Cher: "Wenn ich in meinem Leben keine jüngeren Männer kennengelernt hätte, hätte ich niemals ein Date gehabt."

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"It’s a Man's World": So lautet der Titel von Chers 1995er-Album, darauf zu finden unter anderem ihre legendäre Version von "Walking in Memphis". Dieser Albumtitel ist das Motto, unter dem ihre Karriere jahrelang, sogar jahrzehntelang stand.

Bekannt wurde Cher, die mit bürgerlichem Namen Cherilyn Sarkisian heißt, als Teil des Duos Sonny & Cher, durch den Überhit "I Got You Babe" und die gemeinsame TV-Show mit ihrem (Noch-)Ehemann. Damals, in den Sechzigern, konnten weibliche Popstars bei weitem keine so selbstbestimmten Karrieren hinlegen wie heute. Die Entertainmentindustrie war selbstredend von Männern dominiert, die den Ton angaben – und so wurde Cher zu Beginn ihrer Laufbahn lediglich als das "Produkt männlicher Kreativität" präsentiert, wie die Autorin und Uni-Professorin Diane Negra in einem Essay festhielt.

Ab in die Filmbranche

Mitte der Siebziger ging die Ehe des Traumpaars Sonny & Cher in die Brüche: Nachdem jahrelang der Schein einer glücklichen Beziehung aufrechterhalten wurde, reichte Cher die Scheidung ein und gab unter anderem an, dass Sonny ihr Geld aus ihren gemeinsamen Verdiensten vorenthalten habe. Danach geriet Chers Karriere ins Schleudern, ihre Soloplatte "Stars", auf der sie erstmals rockigere Töne anschlug, floppte. Der Tenor: Cher solle sich doch bitte aufs Schönsein konzentrieren und das mit der Musik lieber Fachmännern (Betonung auf Männer) überlassen. Wenn die nur gewusst hätten: Cher sollte mit ihrer einzigartigen Stimme und ihren ausgefallenen Looks noch zu einer Larger-than-Life-Ikone werden, die ihre Karriere in der Musik- und Filmbranche über sechs Jahrzehnte aufrechterhalten konnte – und immer noch kann.

In den Achtzigern beschloss Cher nach mehreren kommerziellen musikalischen Fehlschlägen, ihr Glück in der Filmbranche zu versuchen. Ihre ersten Versuche wurden von niemandem ernstgenommen. Eine Sängerin, die plötzlich denkt, schauspielern zu können? Lachhaft. Doch dann kamen ihre Rollen in "Mask", "Die Hexen von Eastwick" und "Mondsüchtig". Letztere brachte ihr sogar einen Oscar und einen Golden Globe ein.

Im Rahmen dieser Erfolgswelle kehrte sie in die Musik zurück und landete den Rock-Hit "I Found Someone". Mit dem wiedergefundenen Ruhm entfachte natürlich auch die Kritik an ihrer Person von neuem: Cher glänzte mit verrückten, knappen Outfits, nahm sich kein Blatt vor den Mund und datete schon damals jüngere Männer. Im Gegensatz zu Hollywood-Kollegen, die mit jüngeren Frauen zusammen waren, wurde sie dafür nicht gefeiert. Dafür für ihr nächstes Album "Heart of Stone", darauf unter anderem der Hit "If I Could Turn Back Time". Das Musikvideo war aufgrund von Chers Outfit übrigens der erste Clip, der von MTV aus dem Programm verbannt wurde.

Do you believe?

Schließlich stellte Cher im Jahr 1998 der Welt eine Frage, die die Geschichte der Popmusik und die Dimension ihrer Karriere für immer verändern sollte: "Do you believe in life after love?" Cher zumindest glaubte an ein Leben nach zahlreichen Flops, verdrehten Augen und den vielen Malen, als sie sich anhören musste, dass sie es nicht draufhabe, zu schrill, zu wenig brav sei. "Believe" war übrigens der Song, der den Autotune-Effekt, auch bekannt als "Cher-Effekt", populär machte, der erstmals eingesetzt wurde, um die Vocals künstlerisch zu verändern, anstatt sie zu "glätten".

