Im Gastblog evaluiert die Politikwissenschafterin Alina Nychyk die verschiedenen Optionen für den Westen im Kontext des russischen Kriegs in der Ukraine.

Die Invasion der Ukraine durch Russland im Februar 2022 ist nicht nur verheerend für die Ukraine, die diesen ungerechten blutigen Krieg auf ihrem Territorium führt, sondern auch für die westliche Gemeinschaft, die die Ukraine finanziell und militärisch unterstützt und Russland durch Sanktionen einschränkt. Jetzt, zu Beginn des Jahres 2023, hoffen viele, dass dieses Jahr der Ukraine den Sieg bringen wird. Aber welcher ukrainische Sieg wäre der beste für den Westen?

Auf welches Ziel sollte die Solidarität des Westens mit der Ukraine hinarbeiten?
Foto: IMAGO/Winfried Rothermel

Die gesamte demokratische Welt steht hinter der Ukraine und verurteilt die brutale russische Aggression. Viele Länder führten harte Sanktionen gegen Russland ein, was Russland zum Land mit den meisten Sanktionen weltweit machte. Sanktionen sind jedoch für beide Seiten schmerzhaft. Insbesondere die Europäische Union erlebt spürbare Auswirkungen der zerstörten Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Die Energiepreise stiegen aufgrund der Beschränkungen beim Kauf von Energieressourcen aus Russland. Im Durchschnitt hatten die EU-Länder im Herbst 2022 eine Inflation von zehn Prozent, mit über 20 Prozent in Lettland, Litauen und Ungarn.

Ein russischer Sieg als fatales Signal

Obwohl der überwiegende Teil der europäischen Bevölkerung für die Unterstützung der Ukraine ist, gibt es auch diejenigen, die dagegen protestieren und ihre Regierungen auffordern, sich auf ihre eigenen Länder zu konzentrieren (solche Proteste finden etwa regelmäßig in Österreich statt). Es gibt Stimmen, dass Putin die Chance gegeben werden sollte, "das Gesicht zu wahren" und der Krieg somit schneller beendet werden kann. Der französische Präsident Macron ist mit der bekannteste Befürworter dieser Idee. Doch egal, wie schwer es für den Westen ist, in diesem Krieg an der Seite der Ukraine zu stehen, der Westen kann Putin keine Zugeständnisse machen.

Wenn der Krieg mit irgendeiner Art von Sieg für Putin endet, könnte der Westen in der Tat kurzfristig davon profitieren. Doch langfristig wird diese Einschätzung des russischen Imperialismus zu schrecklichen Folgen für die Welt führen. Dies wäre ein Signal dafür, dass das Völkerrecht von mächtigeren Staaten gebrochen werden kann und jedes Land angegriffen werden kann. Solche Zugeständnisse würden auch Russland die Schwäche des Westens aufzeigen und könnten Russland künftig zur nächsten Aggression verführen, die sich dann gegen einen EU-Mitgliedstaat richten könnte. Daher hat der Westen die einzige Wahl – die Ukraine bis zum Ende zu unterstützen und dabei zu helfen, das gegenwärtige faschistische Regime in Russland zu zerstören.

Welche Art von ukrainischem Sieg?

Eine andere Frage ist, was wir als Sieg der Ukraine und Niederlage Russlands ansehen würden. Ukrainische Politikerinnen und Politiker sowie die ukrainische Bevölkerung haben oft betont, welchen Sieg sie anstreben – die Wiederherstellung der ukrainischen territorialen Integrität in ihren Grenzen von 1991. Im November 2022 glaubten 89 Prozent der Ukrainer und Ukrainerinnen an die Rückgabe aller ukrainischen Gebiete und 78 Prozent waren dagegen, dass die Ukraine irgendwelche Kompromisse eingehen würde, um diesen Krieg zu beenden.

Nur wenn Russland alle illegal besetzten Gebiete zurückgibt, könnte die internationale Gerechtigkeit wiederhergestellt werden. Einige Versuche von Friedensverhandlungen (etwa die von der Türkei organisierten Gespräche) klammerten die Frage der Krim und des Donbass aus. Es scheint, dass die ukrainischen Verbündeten einen schnellen Frieden, eine Regelung in Bezug auf die seit Februar 2022 von Russland besetzten Gebiete wollen und einen eingefrorenen Status der Krim und des Donbass akzeptieren können. Dies würde nicht funktionieren, da es eine zukünftige russische Aggression befördern könnte und die internationale Gerechtigkeit nicht wiederherstellen wird, die von Russland durch seine rechtswidrige Annexion der Krim im März 2014 gebrochen wurde.

