Typische Wien-Geräusche sind der Verkehrslärm ...

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... das bimmelnde Glockengeräusch der Straßenbahn ...

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... die Fiaker oder natürlich ...

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... die selten erklingende Pummerin des Stephansdoms.

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Es muss nicht immer nur Sachertorte, der Prater oder ein Klimt-Gemälde sein: Wien lässt sich nämlich auch hörend erforschen. Das gilt nicht nur für Touristinnen und Touristen, die in der Bundeshauptstadt zu Besuch sind. Was die Stadt akustisch wiedererkennbar macht, geht nämlich auch im Alltag oft verloren. Wie andere Städte auch verfügt Wien über seinen eigenen, ganz spezifischen Klang. Dass markante Geräusche Städten eine akustische Identität verleihen, hielt der Kanadier Raymond Murray Schafer fest, der die wissenschaftliche Disziplin der Klangforschung ab den 1970er-Jahren wesentlich vorangetrieben hat. Der Komponist und Klangforscher prägte den Begriff der "Soundscapes": Klanglandschaften, die sich zusammensetzen aus Musik, Sprache, Arbeits-, Maschinen- oder Naturgeräuschen.

Nun ist die akustische Empfindung allerdings eine sehr subjektive und ist dadurch schwer messbar. Wie eine Stadt gehört wird, wird zudem von vielen Faktoren bestimmt. Schließlich hört man viel mehr, als man sieht – weil man auch hört, was man nicht sieht. Als ein Klangwahrzeichen Kölns etwa gilt das Glockenläuten des Kölner Doms, in Paris wird das Zischen der Metrozüge als solches wahrgenommen, in New York die Sirene der Polizei.

Die akustische Kulisse Wiens in der Gegenwart hingegen hat zuletzt der Soziologe Marvin Heine untersucht. Der aus dem deutschen Regensburg stammende Heine hat sich auf Klänge spezialisiert. Für seine Masterarbeit an der Universität Wien, die er 2021 abgeschlossen hatte, befragte er die Bewohnerinnen und Bewohner nach den für sie typischen Geräuschen. Schnell zeigte sich: In nahezu jedem Interview gaben die Befragten als Erstes das bimmelnde Glockengeräusch der Straßenbahn an.

Kaffeetasse und Fiaker

Als weitere charakteristische Töne gaben sie an: das Klirren von Geschirr im Kaffeehaus, das Hufgeklapper der Fiakerpferde, aufgeschnappte Wortfetzen in Wiener Dialekt, das in der Ferne wahrgenommene Spielen eines Instruments oder die selten erklingende Pummerin des Stephansdoms. Seine Erkenntnis, erzählt Heine, sei gewesen, dass Wien "aus vielen Soundscapes besteht", die sich aus einem ständigen Zusammenspiel mehrerer Aspekte ergeben: aus materiellen, also wie breit eine Straße, wie hoch oder aus welchem Material ein Haus ist; aus kulturell-soziologischen Praktiken an einem bestimmten Ort; und aus der subjektiven Erfahrung, wie Stimmung wahrgenommen wird.

Dass Wien insgesamt anders klinge als Rom oder Lissabon, hänge ebenso mit einer Vielzahl von Gründen zusammen: Die Architektur ist anders, die Schrittgeschwindigkeit, mit der man sich fortbewegt, ebenso findet das Leben im Süden mehr im Freien statt.

Vergleiche sind Heine zufolge eher angebracht, wenn es um einzelne Orte innerhalb ein und derselben Stadt geht. So gestaltet sich der öffentliche Raum im zehnten Bezirk anders als jener im ersten. In Favoriten ist die Durchmischung unterschiedlicher Sprachen viel größer, es gibt Märkte, aber keine Fiaker. Heine: "Wer in Favoriten aufwächst, für den ist das Wien." Umgekehrt hätten die Befragten in der Inneren Stadt über Favoriten gesagt, "dass es dort klingt wie am Balkan".

Dafür gehört für sie der Klang der durch die Innenstadt ziehenden Pferdekutsche zum Alltag. Heine beschreibt so manche "akustische Unterschiede" auch als "Rassismen". Mit Geräuschen verhält es sich ähnlich wie mit Dingen, die Menschen fremd sind: Wer sie nicht kennt, nimmt sie oftmals als Bedrohung, als störend wahr. Was dabei als Lärm beschrieben wird, ist allerdings reine Interpretationssache – ebenso wie Lärmbelästigung. Nicht jeder Lärm wird allerdings automatisch als negativ empfunden. Im Hintergrund laufende Gespräche in Kaffeehäusern etwa oder das Plätschern von Springbrunnen werden Studien zufolge als wohltuend empfunden. Der ideale Lebensraum muss also nicht leise, sondern akustisch ansprechend sein.

Stadtplanung und Lärm

Durch die zusehende Elektrifizierung des Verkehrs entfällt eine der größten Lärmquellen. Dass eine angenehme Klangkulisse zu einer lebenswerten Stadt dazugehört wie saubere Luft, Grünflächen oder eine ansprechende Architektur, bedenkt moderne Stadtplanung zusehends mit – in Form von begrünten Dächern zum Beispiel oder Bauweisen, die auf die Verkehrsberuhigung von Wohnquartieren abzielen. Generell, und auch in Wien, "steht allerdings das Akustische ungleich weniger im Fokus als das Visuelle", befindet Heine: "Eben weil es so kompliziert und schwer greifbar ist." Initiativen rund um die Lärmsanierung gibt es in Wien durchaus, als Themengebiet ist es in die Magistratsabteilung für Umweltschutz integriert. Eine eigene Behörde für Lärm gibt es wie etwa für Licht nicht.

Doch es sei ein Problem, so Heine, unter dem viele Menschen leiden würden, deshalb gehe es auch über Lärmschutz hinaus und erfordere "einen generellen Paradigmenwechsel, auch in Bezug auf Klimaveränderungen". Der Soziologe lebt heute in Berlin, wo er an der Humboldt-Universität forscht. Seine nächste Arbeit befasst sich mit der direkten und indirekten Wahrnehmung der – ähnlich wie in Kalifornien – steigenden Waldbrandgefahr in Brandenburg.

Lärmverschmutzung bleibt eines der großen Probleme von Städten. Ein hoher Geräuschpegel wird oftmals nicht nur als unangenehm empfunden, er macht auch krank. Die gesundheitlichen Folgeerscheinungen können hormonelle Störungen, Herz-Kreislauf- oder Blutdruck-Erkrankungen sein, auch Depressionen lösen sie aus.

Zuletzt kehrte während der Pandemie-Lockdowns weltweit durch das Herunterfahren des öffentlichen Lebens plötzlich Stille in den Städten ein. So auch und vor allem in Wien, das bis heute den österreichweit strengsten Kurs fuhr. Der Stadthistoriker Peter Payer hat nicht nur ein Buch verfasst über die Stille in der Metropole während der Corona-Krise, "als man zum ersten Mal das Wasser im Gully rauschen hörte". Payer hat zuvor auch über die Geräusche Wiens um 1900 geschrieben. Dabei beschrieb er, wie anders Wien früher klang, dass es aber nie leise war. (Anna Giulia Fink, 26.1.2023)