Georg Gratzer, Patrick Scherhaufer und Reinhard Steurer – drei Forscher an der Universität für Bodenkultur – treten in ihrem Gastkommentar dafür ein, dass sich die Wissenschaft mehr in den politischen Diskurs einmischt. Nur Papiere zu schreiben und Forschungsergebnisse vorzulegen sei zu wenig.

Der wärmste Jahresbeginn seit Beginn der Klimaaufzeichnungen, das Jahr 2022 unter den drei wärmsten Jahren der Messgeschichte und eines der 15 trockensten Jahre seit Mitte des 19. Jahrhunderts, Schäden in der Landwirtschaft durch Dürre, Hagel, Sturm und Überschwemmungen, die auf 170 Millionen Euro beziffert werden. Und das ist erst der Anfang.

Seit Jahrzehnten machen Wissenschafterinnen und Wissenschafter auf die globale Erhitzung aufmerksam. Wir messen, rechnen, modellieren, benennen die Verursacherinnen und Verursacher, schlagen konkrete Maßnahmen vor und analysieren Umsetzungsbarrieren. Wir bewerten den Stand dieses Wissens selbstkritisch und veröffentlichen die Ergebnisse nicht nur in Fachzeitschriften, sondern auch in Vorträgen und Medienberichten. Wir erstellen zudem leicht lesbare Kurzfassungen für Politikerinnen und Politiker. So haben wir das seit Jahrzehnten tausendfach gemacht.

Eine der vielen Klimaklebeaktionen: Verkehrsblockade als ziviler Widerstand.
Foto: IMAGO/SEPA.Media

Zum Wohl der Gesellschaft

Hat dieses gut aufbereitete Wissen genug zur Lösung der Klimakrise beigetragen? Sie ahnen es: nein. Seit dem ersten Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) im Jahr 1990 sind die globalen CO2-Emissionen um 67 Prozent gestiegen. In Österreich sind sie nach wie vor auf dem Niveau von 1990. Damit verfehlen wir das Paris-Limit global und national eindeutig, mit fatalen Auswirkungen.

Vor diesem Hintergrund kommen wir zu dem Schluss, dass die Übereinkunft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gebrochen ist. Sie sieht vor, dass Wissenschaft, vorwiegend durch öffentliche Gelder finanziert, durch ihr Streben nach Wissen zum Wohl der Gesellschaft beiträgt. Gut zum Ausdruck kommt diese Aufgabe im Universitätsgesetz 2002. Der erste Satz von Paragraf 1 sieht Universitäten dazu berufen, "verantwortlich zur Lösung der Probleme des Menschen sowie zur gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft und der natürlichen Umwelt beizutragen".

Weiter wie bisher?

Was also tun? Weiter wie bisher, während sich alle Bereiche der Gesellschaft ändern sollten? Ein Moratorium von Forschung zu Details der globalen Erhitzung, wie das von IPCC-Autorinnen und Autoren jüngst vorgeschlagen wurde? Kein siebter IPCC-Bericht, solange die Erkenntnisse der letzten Berichte nicht ernsthaft umgesetzt werden? Dadurch würden immerhin tausende Stunden frei, um den Notstand angemessen zu kommunizieren. Was es jedenfalls brauchen wird: Um wirksamer zu sein, sollten Wissenschafterinnen und Wissenschafter mehr und mehr ihre Komfortzonen und damit auch ihr Mantra von einer evidenzbasierten, aber politisch indifferenten Wissenschaft verlassen. Wir müssen vor allem Probleme und Blockierer beim Namen nennen.

Wie Wissenschaft gemeinsam mit gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren politisch relevante Impulse setzen kann, zeigt transformative Forschung schon seit Jahren. Zudem ist es an der Zeit, dass Forscherinnen und Forscher auch zu ungewöhnlichen, aufrüttelnden Formen der Kommunikation greifen. Manche gehen sogar noch einen Schritt weiter und üben selbst zivilen Widerstand aus, wie zum Beispiel bei Scientists Rebellion. Kurzum: Während Aktivistinnen und Aktivisten von der Sozialwissenschaft lernen, dass gesellschaftlicher Wandel oft durch Proteste beschleunigt wird, können wir von ihnen lernen, wie die Klimakrise jene mediale Dringlichkeit erhält, die das Problem und unsere Erkenntnisse dazu bislang selten hatten.

"Wenn es gilt, das brennende Haus zu löschen, wird sich Kontakt mit Ruß, Rauch und Hitze nicht vermeiden lassen."

Außerhalb der Komfortzone angekommen, sollte sich eine transparent normative Wissenschaft hinter jene gesellschaftlichen Kräfte stellen, die konsequent für Lösungen eintreten. 2019 und 2021 war das vor allem Fridays for Future. Derzeit sind das neben den Fridays auch kleinere Gruppen wie Lobau bleibt, Erde brennt oder die Letzte Generation. Sie teilen den provokanten, aber vielversprechenden Ansatz, gesellschaftliche Veränderungen durch zivilen Widerstand anzustoßen. Unbequem und unbeliebt ist das, verständlicherweise. Aber wenn es gilt, das brennende Haus zu löschen, wird sich Kontakt mit Ruß, Rauch und Hitze nicht vermeiden lassen.

Seit einiger Zeit wird versucht, diese Gruppen zu kriminalisieren, der Staatsschutz überwacht. Bald aber wird klar werden, dass die wahren Gefährderinnen und Gefährder ganz woanders wirken, nämlich dort, wo Umsetzung verhindert wird. Zu diesem Schluss kommt Thomas Haldenwang, Präsident des deutschen Verfassungsschutzes, schon heute. Zur Letzten Generation meint er, diese sage im Grunde: "He, Regierung, ihr habt so lange geschlafen, ihr müsst jetzt endlich mal was tun. Also, anders kann man (...) gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man die Funktionsträger zum Handeln auffordert."

Zu viel zu verlieren

Es gibt viel zu verlieren, aber auch viel zu gewinnen. Wenn die vielen Puzzlesteine im Detail erforschter Lösungen von Entscheidungstragenden endlich zusammengesetzt würden, entstünde rasch ein politisch ausverhandeltes Mosaik einer lebenswerten und fairen Zukunft. Damit das passiert, braucht es einen intensiven medialen Diskurs, in dem Wissenschafterinnen und Wissenschafter eine wichtige Rolle spielen sollten – weit außerhalb ihrer Komfortzonen. Das kann auch bedeuten, sich hinter gewaltfrei und friedlich agierende Aktivistinnen und Aktivisten zu stellen, die um ihre Zukunft kämpfen. Sie werden in der sozialwissenschaftlichen Forschung als zentraler Teil der Lösung anerkannt, auch weil sie die wissenschaftlich längst festgestellte Dringlichkeit wirksam zum Ausdruck bringen. Dafür sind wir ihnen dankbar. Auch deshalb haben wir uns am 10. Jänner 2023 hinter die Protestierenden im zivilen Widerstand gestellt. Wir hätten das schon 2021 bei Lobau bleibt tun sollen, damals waren wir aber noch nicht so weit. (Georg Gratzer, Patrick Scherhaufer, Reinhard Steurer, 27.1.2023)