Nach dem wochenlangen, teilweise mit bitteren Wortgefechten ausgetragenen Streit um Deutschlands Waffenhilfe für die Ukraine ging am Mittwoch eine Woge der Erleichterung durch die Staatskanzleien zwischen Paris und Warschau. "Danke Bundeskanzler. Zusammen sind wir stärker", twitterte Regierungschef Mateusz Morawiecki in Warschau. Auch der Élysée-Palast in Paris gab sich ob des plötzlichen Sinneswandels Deutschlands erfreut.

VIDEO: Nach der Zusage von deutschen Leopard-Panzern für die Ukraine haben die USA die Lieferung von 31 Kampfpanzern vom Typ M1 Abrams angekündigt.
DER STANDARD

Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Deutschen Bundestag verkündet, dass Deutschland der Ukraine 14 seiner weltweit gerühmten Leopard-Kampfpanzer zur Verfügung stellt. Ländern wie Polen, die seit Wochen auf grünes Licht aus Berlin warten, wird zudem gestattet, ihre – in Deutschland hergestellten – Leopard-Panzer in das von Russland überfallene Land zu exportieren. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, die Panzer würden der Ukraine in einem "kritischen Moment" helfen. Auch US-Präsident Joe Biden sprach am Mittwoch davon, dass die USA und Europa "vollkommen geeint" seien.

DER STANDARD beantwortet die wichtigsten Fragen zur Freigabe der Leopard 2.

Frage: Was wurde in Sachen Panzerlieferungen an die Ukraine entschieden?

Antwort: Konkret wird in einem ersten Schritt eine Kompanie mit 14 Leopard-2A6-Kampfpanzern an die Ukraine geliefert. Ziel ist es, rasch zwei Panzerbataillone zusammenzustellen. Ein Bataillon in der deutschen Bundeswehr besteht in der Regel aus 44 Leopard-Panzern. Die Lieferungen an Kiew sollen Munition, Logistik und Systemwartung beinhalten. Außerdem erteilt Berlin anderen Ländern die Genehmigung zur Lieferung eigener Leopard-Panzer an die Ukraine. Laut dem deutschen Kriegswaffenkontrollgesetz dürfen in Deutschland hergestellte Waffen, die zur Kriegsführung bestimmt sind, "nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden". Polen hatte am Dienstag als erstes Land einen entsprechenden Antrag gestellt. Auch andere Länder wie die Niederlande, Spanien, Portugal, Finnland, Norwegen oder Dänemark haben ihre Bereitschaft signalisiert, Leopard-Panzer zu liefern. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba rief am Mittwoch alle Länder, die über dieses Kriegsgerät verfügen, auf, sich der Allianz anzuschließen: "Die Panzer-Koalition ist also da. Jeder, der daran gezweifelt hat, dass das passiert: Für die Ukraine und ihre Partner ist nichts unmöglich."

Leopard-Panzer, die als die besten der Welt gelten, werden bald in die Ukraine geliefert.
Foto: Imago / Jochen Eckel

Frage: Welche anderen Kampfpanzer sollen noch an die Ukraine geliefert werden?

Antwort: Bereits Mitte Jänner hat die britische Regierung angekündigt, 14 Challenger-2-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern. Die USA werden laut Präsident Joe Biden 31 Abrams-Kampfpanzer liefern – das entspricht einem ukrainischen Bataillon. Washington hatte solch eine Unterstützung für Kiew lange abgelehnt. Bundeskanzler Scholz hatte vor einigen Tagen erklärt, er werde erst Panzer schicken, wenn auch die USA dies machen. Durch das Ja aus Berlin und Washington wächst nun der Druck auf Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, die Ukraine seinerseits mit Leclerc-Panzern auszurüsten.

Frage: Wie sehr schwächen diese Lieferungen die jeweiligen Streitkräfte?

Antwort: "Es geht ans Eingemachte", sagt Markus Reisner von der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt dem STANDARD. Jahrzehntelanges Sparen an der Panzertruppe seit dem Ende des Kalten Krieges habe in den Armeen Westeuropas Spuren hinterlassen – und die Bestände an einsatzbereiten Kampfpanzern drastisch reduziert. Die Panzer, die jetzt in die Ukraine geliefert werden, fehlen den Truppen dann zu Hause.

Frage: Wann kommen die Panzer in der Ukraine an? Und wie werden sie geliefert?

Antwort: Der neue deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) schätzt, dass die ersten Panzer in etwa drei Monaten in der Ukraine sein könnten. Bei den anderen Ländern ist bislang zumeist von einer raschen Lieferung die Rede, ohne dass ein genauer Zeitplan genannt wird. Laut einem Bericht der Washington Post könnte es in Sachen Abrams-Panzer Monate oder gar Jahre dauern, bis sie in der Ukraine ankommen werden. Auch Biden spricht von einer "langen Zeit", die die Lieferung dauern werde.

Für die Lieferung selbst ist dann das International Donor Coordination Center (IDCC) in der Clay-Kaserne, einem US-Stützpunkt, im deutschen Wiesbaden verantwortlich. Alles, was die 41 militärischen Unterstützerstaaten der Ukraine bereitstellen, leiten die Fachleute dort in die richtigen Wege. Kriegsgerät wird auf verschiedenen sich laufend ändernden Routen ins angegriffene Land gebracht, bevorzugt per Zug. Details dazu werden verständlicherweise nicht preisgegeben.

