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Firmen könnten von mehr Talenten profitieren, würden sie auch vermehrt geflüchtete Menschen anstellen.
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Vom Kindergartenpädagogen bis zur Softwareingenieurin fehlen hunderttausende Fachkräfte in Österreich. Die Mangelberufsliste erreichte dieses Jahr ein Rekordhoch mit knapp 100 Berufen bundesweit, die dringend nachgefragt werden. Immer öfter suchen Unternehmen in alternativen Zielgruppen nach Menschen, die bei ihnen arbeiten möchten.

Viele werben Arbeitskräfte aus dem Ausland an, um ihre offenen Stellen besetzen zu können. Ein Potenzial, das noch eher wenige Unternehmen ausschöpfen, ist die Aufnahme von Geflüchteten. Personen, die einen positiven Asylbescheid vorweisen können, haben in Österreich grundsätzlich freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Geflüchtete aus der Ukraine etwa müssen keinen Asylantrag durchlaufen, sie erhalten die "Blaue Karte" für Vertriebene, mit der sie ebenfalls Jobs ausüben dürfen.

Eine neue Studie der Unternehmensberatung Deloitte und des Sozialunternehmens für Chancengleichheit in der Jugendbildung Sindbad zeigt jedoch, dass viel mehr Unternehmen von Geflüchteten in Österreich in ihren Betrieb profitieren könnten. Im Herbst 2022 befragten sie dazu 100 Unternehmensvertreterinnen. Die Analyse zeigt: Die meisten Firmen sind offen dafür, Menschen mit Fluchthintergrund zu beschäftigen, doch in der Praxis haben erst 43 Prozent tatsächlich Geflüchtete angestellt.

Den wirtschaftlichen Hebel, der sich mit der Integration von Menschen mit Fluchthintergrund in den Jobmarkt bietet, erkennen laut der Studie viele Unternehmen trotzdem. Die Motivation, diese Zielgruppe einzustellen, hat sich in den letzten Jahren gewandelt: Waren es 2016 vordergründig soziale Aspekte, wie Vielfalt im Betrieb zu fördern und einen Beitrag zur Integration zu leisten, steht bei der aktuellen Umfrage für 60 Prozent der Unternehmen der wirtschaftliche Faktor im Fokus. Vor fünf Jahren nannten nur sechs Prozent der Unternehmen den Arbeitskräftemangel als hauptsächliche Motivation, Geflüchtete einzustellen.

Aufwand für beide Seiten

Ein Drittel der befragten Unternehmen sieht aber immer noch die Diversität und die gesellschaftliche Verantwortung als wichtige Gründe, um Jobs an geflüchtete Menschen zu vergeben. Noch stehen aber sowohl die Unternehmen als auch die geflüchteten Arbeitssuchenden vor einigen Hürden. Einige Betriebe bekommen etwa keine passenden Bewerbungen oder sind durch den hohen Aufwand für Integration und Schulungen abgeschreckt.

Helfen würden ihnen eine einfachere Vermittlung von qualifizierten Personen, klarere rechtliche Rahmenbedingungen und mehr Transparenz in Bezug auf die Qualifikationen. Die befragten Menschen mit Fluchthintergrund sehen hingegen andere Brennpunkte am Arbeitsmarkt. Sie gaben die Sprachkenntnisse, fehlende Praxiserfahrung oder die in Österreich nicht anerkannten ausländischen Ausbildungen als größte Herausforderungen an. Der Chef des sozialen Start-ups Sindbad, Matthias Lovrek, sieht vor allem die emotionalen Rahmenbedingungen als große Hürde zwischen Geflüchteten und Unternehmen.

Mentorinnen und Mentoren, die neben einem Onboarding oder anderen Seminaren im Unternehmen als eine Ansprechperson für Neuankömmlinge fungieren, könnten den Einstieg erleichtern, sagt er. "Man braucht jemanden, der einem zur Seite steht, unterstützt und Verständnis zeigt, wenn etwas einmal nicht so klappt wie geplant", sagt Lovrek.

Mentoring mit Vertrauen kann bei Einstieg helfen

Mentoringsysteme in Unternehmen brauchen jedoch nicht nur Führungskräfte, die diese Programme vorantreiben, sondern auch genügend Zeit. Denn erst muss eine Vertrauensbasis gefunden werden und der Fortschritt auch ausreichend evaluiert werden. Dass dies zu viel Aufwand für Unternehmen darstelle, sieht Lovrek auf Dauer nicht. Bei dem vorherrschenden Arbeitskräftemangel müssten alle Firmen früher oder später in ihre zukünftigen Angestellten investieren.

Handlungsmöglichkeiten für einen niederschwelligen Zugang zu Unternehmen gibt es laut Sindbad und Deloitte zahlreiche. Vor allem sollten die Recruitingprozesse inklusiv gestaltet sein. Dazu zählen Kennenlerntage, Tage der offenen Tür und gezieltes Empfehlen von Menschen mit Fluchthintergrund. Zu Beginn der Anstellung kann es zudem helfen, individuell ausgerichtete Karrierewege für die Mitarbeitenden zu definieren.

Je nach Position müssten Unternehmen dafür die notwendigen Kompetenzen und Fertigkeiten festlegen und beschreiben, wie genau diese zu erreichen sind. Auch der Unternehmensberater Oguzhan Köse hat in seinem Buch "Ethnomarketing im Recruiting" Lösungsvorschläge für die Mitarbeiterbindung bei einer Vielfalt an Menschen im Unternehmen definiert.

Die fange schon bei den Stellenanzeigen an, schreibt der Berater. Diese müssten sowohl in verschiedenen Sprachen als auch in verschiedenen Medien verfügbar sein – viele Menschen würden Onlinekarriereportale gar nicht nutzen. Im Arbeitsalltag sei außerdem wichtig, den religiösen Feiertagen sowie kulturellen Eigenschaften und Hintergründen aller Beschäftigten Raum zu geben. (Melanie Raidl, 26.1.2023)