen in den Wahlkampf einsteigen. Denn man kann keine Frauen wählen, die nicht auf dem Wahlzettel stehen.

DER STANDARD: Aber es gibt im Moment keine schwarze Senatorin, und die USA hatten noch keine schwarze Gouverneurin. Wie können diese Meilensteine erreicht werden? Nur durch mehr Kandidatinnen?

Scott: Das ist ein wichtiger Punkt. Es geht sicher nicht nur darum, wer kandidiert. Denn bei den Zwischenwahlen haben wir gerade erst gesehen, dass Stacey Abrams in Georgia zweimal ganz nah am Gouverneursamt dran war, es aber schlussendlich nicht gereicht hat. Nicht nur die Kandidatinnen müssen auftauchen, sondern auch die Wählerinnen. Die haben aber oft ein traditionelles Bild von jemandem im Kopf, den sie als tragfähigen Kandidaten sehen. Georgia gilt zwar mittlerweile als violetter Staat (weder eindeutig demokratisch noch klar republikanisch, Anm.), doch war er sehr lange ein republikanischer. Das spielt auch eine Rolle. Es ist zudem nicht immer einfach, seine Stimme abzugeben.

DER STANDARD: Welche Hindernisse gibt es?

Scott: Man darf den Tag für die Wählerregistrierung nicht verpassen, sonst darf man nicht abstimmen. Außerdem muss man sich Gedanken machen, wo das nächste Wahllokal ist, wie man dorthin gelangt und wie lange man sich für die Schlange Zeit nimmt. In den USA wird immer an einem Dienstag gewählt. Bei den Zwischenwahlen standen die Leute teilweise bis ein Uhr morgens, damit sie noch abstimmen konnten. Aber wir werden in den kommenden Jahren Veränderungen sehen. Es gab ja auch schon einmal eine schwarze Senatorin: Kamala Harris.

DER STANDARD: Jede Kandidatin, jeder Kandidat wird mit Vorurteilen konfrontiert – aufgrund des Geschlechts, der Hautfarbe. Im Zusammenhang mit Harris haben Sie 2020 gesagt, dass es auch positive Stereotype bei schwarzen Frauen gibt und sie für Wandel stehen, als durchsetzungsfähiger gelten. Können das schwarze Kandidatinnen für sich nützen?

Scott: Das stimmt. In politischen Ämtern und in der Wirtschaft mögen die Leute schwarze Frauen, die eine starke Meinung haben und sich dafür einsetzen. Aber außerhalb dieser Räume nennen die Menschen solche Frauen streitlustig. Das ist ein Spannungsfeld, in dem sich schwarze Kandidatinnen bewegen müssen. Was aber in vielen Fällen tatsächlich funktioniert, ist, wenn sie über Themen sprechen, die wir als weiblich wahrnehmen – Mutterschaft oder Gesundheitsversorgung. Das gilt aber auch für weiße Frauen: Katie Darling, eine Demokratin in Louisiana, hat im Oktober etwa ihre Härte demonstriert, indem in ihrem Kampagnenvideo zu sehen war, wie sie ihre Tochter geboren hat.

DER STANDARD: Vor der Präsidentschaftswahl 2020 waren schwarze Frauen unter den effizientesten Organisatorinnen vor Ort im Wahlkampf. Warum waren sie so gut darin?

Scott: Das hat vor allem in jenen Bundesstaaten funktioniert, wo es Sorge gab, ob die Demokraten die Wahlleute gewinnen könnten. Schwarze Frauen wählen fast ausschließlich die Demokratische Partei. Dadurch ist diese Wählerinnengruppe auch leichter um einen Kandidaten zu scharen, weil sie homogen ist. Da kann man leichter über Sachthemen und Problemlösungen sprechen, als wenn man jemanden erst von der Partei überzeugen muss, wie das bei weißen Frauen der Fall ist.

DER STANDARD: Aber insgesamt wählen immer mehr junge Frauen demokratisch.

Scott: Wir beobachten das Phänomen, und diese Frauen – die Millennials – schwenken im Alter nicht mehr zu den Republikanern, wie das früher der Fall war. Man hat angenommen, dass man im Alter konservativer wird und deshalb eher die Republikanische Partei unterstützt. Der Unterschied zwischen den beiden Parteien ist aber mittlerweile so groß, dass man seine Persönlichkeit ändern müsste, um sein Abstimmungsverhalten zu ändern. (Bianca Blei, 27.1.2023)