Frage: Wie lange dauert es, bis die gelieferten Panzer auch einsatzfähig sind?

Antwort: Die Ausbildung der ukrainischen Soldaten an hochkomplexen Waffensystemen wie dem Leopard 2 dauert Reisner zufolge "sicher acht bis zwölf Wochen allein für eine Basisschulung". Beginnen soll sie laut Pistorius "schnellstmöglich". Zusätzlich erweist sich die Vorbereitung auch aufgrund der vielen verschiedenen Panzertypen, die vom Westen an die Ukraine geliefert werden, als kompliziert: Leopard, Abrams, Leclerc und die anderen Kampfpanzer unterscheiden sich nicht nur in der Bedienung, sondern verlangen auch jeweils unterschiedliche Ersatzteile und Munition.

Frage: Mit welchen Panzern sind die ukrainischen Streitkräfte bisher ausgestattet?

Antwort: Die Ukraine hat aus eigenen Beständen und durch Waffenhilfe ihrer osteuropäischen Partner – mithilfe des sogenannten Ringtauschs, der die Geberstaaten dafür mit westlichen Modellen ausstattet – hunderte Schützenpanzer sowie Kampfpanzer aus sowjetischer Entwicklung. Darunter sind ältere Fahrzeuge wie T-72 oder T-80 sowie das Folgemodell T-90, das die ukrainische Armee von den russischen Invasoren erbeuten konnte.

Grafik: DER STANDARD

Frage: Welche Auswirkungen könnten die Panzer auf den Kriegsverlauf haben?

Antwort: Schwere Kampfpanzer wie der Leopard 2 sind so etwas wie die Goliaths der Landkriegsführung – sie sind beweglich, gepanzert und verfügen über hohe Feuerkraft. Wer sie besitzt, kann Bodenoffensiven durchführen und Pattsituationen in einem Stellungskrieg auflösen – so wie aktuell etwa im Donbass. Der ukrainische Armeechef Walerij Saluschnyj hatte Ende vergangenen Jahres nicht umsonst Bedarf an ganzen 300 Stück angemeldet – vom Westen deshalb, weil so gut wie alle vergleichbaren und verfügbaren Panzer sowjetischen Typs aus den ehemaligen Ostblockstaaten bereits in die Ukraine geliefert worden sind. Laut dem ehemaligen Oberkommandierenden der US-Armee in Europa, Ben Hodges, könnte die Ukraine mit den gelieferten westlichen Kampfpanzern zu einem Schlag gegen den von Russland eroberten Korridor vom Donbass zur annektierten Halbinsel Krim ausholen. "Die Ukraine hat den Plan, zwei Korps-Großverbände aufzustellen, einen im Raum Poltawa, den anderen im Raum Dnipro. Mithilfe der westlichen Kampfpanzer, der Schützenpanzer und der Artilleriesysteme könnten die beiden Verbände in die Offensive gehen, einerseits in Richtung Kremnina vorzustoßen, andererseits in Richtung Melitopol oder gar Mariupol", sagt hingegen der Bundesheeranalyst Markus Reisner. Zum anderen will die Ukraine mit dem hochmodernen westlichen Gerät auch einer möglichen Frühlingsoffensive Russlands begegnen, bei der Moskau auch wieder die ukrainische Hauptstadt Kiew angreifen könnte.

Frage: Wie viele Panzer wären notwendig, um den Krieg entscheidend zu beeinflussen?

Antwort: Aktuell wurden der Ukraine etwa 100 Leopard zugesagt – also höchstens ein Drittel jener Menge, die Kiew für einen echten "Gamechanger" benötigen würde. Zum Vergleich: Der Angreifer Russland verfügt laut Reisner aktuell über 2000 einsatzfähige Panzer und arbeitet an der Instandsetzung von weiteren 2000. "Diese Panzer sind vielleicht qualitativ nicht mit den europäischen Modellen vergleichbar, in der russischen Militärdoktrin geht es aber um schiere Masse."

Frage: Wie reagiert Russland auf die angekündigten Panzerlieferungen?

Antwort: Wütend. Sergej Netschajew, der russische Botschafter in Berlin, sprach von einer "extrem gefährlichen" Entscheidung, die "den Konflikt auf eine neue Ebene der Konfrontation führen" werde. Sein Kollege in den USA, Anatoli Antonow, sieht in einer Kampfpanzer-Lieferung eine "weitere eklatante Provokation". Seiner Meinung nach versuche Washington mit Absicht, "uns eine strategische Niederlage zuzufügen". Und Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte am Mittwoch, Abrams-Panzer aus den USA würden in der Ukraine "wie alle anderen brennen. Sie sind nur sehr teuer". Der Plan, die ukrainische Kampfkraft mit Panzern zu stärken, sei laut Peskow zum Scheitern verurteilt. "Das ist eine klare Überschätzung des Potenzials, das sie den ukrainischen Streitkräften zusätzlich geben." (Kim Son Hoang, Florian Niederndorfer, 25.1.2023)