Im Gastblog stellt Peter Reischer die architektonischen Besonderheiten der Servitenkirche im Zuge von baulichen Neuerungen vor.

Es muss ja nicht gerade November oder die Adventzeit – wenn alles grau und nebelig wird – sein, um wieder einmal eine Kirche zu besuchen. Kirchen sind Topoi des Unfassbaren, selbst die kleinsten und unscheinbarsten Kirchen werden an manchen Tagen zu besonderen Stätten, etwas schwingt in ihnen, dessen Einfluss sich auch viele Agnostiker und Agnostikerinnen kaum zu entziehen vermögen. Umso mehr, wenn Gold, frühbarocke Pracht und Ausdrucksstärke sich mit zeitgenössischer Kunst paaren, wie in der Pfarrkirche Rossau / Maria Verkündigung – bekannt als Servitenkirche – in Wien. Es ist (k)eine Kirche wie viele andere in Wien, und sie birgt einige Besonderheiten in sich.

Das sakrale Gebäude wurde innerhalb von fünf Bauphasen restauriert und der Altarraum neu gestaltet.
Foto: Treberspurg & Partner Architekten

Sie gehört zu den interessantesten und auch bekanntesten Barockkirchen Wiens. 1651 begann der italienische Architekt Carlo Martino Carlone mit dem Bau – inspiriert von einem Entwurf von Andrea Palladio –, fertiggestellt wurde die Innenraumausstattung im Jahr 1677 von Carlo Canevale. Knapp 350 Jahre später erfuhr die Kirche eine markante Neugestaltung ihres Innenraumes. In insgesamt fünf Bauphasen wurde das sakrale Gebäude restauriert. Zeitlich folgte die Sanierung auf die im Jahr 2014 fertiggestellte Generalsanierung der Peregrinikapelle, einem eigenen separierten Baukörper Richtung Grünentorgasse. Sie wurde von den Treberspurg und Partner Architekten barrierefrei mit einem denkmalpflegerisch sensibel gelösten Rampenzubau gestaltet und diente während der Sanierungsarbeiten in der Servitenkirche als Ausweichraum.

Anschließend wurde auch der Altarraum neugestaltet und vor kurzem fertiggestellt. Gemeinsam mit der Erzdiözese Wien haben Architekten und der Künstler Werner Feiersinger eine denkmalgerechte und für die Anforderungen der Pfarrgemeinde Rossau passende Lösung umgesetzt. Der Pfarrer der Pfarre Rossau, Pater Giovanni Micco FSCB und die K.I.R.-Gruppe (Kirchen.Innen.Renovierung), mit zeitweise bis zu 15 ehrenamtlich tätigen Pfarrmitgliedern, haben den Prozess über 15 Jahre vorangetrieben und begleitet. Denn einen Altarraum heute neu zu gestalten, bedeutet nicht nur den ästhetischen Aspekt und offensichtlich religiöse Symbolik zu berücksichtigen. Es bedeutet auch ein Herantasten an die mystischen Inhalte der Religion und der Prozess muss auch die Gefühle und Bedürfnisse der Menschen, die sie benutzen, berücksichtigen.

Die Neugestaltung des barocken Kirchenraumes

Der Kirchenraum der Servitenkirche ist der erste und einer der wichtigsten barocken Kirchenräume mit ovaler Zentralkuppel in Wien. Die Originalgestaltung aus dieser Zeit hat die Türkenbelagerungen in Wien im Wesentlichen vollständig überlebt, somit hat dieser Kirchenraum in der Kunstgeschichte einen einmaligen Stellenwert. Kunsthistorisch interessant sind die unterhalb der Kuppel angebrachten Skulpturen der Propheten – von denen einige Turbane tragen. Die baulichen Maßnahmen umfassten in erster Linie eine zeitgemäße und liturgisch fundierte Neugestaltung des Altarraumes mitsamt dem Presbyterium (der Ort, von dem aus der Priester die Messe leitet) unter den Anforderungen des Denkmalschutzes.

Die Restaurierung der Kuppel der Servitenkirche wurde 2016 fertiggestellt.
Foto: Wolfgang Hennings

Weitere Planungsschwerpunkte waren die behutsame Restaurierung der Kuppel, der Gewölbe sowie der Raumschale mit den Fresken sowie die Erweiterung der Heizung. Weiters wurden Stuck und Wand- und Deckenoberflächen mit Kalkfarbe nach historischer Rezeptur farblich neu gefasst und fach- und sachgerecht restauriert. Die Fresken wurden gereinigt und teilweise retuschiert. Bei Stuck- und Putzoberflächen wurde ein gedämpfter Weißton gewählt.

