In Kiew verursachte die jüngste Angriffswelle schwere Schäden. Ein Mann starb bei den Raketenangriffen.

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Ein Meme sagt mehr als tausend Worte. Kurz nachdem die Zustimmung Deutschlands zur Lieferung von 14 Leopard-2-Kampfpanzern an die Ukraine bekannt geworden war – von insgesamt 80, die aus anderen europäischen Ländern kommen werden –, überschlugen sich zahlreiche ihrer Bürgerinnen und Bürger in den sozialen Medien mit Jubelpostings. Bevorzugter Inhalt: das Posieren im Leopardenkostüm oder mit jedweden anderen, oft selbstgebastelten Accessoires in Leopardenmuster. Selbst Nationalheiligtümer blieben von der Euphoriewelle nicht verschont. Eines der meistgeteilten Memes zeigt den ukrainischen Nationaldichter Taras Schewtschenko in schwarz-gelb geflecktem Turban und Robe. Der Kreml ließ indes mit seiner Antwort auf die Nachricht, dass bald Panzer moderner westlicher Bauart die Schlachtfelder der Ukraine bevölkern werden, nicht lange auf sich warten.

Am Donnerstagmorgen Ortszeit lancierte Russland einen weiteren Großangriff auf das Nachbarland. Laut Walerij Saluschnyj, dem Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte, umfasste dieser den Einsatz von 55 Raketen und über zwei Dutzend Drohnen. Auch wenn der Großteil davon noch in der Luft abgeschossen werden konnte, fanden acht Cruise-Missiles ihre Ziele. Umspannstationen, Stromleitungen und Pumpwerke: Einmal mehr galten die russischen Angriffe der sogenannten kritischen Infrastruktur der Ukraine.

Stromversorgung in Odessa zusammengebrochen

Besonders hart traf es diesmal die Hafenstadt Odessa, wo zwei für die Stromversorgung der Stadt wichtige Umspannwerke getroffen wurden. Der private ukrainische Energieversorger DTEK reagierte auf die Angriffe umgehend mit Notabschaltungen. Das Resultat: Seit Donnerstagmorgen gibt es in Odessa keinen Strom und kein warmes Wasser zum Heizen mehr, und das bei Temperaturen am Gefrierpunkt.

Nachdem dort mittlerweile tiefster Winter herrscht, erfüllt das, wenn man sich an die Definition der Genfer Konventionen hält, den Tatbestand eines Kriegsverbrechens. Ähnlich sieht es in anderen Teilen der Ukraine aus, die ebenfalls Ziele der jüngsten Angriffe bildeten: In der Stadt Winnyzja, in den Bezirken Sumy und Kirowohrad und in der Hauptstadt Kiew kam es zu Notabschaltungen. In Kiew kam laut Bürgermeister Wladimir Klitschko zudem ein 55-jähriger Mann bei dem Angriff ums Leben.

Sirenen heulen am Nachmittag

In Odessa war am Donnerstagnachmittag noch unklar, ob der russische Angriff vorbei sei. Kurz vor zwei Uhr nachmittags begannen dort wieder die Sirenen zu heulen, die weitere Luftangriffe ankündigten. Maxim Marchenko, der Militärgouverneur des Bezirks Odessa, hatte zuvor verlauten lassen, dass sich die bis heute in der Hafenstadt verbliebenen Menschen auf weitere Attacken aus der Luft und vom Meer einstellen sollen.

Was die Stromversorgung angehe, werde es zudem mehrere Tage dauern, bis sie wieder einigermaßen sicher wiederhergestellt werden könnte – vorausgesetzt, dass es keine neuen Angriffe gibt. Bereits in den Tagen zuvor mussten hunderttausende Odessiter bisweilen mit nur sechs Stunden Strom und funktionierender Heizung am Tag auskommen.

Reaktion auf Ansagen aus dem Westen

Wiewohl Großangriffe wie am Donnerstagmorgen eine gewisse Vorlaufzeit benötigen, zeigte sich auch diesmal wieder ein Muster, dem Russlands Führung seit Kriegsbeginn allzu offensichtlich folgt. Wenn im Konfliktverlauf etwas passiert, das weltweit Schlagzeilen macht, reagiert der Kreml unmittelbar mit einer Barrage an Marschflugkörpern und Drohnen. Im aktuellen Fall war das Deutschlands Beschluss, die Leopard-2-Lieferungen zu genehmigen und, wie der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba twitterte, die Ernennung von Odessas Innenstadt zum Unesco-Weltkulturerbe.

Der ebenfalls allzu offensichtliche Hintergedanke: der eigenen Bevölkerung zu zeigen, dass man den Entwicklungen im Westen nicht tatenlos zuschaut, sondern umgehend Vergeltung übt. Entsprechend begannen die Propagandisten der Putin-Diktatur, den jüngsten Angriff – so eingeschränkt erfolgreich er angesichts der hohen Abschussrate auch war – umgehend medial auszuschlachten. (Klaus Stimeder aus Odessa, 26.1.2023)