Sind sich oft uneins: Jason Segel (links) und Harrison Ford als Therapeuten in der Serie "Shrinking".

Foto: Apple TV+

Jessica Williams als Therapeutin Gaby in "Shrinking".

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Harrison Ford und Lukita Maxwell in "Shrinking".

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Auch dem einfühlsamsten Gesprächstherapeuten kann einmal der Geduldsfaden reißen. Erst recht, wenn er selbst erst eine Krise mehr schlecht als recht verarbeitet hat. Wenn sich dann beim Gegenüber ein Muster zum x-ten Mal wiederholt, warum nicht endlich aktiv eingreifen und konkrete Handlungsanweisungen geben?

Regelbruch als Erfolgsstrategie

Ein solcher Regelbruch bringt die Dramaturgie der Komödienserie Shrinking, zu sehen ab Freitag auf Apple TV+, ins Rollen. Therapeut Jimmy Laird (Jason Segel) hat seine Frau bei einem Unfall verloren und versucht seinen Schmerz mit einer vorübergehenden Selbsttherapie aus Sex und Drogen in den Griff zu bekommen. Mit wenig Erfolg: Der Graben zur Teenagertochter (Lukita Maxwell) hat sich eher vergrößert als verkleinert. Die Nachbarin versucht auf gut gemeinte wie übergriffige Weise, die von der Verstorbenen hinterlassene Lücke zu füllen. Und im Job mit dem älteren Kollegen und Supervisor (Harrison Ford) und der jungen Kollegin (Jessica Williams) läuft es auch nicht gerade rund. Als eine Patientin wieder einmal ihren Mann verteidigt, ist das Fass voll. Der Therapeut drängt sie zu einer einleuchtenden Lösung: dem Verlassen des Partners, der sie offenbar misshandelt. Und siehe da, die Rechnung scheint aufzugehen. Jimmy wird es allerdings dabei nicht belassen und auch nicht davor zurückschrecken, einen Klienten bei sich einzuquartieren.

Trailer zu "Shrinking".
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Es versteht sich, dass die vermeintliche Erfolgsstrategie in der Serie der Ted Lasso-Schöpfer Bill Lawrence und Brett Goldstein dann doch auch unerwünschte Konsequenzen nach sich zieht. Jason Segel trägt als krisengeschüttelter Therapeut sein Herz auf der Zunge. Äußeres und Inneres sind bei ihm meist deckungsgleich. Das macht ihn durchaus sympathisch, aber mäßig interessant. Mitunter wirkt er, als wähnte er sich wie ein Stand-up-Comedian auf einer Bühne, um die Lacher zu kassieren, die ihm einst in seiner Erfolgsrolle als Anwalt in der Sitcom How I Met Your Mother vom Band zugespielt wurden.

Jessica Williams als Therapeutin

Filmstar Harrison Ford macht in seiner ersten Rolle in einer Serie als grantelnder Kollege keine schlechte Figur. Mit seinem minimalistischen Spiel ist er nicht unbedingt der ideale komödiantische Sparringpartner, trifft aber feine Töne, wenn er sich einer Erkrankung oder der vernachlässigten Beziehung zur Tochter widmen muss. Überstrahlt werden alle von einer großartigen Jessica Williams, die als afroamerikanische Therapeutin mit unbändigem Lachen ihre Kollegen recht selbstmitleidig wirken lässt und der Serie ihre besten Momente beschert.

Ambient TV

Zwar blitzt in den Wortwechseln immer wieder Witz auf. Shrinking will aber zu vieles zugleich sein: Feel-Good- und Buddy-Serie, Workplace-Comedy und Coming-of-Age-Story, Generationendrama und Nachbarschaftskomödie. Die aufgeworfenen Probleme werden in neun Folgen als Konsensware ausgewalzt. Wenn es ins Gefühlige geht, ist meist ein Song nicht weit, der wie ein Musikclip in Szene gesetzt wird. Paradoxerweise geht es dabei nicht nur um Gefühlsverstärkung, sondern auch um das Gegenteil: Während der Song läuft, kann problemlos das Handy gecheckt oder der Social-Media-Feed aktualisiert werden, ohne dass Wichtiges versäumt wird. Der Ambient-TV-Trend lässt grüßen. Dass es auch anders geht und gerade die Beschränkung auf die Gesprächssituationen spannend sein kann, haben die französische Arte-Serie In Therapie und ihr israelisches Vorbild BeTipul bewiesen. Die Wahl des Therapeuten fällt also zumindest vor dem Bildschirm leicht. (Karl Gedlicka, 26.1.2023)