Buzz Aldrin steigt nach Ende des ersten menschlichen Spaziergangs auf dem Mond zurück in die Landefähre. Wann genau das geschah, ist gar nicht so einfach festzustellen.
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Viele von uns, die täglich Termindruck ausgesetzt sind, verfluchen ihre Abhängigkeit von Uhren, die das Leben über die Maßen zu bestimmen scheinen. Doch wenn sich mehrere Menschen verabreden und nicht aufeinander warten wollen, braucht es einen gemeinsamen Zeitbegriff und Messgeräte, die uns verlässlich darüber Auskunft geben.

Auf der Erde gab es auch vor der Erfindung der Uhren eine Möglichkeit, die Zeit zu messen, wenn man sich treffen wollte. Die Sonne wurde nicht nur von Seefahrern zum Navigieren verwendet, sondern diente auch Landbewohnern als kosmisches Messgerät, das über das Verstreichen des Tages Auskunft gab.

Das Sonnenlicht ist so bestimmend für unseren Tagesablauf, dass alle Menschen auf der Erde ihre Uhren danach stellen, orientieren sich doch die Zeitzonen nach dem Sonnenstand. Auf der Erde gibt es also wenig Grund, den geltenden Zeitbegriff infrage zu stellen, wenn es nicht um die leidige Frage der Zeitumstellung zwischen Sommer- und Winterzeit geht und um die Frage, ob wir lieber in der Früh bei der Arbeit oder abends in unserer Freizeit Sonnenlicht wollen.

Londoner Zeit auf der ISS

Der Fortschritt bei der bemannten Raumfahrt wirft aber neue Fragen auf. Auf der internationalen Raumstation ISS orientieren sich die Astronautinnen und Astronauten für ihren Schlafrhythmus im Wesentlichen an der Londoner Uhrzeit. Die Sonne ist keine Hilfe: Auf der ISS geht sie etwa alle 45 Minuten auf und unter.

Ähnliches gilt für den Mond. Hier hatte bisher jede Mondmission ihre eigene Zeit. Nachdem sich noch nie Menschen unterschiedlicher Missionen auf dem Mond begegnet waren, gab es damit keinerlei Probleme. Meist orientierte sich die Missionszeit an der koordinierten Weltzeit UTC. Das wäre bestimmt auch für die Zukunft eine gute Wahl.

Doch der Teufel liegt buchstäblich im Detail. Uhren auf Erde und Mond gehen nämlich nicht exakt gleich schnell. Das ist nicht metaphorisch gemeint, sondern geht auf einen Effekt der Allgemeinen Relativitätstheorie zurück. Gravitation beeinflusst nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit. In der Nähe von Schwarzen Löchern wird der Effekt so stark, dass die Zeit in einem Objekt, das in die Nähe des Ereignishorizonts kommt, praktisch zum Stillstand kommt. Derselbe Effekt zeigt sich in schwächerer Form bei Erde und Mond: Der Mond ist leichter, was dazu führt, dass zwei baugleiche Uhren hier und da unterschiedlich schnell laufen. Etwa 56 Mikrosekunden beträgt der Unterschied alle 24 Stunden. Das liegt unabhängig von der Art der Uhren an der Veränderung der Zeit selbst.

Um wirklich die Zeit zwischen verschiedenen – menschlichen und maschinellen – Teilnehmenden einer Mondmission zu synchronisieren, denken Weltraumagenturen derzeit darüber nach, Uhren per Satellit zu synchronisieren. Doch es ist unklar, ob sich die Mondzeit überhaupt an UTC orientieren sollte oder ob der Mond seine eigene Zeit bekommen könnte.

Ein Selfie der unbemannten Orion-Kapsel des Artemis-Programms, mit dem die nächste bemannte Mondmission vorbereitet werden sollte. Sobald mehrere Mondmissionen zugleich stattfinden, braucht es eine gemeinsame Zeit, an der sich alle orientieren.
Foto: EPA/NASA HANDOUT

Treffen zur Zeitfindung

Für die Wahl der richtigen Mondzeit wurde im November 2022 ein Treffen von Vertreterinnen und Vertretern der Weltraumagenturen im niederländischen Noordwijk einberufen, berichtet das Fachjournal "Nature". Patrizia Tavella, die das internationale Büro von Maß und Gewicht leitet, in dem auch das Pariser Urmeter aufbewahrt wird, warnt, eine Entscheidung müsse bald getroffen werden. Aus Sicht dieses Eichamts ist der Zustand eines Himmelskörpers ohne gültigen Zeitbegriff offenbar unhaltbar.

Doch tatsächlich drängt die Zeit. Bis 2030 soll der Mond eine Art Satellitennavigationssystem bekommen, das dem irdischen GPS ähnelt. Die Esa und die US-Weltraumagentur Nasa arbeiten sogar an zwei unabhängigen Systemen. Das System der Esa soll Moonlight heißen, das Nasa-System heißt "Lunar Communications Relay and Navigation Systems".

Für derartige Navigationssysteme ist extrem präzise Zeitmessung zentral. Jeder GPS-Satellit enthält eine Atomuhr. Die Positionsbestimmung geschieht über die Laufzeitbestimmung von Radiosignalen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen. Um die Position zu messen, greift man auf einen Effekt der Relativitätstheorie zurück und muss sich folgerichtig mit den extrem kleinen Abweichungen durch die relativistischen Auswirkungen von Massen auf die Zeit auseinandersetzen.

Bisher wurde die Positionsbestimmung über Radiokommunikation mit Bodenstationen auf der Erde durchgeführt. Doch angesichts von zig geplanten Mondmissionen gehen auf der Erde diesbezüglich die Ressourcen zur Neige.

Die Bindung an die irdische Zeit könnte für den Mond bald Geschichte sein.
Foto: IMAGO/MiS

Ab 2024 sollen testweise Satellitennavigationssignale von der Erde zur Positionsbestimmung auf dem Mond getestet werden, bevor die amerikanischen GNNS-Satelliten ihre Arbeit aufnehmen. Bei der Esa will man vier Satelliten aussetzen, die Navigation am Südpol ermöglichen sollen, wo sich Wasser und andere wichtige Ressourcen befinden.

Paradies für Einstein-Fans

Zusätzlich zu diesen Satelliten, die Atomuhren enthalten sollen, wird es drei genaue Uhren auf der Mondoberfläche geben, die miteinander synchronisiert werden, um eine universelle Mondzeit zu etablieren. Patrizia Tavella nennt das Gebiet ein "Paradies für Fachleute der Relativitätstheorie".

Ob diese drei Uhren schließlich mit der Weltzeit UTC synchronisiert werden sollen, ist noch offen. Der Mond könnte auch seine ganz eigene Zeit bekommen, die sich an den natürlichen Gegebenheiten orientiert. Immerhin dauert der Mondtag etwa 29,5 Erdentage und könnte als Anhaltspunkt dienen, die Zeit danach auszurichten.

Die Wahl der richtigen Zeit ist nur eine der Aufgaben von Expertinnen und Experten, die sich mit Einheiten und Maßen beschäftigen. Sie soll Teil des sogenannten Lunanet werden, das die Standards für Navigation und Kommunikation vorgeben und als eine Art Internet dienen soll. Auf lange Sicht ist sogar ein auf das ganze Sonnensystem ausgeweitetes Internet geplant. Der Mond soll hier nur das Sprungbrett bieten. Die Frage nach der richtigen Zeit wird sich dann von neuem stellen, wenn der nächste Himmelskörper zu einem menschlichen Lebensraum werden soll. (Reinhard Kleindl, 28.1.2023)