Kosovos Premierminister Albin Kurti steht unter massivem Druck.

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Der kosovarische Premier Albin Kurti hat bei einem Treffen mit dem EU-Verhandler Miroslav Lajčák klargestellt, dass die kosovarische Regierung es nicht akzeptiert, dass die Schaffung eines serbischen Gemeindeverbands als Bedingung für ein Abkommen mit Serbien gestellt wird. Die kosovarische Regierung ist gegen die Schaffung eines solchen Verbands, weil sie fürchtet, dass damit Strukturen geschaffen werden könnten, die es ermöglichen, dass Serbien Einfluss im Nachbarstaat nimmt und die staatliche Souveränität untergräbt. Für zusätzliche Befürchtungen sorgte zuletzt auch der bosnisch-serbische Politiker Milorad Dodik, der sagte, dass der serbische Gemeindeverband im Kosovo eines Tages so sein würde wie der bosnische Landesteil Republika Srpska (RS), also mit sehr weitreichender Autonomie.

Der Verband serbischer Gemeinden wurde 2013 zwischen Serbien und Kosovo ausverhandelt, aber nie umgesetzt, weil kein Statut dafür geschaffen wurde. Kurti meinte nun zu Lajčák, dass keiner der zehn Artikel im deutsch-französischen Vorschlag prioritär zu behandeln sei, also auch nicht jener, bei dem es um den Gemeindeverband geht. Serbien fordert hingegen, dass der Verband der serbischen Gemeinden als Allererstes gebildet werden muss. Offenbar ist die Quint (die USA, Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien) der serbischen Regierung in der zweiten Fassung aber entgegengekommen.

Direkt von Serbien finanziert

Tatsächlich ist der Verweis auf den Gemeindeverband im deutsch-französischen Vorschlag erst kürzlich eingefügt worden. In einer ursprünglichen Fassung war er nicht vorhanden, wie Daniel Serwer, ein US-Balkanexperte von der Johns Hopkins School, erklärt. Serwer spricht von einerseits "zweifelhaften Ergänzungen" und gleichzeitig "wichtigen fehlenden Elementen". Vorgesehen in dem Vorschlag ist zudem, dass der Verband direkt von Serbien finanziert wird.

"Sicher könnte Belgrad den Verband nutzen, um Kontrolle auszuüben, aber Belgrad kontrolliert und finanziert ohnedies bereits die mehrheitlich serbischen Gemeinden über die Partei Srpska Lista", meint Serwer zum STANDARD. An dem Verband wäre lediglich positiv, dass diese Kontrolle und Finanzierung durch Belgrad nun transparent gemacht würde.

Kein Verband in Serbien

Serwer kritisiert aber, dass in dem Vorschlag nicht "auf die Verfassung des Kosovo als Grundlage" hingewiesen wird. Dieser Hinweis wäre aber deshalb besonders wichtig, weil der kosovarische Verfassungsgerichtshof in der Causa bereits Recht gesprochen hat und einige geplante Prinzipien für verfassungswidrig erklärt hat. Die serbische Regierung will aber diese Einschätzung des kosovarischen Verfassungsgerichts nicht akzeptieren. Serwer kritisiert zudem, dass der deutsch-französische Vorschlag nicht vorsieht, dass auch Gemeinden mit Albanern innerhalb von Serbien einen Verband schaffen können.

Der Professor für Konfliktmanagement moniert auch, dass die bisher nicht erfolgte Anerkennung des Kosovo durch fünf EU-Staaten (Rumänien, Slowakei, Spanien, Zypern, Griechenland) nicht adressiert wird. Vor zehn Jahren, als der Gemeindeverband verhandelt wurde, gingen viele Diplomaten nämlich noch davon aus, dass Serbien eines Tages im Rahmen der EU-Erweiterung den Kosovo als Staat anerkennen und in der Folge dies auch von den fünf, die den Kosovo nicht anerkennen, in der EU gemacht werden könnte. Doch an die EU-Erweiterung auf dem Balkan glaubt kaum einer mehr, insbesondere Serbien hat in den vergangenen Jahren kaum Schritte in diese Richtung gemacht.