Herausforderungen für die Ukraine nach dem Krieg

Der letzte Punkt betrifft die Ukraine selbst. Wenn Russland besiegt wird, wird die Ukraine zahlreiche interne Probleme haben, die bereits jetzt sichtbar sind. Vor dem Krieg kämpfte die Ukraine mit Korruption, laut Transparency International war die Ukraine auf Platz 122 von 180 Ländern im Jahr 2021, nach Russland das zweitkorrupteste Land in Europa sowie im Bereich ineffektiver Regierungsführung. Während des Krieges verschlechterten sich diese Probleme. Korruption unter hohen Beamten (auch auf regionaler Ebene) ist für das Verschwinden eines großen Teils der humanitären Hilfe für die Ukraine verantwortlich.

Darüber hinaus gibt es Kritik an bestimmten militärischen Entscheidungen der ukrainischen Führung. Zum Beispiel wirft die schnelle Besetzung des Südens der Ukraine zu Beginn des Krieges Fragen auf. Einige behaupten, dies sei auf die Minenräumung des Territoriums und auf die nicht gesprengten Brücken zwischen der Krim und der Südukraine zurückzuführen. Im Gegenzug leiten ukrainische Führer Strafverfolgung gegen diejenigen ein, die Kritik äußern, etwa gegen General Serhii Kryvonos, der zu Beginn des Krieges den Flughafen von Kiew beschützte.

Situation der Demokratie während des Kriegs

Aus anderer Sicht verschlechterte der Krieg die Demokratie in der Ukraine. Erstens wurde die Medienfreiheit eingeschränkt. Einige Kanäle, die entweder als pro-russisch gelten oder dem ehemaligen Präsidenten Poroschenko gehören, wurden geschlossen. Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer beziehen ihre Informationen von United News, das vollständig von der Regierung kontrolliert wird. Nur wenige unabhängige Analystinnen und Analysten teilen ihre unterschiedlichen Meinungen über YouTube-Kanäle (zum Beispiel Yuriy Romanenko, Mikhail Chaplyga).

Eine weitere Menschenrechtsverletzung sind die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Bereits seit elf Kriegsmonaten dürfen Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren die Ukraine nicht verlassen. Kein Akademiker kann für ein paar Tage zu einer internationalen Konferenz reisen und kein männlicher Student kann die Grenze zum Studium überqueren, selbst wenn er sein Studium vor dem Krieg begonnen hat. Die ukrainische Führung ist auch in Bezug auf die ukrainischen Verluste auf dem Schlachtfeld nicht transparent, was das Vertrauen zwischen Politik und der Gesellschaft verschlechtert. Korruption, Zensur und Menschenrechtsverletzungen sind nicht die Zukunft, die die ukrainische Bevölkerung will.

Welche Zukunft der Ukraine soll der Westen unterstützen?

Der Westen ist an einer stabilen und prosperierenden Ukraine interessiert. Die EU würde insbesondere von Stabilität – keine Kriege und stabile Regierungsführung – in der Nähe ihrer Grenzen und der Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Ukraine profitieren. Nach dem Krieg und schon heute erhält die Ukraine enorme finanzielle Unterstützung für den Wiederaufbau des Landes.

Durch diese finanzielle Unterstützung können die Spender kontrollieren, wie das Geld verwendet wird. Es ist nicht nur für die Steuerzahlenden dieser Länder relevant, sondern würde auch den Ukrainerinnen und Ukrainern helfen, von dem Geld zu profitieren und zu verhindern, dass es in den Taschen korrupter Beamten und Beamtinnen landet. Nachdem die Ukraine den Status eines EU-Kandidatenlandes erlangt hat, qualifiziert sie sich außerdem für bestimmte EU-Mittel. Eine solche Vertiefung der Zusammenarbeit könnte von der EU als Gelegenheit genutzt werden, ihre Konditionalität durchzusetzen und die Ukraine näher an die demokratischen Standards der EU heranzuführen.

Zusammenfassend sollte der Westen am vollständigen Sieg der Ukraine interessiert sein – an der Niederlage Russlands in diesem Krieg, der Wiederherstellung der ukrainischen Grenzen von 1991 und einer demokratischen, korruptionsfreien Ukraine. Westliche Länder, insbesondere die EU und andere große Unterstützer der Ukraine, verfügen über eine Vielzahl politischer und wirtschaftlicher Instrumente, um zum Sieg des Landes und zum Aufbau einer stabilen und wohlhabenden Ukraine nach dem Krieg beizutragen. (Alina Nychyk, 26.1.2023 )

Alina Nychyk ist Honorary Research Associate an der University of Manchester. Eine englische Version des Textes samt Quellen ist auf der Homepage des Eastblogs erschienen.

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