Wien – Wer dazugehören will, soll studiofit, kosmetikschön, dauerfreundlich und immer jung sein. Das ist Kult, und was nicht dazupasst, wird zur Seite "toleriert". Behinderte können davon so manches Lied singen. Auch pflegebedürftige Alte werden von allen Seiten gern verdrängt. Was Fortschritte bei der Annahme von unangepassten Körpern seitens der Gesellschaft betrifft, waren die Zeiten bisher ja eher wenig "disruptiv".
Andere Tatsache: Auch Kunst und Kultur, die sich gerade gerne mit ethischen Gloriolen bekränzen, wirken hier zauderhaft. Wie viele große Tanz- oder Theaterensembles haben Körperbehinderte dauerhaft unter Vertrag? Immerhin gibt es Künstlerinnen wie die Performerin und Regisseurin Lucy Wilke, die jetzt im Tanzquartier Wien zusammen mit dem queeren Tänzer Pawel Dudus und der Musikerin Kim Twiddle das Stück Scores that shaped our friendship zeigt.
Wilke kam 1984 mit spinaler Muskelatrophie zur Welt. Heute macht sie Musik, tanzt, verfasst Drehbücher und gehört als Schauspielerin fix zum Ensemble der Münchner Kammerspiele (ist ja doch möglich, wenn es gewollt wird). Dort und da gibt es also Verbesserungen, die sich wohl auf die hartnäckigen Bemühungen vieler Initiativen zurückführen lassen.
Freude, Vertrauen, Zärtlichkeit
Immer noch sind Behinderte und Alte als Opfer einer extrem unwilligen Politik zu sehen. Daher ist es so wichtig, dass sie sich und ihre Arbeit zeigen – wie eben Wilke. In Scores that shaped our friendship, ausgezeichnet 2020 mit dem Faust-Theaterpreis, geht es tatsächlich um die innige Freundschaft zwischen ihr und Dudus, und damit um die Freude an ihren Körpern, um Vertrauen, Zärtlichkeit.
Lucy Wilkes Behinderung steht dabei nicht im Vordergrund. Denn die Künstlerin will sich weder über die Opferrolle vermarkten, noch versteht sie sich primär als Aktivistin. So wird sie auch vom Tanzquartier präsentiert: als eine vielfach talentierte Persönlichkeit, mit der sie auch in dieser Arbeit glänzt. (ploe, 26.1.2023)