Ärzten wird viel Macht nachgesagt, ihrer Standesvertretung hierzulande erst recht: Das Gesetz räumt ein Veto in entscheidenden Fragen ein.

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Hans Peter Doskozil teilt wieder einmal kräftig aus. Doch diesmal treffen die landeshauptmännlichen Verbalattacken nicht die eigene Parteichefin Pamela Rendi-Wagner. Vielmehr hat der oberste Sozialdemokrat des Burgenlandes, seit Jahresbeginn turnusmäßig Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, die Ärztekammer als Zielscheibe auserkoren. Erst im Kurier, dann im Ö1-Morgenjournal brandmarkte er die Standesvertretung als notorische Blockiererin im Gesundheitswesen, die dringend in die Schranken gewiesen gehöre.

Ein Einzelkämpfer ist Doskozil in dem Fall nicht. Zuspruch erntet der Politiker aus der Österreichischen Gesundheitskasse, einer zentralen Playerin im System. Die Kritik sei absolut nachvollziehbar, sagt Andreas Huss, einer von zwei halbjährlich wechselnden ÖGK-Obmännern. Auch er fordert nichts anderes als eine Entmachtung der Kammer.

Woraus schöpft sich dieser Einfluss? An sich sind für die Versorgung durch die Ärztinnen und Ärzte außerhalb der Spitäler die Krankenkassen, und dabei federführend die ÖGK, verantwortlich. Doch um Leistungen, Honorare, Rechte, Pflichten und Standorte festzulegen, muss ein Gesamtvertrag mit der Ärztekammer ausgehandelt werden. Diese könne somit letztlich entscheiden, wo sich Kassenmediziner niederlassen dürfen oder nicht, sagt Huss: "Die Kammer besitzt ein Vetorecht, aber keine Versorgungsverantwortung." Wenn also irgendwo Ärger über mangelnde medizinische Versorgung aufbrandet, muss sich die ÖGK rechtfertigen.

Konkurrenzscheue Ärzte

Entgegen den eigenen öffentlichen Klagen über den Ärztemangel blockiere die Kammer hinter den Kulissen immer wieder die Einrichtung zusätzlicher Kassenstellen, erzählt Huss. So gern die Interessenvertreter auch vom Wohl der Patienten sprächen, sähen sie ihre Aufgabe in Wahrheit darin, ihre bestehende Klientel zu schützen – und viele Ärzte fürchteten nun einmal um Patienten und Einkommen, wenn sie neue Konkurrenz bekommen.

Huss macht seine Kritik am Schlüsselprojekt der Primärversorgungszentren fest. Um Patienten die Rennerei von einer Ordination zur anderen zu ersparen, sollen diese Einrichtungen bei großzügigen Öffnungszeiten vielfältige Angebote vereinen – vom Allgemeinmediziner über die Physiotherapie bis zur Sozialarbeit. Experten sehen darin eine entscheidende Innovation, um die Prävention zu verbessern und die teuren, überlaufenen Spitalsambulanzen zu entlasten.

Schleppender Ausbau

Trotzdem verläuft der Ausbau schleppend. Statt wie geplant 75 derartige Zentren bis 2021 zu errichten, gäbe es bis dato erst 39, rechnet Huss vor. Er erklärt das nicht nur, aber auch mit Widerstand aus der Standesvertretung, der das Gesetz abermals ein Mitspracherecht einräumt. Die Ärztekammer engagiere sich weder bei der Bewerbung des Projekts noch bei der Suche nach Anwärtern: "Es gibt ein Interesse, dass da nicht viel weitergeht."

Huss fordert für die eben angelaufenen Verhandlungen zum Finanzausgleich, bei denen Bund, Länder und Gemeinden bis Jahresende eine Neuverteilung von Steuereinnahmen und Kompetenzen aushandeln sollen, deshalb einen radikalen Schnitt. Die Bundesregierung solle die Zustimmungsrechte der Kammer streichen: "Wenn die ÖGK etwa im Ötztal ein Primärversorgungszentrum einrichten will, dann soll sie das einfach tun können."

Machtrauschige Herren

Die selbstbewussten Kämmerer wollen sich das – no na – nicht bieten lassen. "Die Herren sind etwas machtrauschig", erwidert Präsident Johannes Steinhart. "Eher sollten wir mehr Befugnisse bekommen, denn wir haben die Kompetenz."

"Dreist" nennt Steinhart den Vorwurf, die Kammer würde die Besetzung vorhandener Kassenstellen (Doskozil) sowie die Ausweitung derselben (Huss) blockieren. Er selbst habe schon vor zehn Jahren um 1.300 Ordinationen mehr gefordert, nur ließen sich wegen überbordender Bürokratie, mäßiger Honorare, unvorteilhafter Arbeitszeiten und anderer Rahmenbedingungen schwer Ärzte finden: "Dass wir mutwillig nicht besetzen, ist falsch."

Auch in Sachen Primärversorgungszentren könne von Bremsen keine Rede sein. Weil der Wechsel in solch eine Einrichtung aber auch ein (wirtschaftliches) Risiko berge, suche die Kammer möglichst bewährte Teams, die bereits davor in einer Gruppenpraxis kooperierten: "Das kann ein paar Monate dauern." Außerdem müsse man die Kehrseite bedenken: Ja, derartige Zentren hätten den Vorteil des One-Stop-Shops mit guten Öffnungszeiten. Aber wenn man dafür Ordinationen aus verschiedenen Ortschaften zusammenlegte, würden Menschen eben auch den nahen Arzt verlieren.

Auf welche Seite das politische Pendel ausschlägt? Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) beklagt selbst die Blockaden im Gesundheitssystem, will sich zum aktuellen Streit aber nicht äußern. Zur Kanzlerpartei ÖVP hingegen wird der kampagnenstarken Kammer ein guter Draht nachgesagt.

Kein Wunder also, dass Doskozil vor einem für Donnerstag angesetzten Ländertreffen zum Finanzausgleich auch Gegenwind spürt: Sein Tiroler Kollege Anton Mattle von der ÖVP warf sich für die Ärztekammer in die Bresche. (Gerald John, 25.1.2023)