Leistungssport ist komplex und hochoptimiert. Spektakuläre Bilder von Wettkämpfen wie bei Olympischen Spielen zeigen nur einen winzigen Ausschnitt des gesamten Prozesses. Ein großer Teil der Arbeit passiert im Hintergrund. Gerade in ausdauerbetonten Sportarten entscheidet vor allem die optimale Vorbereitung über Sieg oder Niederlage. Bei Wettkämpfen mögen durchaus auch Maskottchen und Spleens zum Einsatz kommen, um im Kopf bereit für das zu sein, was der Körper im Training gelernt hat. Letzteres ist aber längst von wissenschaftlichen Methoden beherrscht, in denen medizinisches Wissen und Diagnostik ganz selbstverständlich angewendet werden. Für Experimente ist da kein Platz – sollte man meinen. Auch das österreichische Ruder-Nationalteam hat große Ziele, im Idealfall sollen olympische Medaillen eingefahren werden.

Ein mit dem KI-Tool Mindjourney erstelltes Bild eines Ruderteams.
Foto: DerStandard/martinjan/Midjourney

Dazu ist man eine Kooperation mit der Universität Wien eingegangen. In dem Projket "Airow", das mit dem Forschungsnetzwerk Data Science @ Uni Wien und dem Institut für Sportwissenschaften entwickelt wurde, soll künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen, um die etablierten Trainingsmethoden zu hinterfragen und zu optimieren.

Künstliche Intelligenz im Training sei nicht völlig neu, erklärt der Projektleiter Nikolaus Hautsch. "In Mannschaftssportarten kommt künstliche Intelligenz schon seit einer Weile zum Einsatz. Im Fußball oder Basketball geht es um die Koordination auf dem Feld und die optimale Bewegung." Im Bereich der Trainingsplanung sei der Zugang aber neu. Es geht hier um die Intensität der Trainingsbelastung. "Die Frage ist, wie weit kann man gehen", umreißt Hautsch die Herausforderung. Letztlich wolle man möglichst große Umfänge und Belastungen trainieren, ohne dass die Athletinnen und Athleten "kaputtgehen", wie Hautsch es ausdrückt.

Suche nach Heiligem Gral

Die optimale Belastung sei in Ausdauer- und Kraftsportarten so etwas wie der Heilige Gral der Trainingswissenschaften. Das bestätigt auch Jürgen Scharhag vom Institut für Sportwissenschaften der Universität Wien, Facharzt für innere Medizin und Kardiologie. Es sei für den Trainerstab enorm schwierig, die richtige Belastung zu finden. Wenn man so einen Ruder-Vierer habe, dessen Team dann entweder im Höhentrainings- oder im Trainingslager zusammensitzt, "dann kann es durchaus sein, dass es für die eine Athletin oder den einen Athleten zu anstrengend ist, und für andere ist es zu locker", sagt Scharhag. Er wünscht sich Anhaltspunkte, um die richtige Intensität zu finden. Einerseits gelingt das über Diagnostik, etwa Blutabnahmen. Das Projekt soll nun eine alternative Einschätzung liefern.

Dazu bekommen die Athletinnen und Athleten tragbare Geräte, die Herzfrequenz und andere Parameter überwachen. "Mit den Wearables messen wir sehr genau, was die Leute trainieren, also die Intensität und den Umfang. Darüber hinaus sehen wir, wie sie schlafen, wie gut sie sich erholen und was sie sonst über den Tag hinweg machen", erklärt Hautsch. All das – Training, Gesundheit, Schlaf, Ernährung – beeinflusse die Leistung. Die Daten darüber würden erhoben und mit Leistungsdaten aus Belastungstests mittels Ergometers in Verbindung gesetzt. "Das ist statistisch ziemlich herausfordernd", betont Hautsch, "es sind große und sehr heterogene Datenmengen." Ziel sei es, mit maschinellem Lernen die Zusammenhänge abzubilden, wobei es sich dabei um einen weitgefassten Begriff handle.

Man wolle jedenfalls über eine simple statistische Regression hinausgehen, sagt Hautsch. Als Basis dienen existierende sportwissenschaftliche Modelle. "Wir wollen herausfinden, welche von diesen bezüglich der Prognose von Leistungsvermögen, optimaler Intensität und optimalen Umfangs von Athleten besser als andere funktionieren." Hautsch betont, dass es jedoch nicht darum gehe, den Trainerstab zu ersetzen: "Ein guter, erfahrener Trainer sieht es den Athletinnen teilweise auch an, wenn sie platt sind. Aber das allein reicht eben nicht aus."

Tatsächliche Belastung

Die Verantwortlichen beschreiben den neuartigen Zugang als Versuch, die tatsächliche Belastung auf Athletinnen und Athleten besser zu verstehen. "Das ist es, wo man sich als Trainer auch immer wieder verschätzt", sagt Hautsch, der zwischen äußerer und interner Belastung unterscheidet. Die externe Belastung – Hautsch spricht von "Load" – sei die physische Leistung, die eine Athletin oder ein Athlet mitbringe. Sie lasse sich etwa auf dem Ergometer sehr gut messen. "Der interne Load ist, wie dieser externe Load auf den Athleten wirkt. Ersterer sei an manchen Tagen höher und an anderen niedriger, obwohl der externe Load, die eigentliche physische Belastung, die gleiche ist. Verantwortlich dafür sind verschiedene Faktoren: Die Athletinnen und Athleten sind vielfach keine reinen Profis, manche studieren noch, andere sind beim Bundesheer. Auch das wirke sich auf den internen Load aus.

Werden sich die neuen Methoden also direkt in olympische Medaillen ummünzen lassen? Dafür sei es zu früh, betonen die beiden Forscher. In einer ersten Phase werden Daten gesammelt. Erst wenn die Datenbasis groß genug ist, beginnt die statistische Modellierung, das werde einige Jahre Zeit brauchen. International gebe es verschiedene Gruppen, die in diese Richtung gingen, aber den ultimativen Durchbruch habe es hier noch nicht gegeben, sagt Hautsch.

Der Mediziner Scharhag begrüßt jedenfalls die zusätzlichen Informationen, die künftig zur Verfügung stehen werden. "Manchmal kommen die Athleten auch zu einem und sagen ‚Hey Doc, ich habe da ein Problem‘ oder ‚Mir geht’s nicht so gut‘. Und dann helfen einem diese Parameter weiter", sagt Scharhag. Von den neuen Möglichkeiten durch künstliche Intelligenz ist er begeistert: "Ich habe bereits Sportstudien mit Statistikern gemacht, aber noch keine mit Mathematikern. Genau das macht aber auch den besonderen Reiz aus." (Reinhard Kleindl, 30.1.2023)