Bewegung um historische Kirchenbänke

Der Altar stand ursprünglich eher vorne im Presbyterium, nach dem zweiten Vatikanischen Konzil und der 'Öffnung zum Volk hin' war das aber nicht unbedingt 'Nähe' vermittelnd. Außerdem war er noch auf einem Podest aufgebaut, was ihn noch weiter von den Gläubigen entfernte. Das ursprüngliche Konzept für die Neugestaltung des Altarraumes orientierte sich am Communio-Modell. Dafür hätten man aber die Kirchenbänke durch neues Mobiliar ersetzen müssen. Da diese maßgefertigten Kirchenbänke für den ovalen Kirchenraum über kunsthandwerkliche Arbeiten aus der Erbauungszeit verfügen und dadurch einen kulturhistorischen Wert haben, hat man sich nach vielen Planungsüberlegungen dagegen entschieden, sie zu ersetzen. Sie wurden nur leicht nach hinten versetzt.

Der neue Altar enthält wesentliche Elemente des ursprünglichen Volksaltars, des ersten Volksaltars in Wien nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.
Foto: Werner Feiersinger

Der Altar kommt auf den Mensch zu

Unter dieser Rahmenbedingung hat sich die aktuelle Altarraumgestaltung entwickelt. Das von Werner Feiersinger entwickelte Konzept sieht einen Kreis vor, eingelassen in dem aus roten und weißen Platten bestehenden Kirchenboden – aber mit Steinplatten aus einem hellgrauen Kalkstein (Lipica Unito) aus Slowenien. Die Platten sind hier orthogonal verlegt, im Kontrast zu den sonst diagonal verlegten Platten im übrigen Raum. Zwei Stufen trennen diesen Kreis vom Kirchenraum und der Bogen greift räumlich leicht in diesen ein. Dadurch entsteht die Wirkung einer Bewegung: Der graue Kreis (mit Altar und Ambos) scheint sich vom Hochaltar weg nach vorne zu den Gläubigen hin zu schieben. Auch der im Kirchenraum sichtbare Segmentbogen mit den zwei Stufen erweckt den Eindruck einer Umarmung, besser gesagt: der Öffnung zum Raum hin. So kommt der Altar buchstäblich den Menschen entgegen.

Ein sehr sensibles Konzept, welches noch um einige weitere Feinheiten bereichert wurde. So sind die zwei Stufen, welche den Höhenunterschied ausgleichen, mit weichen Kanten versehen, und wirken so wie ein fließender Übergang, nicht wie eine Barriere. Der Sockel (Stipes oder Altarblock) ist der Originalteil des ersten Volksaltars, den Architekt Karl Simon 1966 entworfen hatte. Damals sollte die Mensa (Altarplatte) des Altars aus einem grünen Cipollino Marmor gefertigt werden, derselbe Stein, der bei der Fassade des Loos-Hauses in Wien Verwendung fand. Wahrscheinlich war das dann zu teuer und so war die ehemalige Mensa aus demselben, roten Stein wie der Stipes. Feiersinger hat nun den damalig ausgeschiedenen Stein gewählt, um den Altar in seiner ursprünglich geplanten Form zu vollenden. Allerdings hat der Künstler die Tischhöhe durch kleine Kunstgriffe angehoben, sodass auch heutige Priester ohne große Rückenschmerzen die Wandlung vollziehen können. Der Priestersessel und die Sitzgelegenheiten für die Ministranten sind einfache Holzstühle mit runden, gepolsterten Sitzflächen – so entsteht auch bei nicht genau orthogonaler Ausrichtung der Möbel nicht der Eindruck von schlampiger Unordnung.

Der neue Altar wurde in den Hauptraum vorgerückt, um die Beziehung zwischen Pfarrgemeinde und Priester zu intensivieren.
Foto: Werner Feiersinger

Der Altar selbst ist aus der Mitte des Kreises zu den Gläubigen nach vorne gerückt, um die Verbindung zwischen Pfarrgemeinde und Priester zu intensivieren. Im hinteren Teil des Presbyteriums entstand so genügend Raum für ein neues Taufbecken, welches ebenso wie der Ambos in einem dezenten Grauton gehalten ist. Ein schlichtes silbernes Metallkreuz auf einem Holzstiel rechts vom Altar korrespondiert mit einem barocken Kreuzsymbol an der Wand, nicht nur durch die Schattenwirkung und symbolisiert das Kreuz im Wandel der Zeiten.

Eine Verbindung zwischen den beiden Kreuzen aus unterschiedlichen Zeitaltern wird auch durch den Schattenwurf hergestellt.
Foto: Peter Reischer

Man muss nicht unbedingt (erz)katholisch sein, um die Metapher der Gestaltung in diesem Altarraum zu verstehen. Es genügt eine gewisse Offenheit und Unvoreingenommenheit. In dieser neuen Gestaltung des Altarraums in der Servitenkirche findet man sie: modern und gesprächsbereit. (Peter Reischer, 2.2.2023)