Zwischenlösung

Serwer verweist zudem darauf, dass das vorgeschlagene Abkommen nicht an den deutsch-deutschen Grundlagenvertrag aus dem Jahr 1973 zwischen der BRD und der DDR herankomme, weil der Kosovo keine Chance hat, durch das Abkommen UN-Mitglied zu werden. Auch unter Diplomaten, die sich mit dem Vertag beschäftigen, wird nur von einer "Zwischenlösung" gesprochen. Den USA, die maßgeblich hinter dem Vorschlag stehen, geht es vor allem darum, die Situation auf dem Balkan zu beruhigen und auch den Einfluss Russlands zu begrenzen.

Serwer meint, dass es relativ leicht sei, den Kosovo unter Druck zu setzen, ein Land, das keine andere Wahl habe, als mit der Nato und der EU mitzuziehen. "Der Druck auf Serbien ist weit geringer. Der serbische Präsident Vučić hat ein erfolgreiches Absicherungsspiel gespielt, indem er Russland und China gegen die EU und die USA ausbalanciert hat. Dieses Spiel könnte jetzt aus sein. Die Europäer haben Serbien ein hartes Ultimatum gestellt, dessen konkreter Inhalt ungewiss, aber leicht vorstellbar ist."

Augen öffnen

Vučić selbst hatte diese Woche davon gesprochen, dass ihm klargemacht worden sei, dass Serbien EU-Finanzhilfen und die Bürger Serbiens die Schengen-Visumfreiheit verlieren könnten, auch könnten sich Investoren zurückziehen, falls er nicht einlenken würde. Letzteres ist allerdings schwer vorstellbar, weil Investoren sich nicht politisch steuern lassen. Vučić hat zudem viele Verbündete und Freunde in der EU – allen voran den ebenfalls illiberalen und autoritär agierenden ungarischen Premier Viktor Orbán.

Der Staatschef Serbiens hat aber offenbar nun den veränderten deutsch-französischen Vorschlag als Grundlage für die Verhandlungen mit Kosovo akzeptiert, was bisher nicht der Fall war. Er sprach zudem über die Notwendigkeit für Serbien, sich nicht mehr "selbst zu belügen" und "seine Augen zu öffnen" und mögliche Konsequenzen der Ablehnung des deutsch-französischen Vorschlags zu verstehen.

Teil der kosovarischen Rechtsordnung

Kurti wiederum steht unter massivem Druck der Quint-Verhandler, den serbischen Gemeindeverband umzusetzen. Am Montag wird ein Vorschlag von der SPD-nahen deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Prishtina veröffentlicht. Der Grazer Verfassungs- und Balkanexperte Josef Marko erklärt zu dem Gemeindeverband, dass der Vertrag zum Gemeindeverband zwischen Serbien und Kosovo aus dem Jahr 2013 auch laut dem kosovarischen Verfassungsgericht "Teil der kosovarischen Rechtsordnung" ist, also umgesetzt werden muss.

Die generellen Prinzipien zur Umsetzung des Abkommens von 2013 seien hingegen vom kosovarischen Verfassungsgericht geprüft worden und als "solches kein Rechtsakt". "lm Ergebnis kam das Verfassungsgericht dabei zur Ansicht, dass mehrere Punkte der generellen Prinzipien verfassungswidrig wären und wohl nur durch eine Änderung der Verfassung umgesetzt werden könnten und nicht einfach nur durch eine Verordnung der Regierung."

Verband nach öffentlichem Recht

Es gehe nun darum, dass unklar sei, wie der Gemeindeverband gegründet werden soll, also die Frage des Statuts. Serbien will einen Gemeindeverband nach öffentlichem Recht, die kosovarische Regierung einen Gemeindeverband nach Privatrecht. Laut Marko kann der Gemeindeverband nur dann auf öffentlich-rechtlicher Grundlage geschaffen werden, wenn die entsprechenden Verfassungsartikel eingehalten werden. Laut der FES soll der neue Vorschlag auf öffentlich-rechtlicher Grundlage stehen, konkret geht es um eine Regierungsverordnung, abgeleitet aus dem Gesetz, das die erste Grundsatzvereinbarung von 2013 ratifiziert. (Adelheid Wölfl, 26.1.2023)