Cher mit dem Designer Olivier Rousteing bei der Fashion Week 2022 in Paris.
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Künstlerische Veränderung anstelle eines glattgebügelten Images: Das trifft bei näherer Betrachtung nicht nur auf den Einsatz des "Cher-Effekts" zu, sondern auf Chers gesamte Karriere. In einem älteren Interview sagte sie über die Anfänge ihrer Karriere: "Es war eine Zeit, als Sängerinnen der Kopf getätschelt wurde, wenn sie brav waren, und als ihnen gesagt wurde, dass sie nicht zu viel denken sollen."

Heute ist Cher 76 Jahre alt und die einzige Künstlerin, die in sechs aufeinanderfolgenden Dekaden einen Nummer-eins-Hit in den Billboard-Charts landen konnte. Und obwohl sich die Zeiten seit den Sechzigern doch ein bisschen geändert haben und es mittlerweile erlaubt ist, seinen blanken Bauchnabel im TV zu zeigen (etwas, wofür Cher kämpfen musste!), scheinen manche Dinge einfach ewig gleich zu bleiben. Genauso wie Madonna wird Cher nur allzu gerne dafür kritisiert und lächerlich gemacht, dass sie offensichtlich Beauty-OPs hat vornehmen lassen und so gar nicht dem klassischen Bild einer 76-jährigen Frau entspricht. "Nicht alles an Cher ist 76 Jahre alt" – derartige Kommentare liest man gern unter Posts über die Ikone. Ha, ha.

Ein weiterer Punkt, der Hater:innen immer wieder sauer aufstößt: Cher datet aktuell einen 40 Jahre jüngeren Mann, den Musikproduzenten Alexander Edwards. Nachdem es auf einige Social-Media-Postings, in denen Cher ihr Glück zeigte, Kritik hagelte, erklärte sie im Interview in der "Kelly Clarkson Show", wie sie dazu steht: "Auf dem Papier ist es schon irgendwie lächerlich. Aber im echten Leben verstehen wir uns großartig." Sie habe schon Partner in ihrem Alter gehabt, aber habe festgestellt, dass ältere Männer einfach nicht so sehr auf sie stehen würden. "Jüngeren Männern ist es egal, ob ich lustig oder unerhört bin, dumme Sachen machen will oder eine starke Persönlichkeit habe. Ich gebe für niemanden meine Persönlichkeit auf, okay?" Gegenüber dem "People"-Magazin sagte sie außerdem: "Wenn ich in meinem Leben keine jüngeren Männer kennengelernt hätte, hätte ich niemals ein Date gehabt."

Tell the truth! This is a woman's world!

Cher gilt unter anderem deswegen als waschechte Ikone, weil sie sich nie hat beirren lassen, die Grenzen der jeweils aktuellen Popkultur eingerissen hat. Sie war einer der ersten Superstars, der die Massen mit der Kunst des Drag bekanntgemacht hat, als zwei Drag-Queens im Rahmen ihrer Las-Vegas-Show im Jahr 1979 (!) auftraten. Sie hat gezeigt, dass man als Frau seinen eigenen Weg gehen darf, die Partner haben darf, die man eben gut findet. Dass man sich ausprobieren und auch einmal scheitern darf. Und dass Scheitern noch lange nicht bedeutet, dass man danach nicht ein fulminantes Comeback hinlegen kann.

Auf ihrem 2013er-Album "Closer to the Truth" findet sich ein Track, dessen Titel sich wohl auf eine frühere Zeit ihrer Karriere bezieht und geschickt den Bogen zur Gegenwart spannt. Er heißt "Woman's World". In dem EDM-Song singt Cher darüber, wie es ist, als Frau kleingemacht zu werden, und schreit uns schon fast entgegen: "Tell the truth! This is a woman’s world!" Dem ist nichts hinzuzufügen.

Ihre "Here We Go Again"-Tour, mit der Cher 2019 auch in Wien haltgemacht hat, hat sie übrigens mit dem Song eröffnet – und bewiesen, dass sie es geschafft hat, die Männerwelt, in der sie berühmt wurde, zu ihrer ganz persönlichen Frauenwelt zu transformieren. Und eine Sache noch: Im Rahmen der Tour wurden an den Merch-Ständen Shirts mit dem Cover ihrer Flopplatte "Stars" verkauft, die mittlerweile als eine ihrer besten Arbeiten gilt. (Verena Bogner, 27.1.2023)