Alexander Van der Bellen sprach eine knappe halbe Stunde vor der Bundesversammlung – und wurde großteils mit stehenden Ovationen verabschiedet.

Foto: APA / Roland Schlager

Alexander Van der Bellen ist am Donnerstagvormittag vor der Bundesversammlung erneut als Bundespräsident angelobt worden. Das Staatsoberhaupt sprach die von der Verfassung vorgegebene Formel und gelobte damit, "die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich zu beobachten". In einer von allen Anwesenden – mit Ausnahme der FPÖ – mit Standing Ovations bedachten Rede betonte er, dass der Grundkonsens der Republik für ihn außer Frage stehe und man antidemokratische Tendenzen entschlossen stoppen müsse.

DER STANDARD

In seiner knapp halbstündigen Rede bedankte sich Van der Bellen zunächst bei den Wählerinnen und Wählern, seinem Team sowie seiner Ehefrau Doris Schmidauer: "Ohne deine Kraft und Inspiration stünde ich wahrscheinlich nicht hier."

Danach zeichnete der Bundespräsident, gemäß aktuellen Umfragen, ein dystopisches Bild: Es scheine fast so, "als hätten wir alles, außer die Hoffnung". Die Angst dürfe aber das Bild der Zukunft nicht diktieren. Van der Bellen zeigte sich zuversichtlich: "Wir kriegen das hin – das sind keine leeren Worte." Er erinnerte daran, dass es angesichts der Corona-Pandemie und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine primär negative Aussichten gegeben habe. Doch es habe im letzten Jahr auch ein reales Wirtschaftswachstum von 4,7 Prozent gegeben, die Arbeitslosenquote sei so niedrig wie vor 15 Jahren. Und die Gasspeicher seien – anders als pessimistische Vorhersagen – weitgehend voll. "Wir alle haben es geschafft", sagte Van der Bellen. Und "wir" könnten noch mehr schaffen, wenn die Demokratie weiter hochgehalten und verteidigt werde.

Kompromiss als zentraler Baustein der Demokratie

Danach hob Van der Bellen zu einer Ode auf den Kompromiss an: Dieser sei der zentrale Baustein der Demokratie. Der Kompromiss führe zu einer Lösung, nur das Beharren auf den eigenen Standpunkt führe zu gar nichts. Die Rede von faulen und halben Kompromissen "sollten wir uns schnell wieder abgewöhnen", sagte der Bundespräsident. "Der Kompromiss, ein Herzstück unserer Demokratie, ist etwas Gutes." Es müsse gelingen, "über die Grenzen hinwegzusehen und die Fähigkeiten des anderen zu sehen". Damit adressierte er auch direkt die Abgeordneten im Saal und appellierte an eine konstruktive Zusammenarbeit: Die alten Gewohnheiten müsse man brechen und stattdessen eine "Kulturleistung des Respekts aufbringen".

Intakte Medienlandschaft wichtig für Demokratie

Danach hielt Van der Bellen ein Plädoyer für eine intakte Medienlandschaft. Schließlich fuße Demokratie auf korrekten Informationen. Ohne intakte Medienlandschaft sei "auch unsere Demokratie nicht intakt". Hätte ihm vor 20 Jahren jemand gesagt, dass es neben Fakten auch noch alternative Fakten gebe, die scheinbar gleichwertig nebeneinanderstehen, wäre er bestürzt gewesen. "Ich hätte das nicht für möglich gehalten."

Hier richtete sich Van der Bellen auch an bestimmte politische Strömungen, ohne diese beim Namen zu nennen. Diese würden wissenschaftliche Erkenntnisse bisweilen leugnen oder abstreiten. "Wenn wir hier nicht klar auftreten und die Dinge beim Namen nennen, steht eines Tages unser gesamtes Gesellschafts- und Wertesystem infrage."

Die handelnden Personen in den Medien müssten sich abgewöhnen, der puren Logik des Klicks zu folgen. Künstlich erzeugte Aufgeregtheit lenke von wirklich wichtigen Dingen ab. Dafür müssten aber auch die Rahmenbedingungen passen: In ausgedünnten Redaktionen fehle schlicht die Zeit zu recherchieren. Hier müsse für die entsprechende Finanzierung gesorgt werden.

Verweis auf den Klimawandel

Die Politik müsse Orientierung geben, Lösungen vorschlagen, langfristig handeln – und nicht kurzfristig an Schlagzeilen denken. Politikerinnen und Politiker müssten die Wahrheit sagen, auch wenn diese unangenehm sei. Van der Bellen verwies hier explizit auf die Klimakatastrophe: Es sei nicht mehr die Zeit für "bequemes Geschwätz", um das gewohnte Verhalten nicht verändern zu müssen. Wer es sich so zu einfach mache, verleugne wissenschaftliche Erkenntnisse zum menschengemachten Klimawandel. Jahrzehntelang sei die Reduktion der Treibhausgasemissionen versäumt worden. Auch das sei eine Tatsache. "Wir müssen etwas tun", sagte Van der Bellen. Er verstehe gut, dass junge Menschen wütend sind – und verwies damit indirekt auch auf die Klebeaktionen von Aktivistinnen und Aktivisten. Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern müsse schnell umgesetzt werden.

Zum Abschluss seiner Rede verwies Van der Bellen auf die Solidarität in Europa, aber auch auf den Zusammenhalt innerhalb Österreichs. Alle Handlungen, die den Wohlfahrtsstaat befördern, müssten verbessert und nachhaltig abgesichert werden. Dazu gehöre auch ein Austausch zwischen jenen, die es leichter haben, zugunsten jener, die es schwerer haben.

Mädchen und junge Frauen sollen in eine Welt hineinwachsen, in der alle die gleichen Chancen haben. Diese Gleichberechtigung sei aber leider alles andere als sichergestellt. Hier müssten "endlich echte Verbesserungen erzielt" werden – von der Kinderbetreuung bis zu Karrierechancen.

Die Mitgliedschaft zur EU stehe nicht zur Debatte: Das sei die beste Idee gewesen, "die wir je hatten". Wer nur mit der Idee eines Ausstiegs spiele, spiele mit der Zukunft Österreichs. Und Minderheitenrechte seien unantastbar, der Respekt müsse gewahrt bleiben.

Der verheerende Nationalsozialismus dürfe sich niemals wiederholen. "Und deshalb müssen wir alle sehr genau hinsehen und alles tun, um antidemokratische, die Würde der Menschen verletzende, autoritäre Tendenzen rechtzeitig und entschlossen zu stoppen", sagte Van der Bellen.

Freiheitliche blieben sitzen

Von den anwesenden Gästen im Parlament wurde die Rede immer wieder durch Klatschen unterbrochen, zum Schluss gab es Standing Ovations. Kaum begeistert zeigten sich die Freiheitlichen, die wenig klatschten und nach der Rede sitzen blieben. Van der Bellen hatte vor der Angelobung in einem ORF-Interview die Angelobung eines blauen Kanzlers zumindest in Zweifel gezogen. (David Krutzler, 26.1.2023)