Bäume verbessern die Luftqualität und spenden Schatten.

Foto: IMAGO/Frank Drechsler

Dieser Wald wächst zehnmal schneller, ist 30-mal dichter und 100-mal artenreicher als herkömmliche Wälder. Das verspricht Shubhendu Sharma während eines Ted-Talks und zeigt dabei ein Bild von derart dicht aneinandergedrängten Bäumen, dass ein Durchdringen unmöglich scheint. Auf einer Fläche von nur sechs Pkw-Parkplätzen könne er 300 Bäume pflanzen, sagt der Wirtschaftsingenieur.

Seine schwarzen Haare trägt er zu einem leicht nach links fallenden Scheitel, ein weißes Hemd, darüber einen burgunderfarbenen Pullover. Im Jänner 2011 hat Sharma das Unternehmen Afforestt gegründet. Dessen Ziel: So viele Tiny Forests wie möglich zu pflanzen und deren Aufforstung zu einem Mainstream-Geschäft zu machen.

Miyawaki-Methode

Dafür wendet er die sogenannte Miyawaki-Methode an, benannt nach ihrem Erfinder Akira Miyawaki. Der japanische Biologe hat sein Bewaldungskonzept in den 1970er-Jahren entwickelt. Die Idee: in urbanen Räumen kleine Habitate anlegen, um die Artenvielfalt zu fördern, die Luftqualität zu verbessern und die Wasserhaltekapazität des Bodens zu erhöhen.

Um das Wachstum voranzutreiben, pflanzt man nach Miyawaki-Methode heimische Bäume und Sträucher auf engstem Raum. Zuvor analysiert man den Boden, lockert ihn entsprechend auf, trägt ihn ab oder reichert ihn mit natürlichem Dünger an. Je nach Standort werden dann zwischen 15 und 100 Baum- und Strauchsetzlinge aus der Region gepflanzt.

Im Schnitt wurzeln drei bis vier Jungpflanzen auf einem Quadratmeter. Das soll deren Wachstum beschleunigen, da sie um Sonnenlicht konkurrieren. In den ersten drei Jahren muss der Wald gepflegt, sprich gegossen und gejätet werden. Danach können Bäume und Sträucher sich selbst überlassen werden und ganz von allein in die Höhe sprießen.

Dabei geht es den Anhängern der Methode um viel mehr als nur darum, winzige Wälder zu pflanzen. Die Rede ist etwa von dichten grünen Oasen, die bereits auf einer Fläche von nur 100 Quadratmetern wachsen können. Gelingen soll das in Rekordgeschwindigkeit. Was bisher 100 Jahre gedauert hat, verspricht die Miyawaki-Methode in zehn Jahren zu erreichen.

BBC World Service

Miniwälder überall

Laut eigenen Angaben hat Afforestt seit seiner Gründung 2011 bereits 138 Miniwälder in 44 Städten und zehn Ländern gepflanzt. Den Großteil davon in Indien, aber auch in den USA und Europa wurzeln bereits einzelne Projekte. Sharma ist nicht der Einzige, der die Methode anwendet. Immer mehr Vereine, Unternehmen und Städte finden weltweit daran gefallen und setzen sie um.

Auch in Wien sind bereits erste Tiny Forests nach der Miyawaki-Methode gepflanzt worden. Etwa im Sonnwendviertel in Wien-Favoriten oder im Stefan-Weber-Park im zwölften Gemeindebezirk, wo das sogenannte Wiener Wäldchen heranwächst.

In der Projektbeschreibung listet die Stadt Wien zahlreiche Vorteile des Wäldchens auf. Darunter steigende lokale Artenvielfalt von Fauna und Flora, natürliche Klima-Anpassung, Bodenschutz, Regenwassermangement und Luftverbesserung, kosteneffiziente Aufwertung städtischer Restflächen und die Schaffung von naturnahen Bereichen.

Mikrowald bringt Mikroklima

Hubert Hasenauer sieht alles, was mehr Grün in die Stadt bringt und die Bodenversiegelung aufbricht, als positiv. Er leitet das Institut für Waldbau an der Universität für Bodenkultur in Wien. Die Miyawaki-Methode schaffe einen Mikrowald inklusive Mikroklima und damit auch ein Rückzugsgebiet für Insekten und kleine Tiere. Es sei aber auch ein guter Marketinggag. Denn neu seien derartige Idee nicht.

Dass in stadtnahen Bereichen Bäume dichter und in verschiedenen Arten gesetzt werden als in Wäldern, ist für Hasenauer "logisch", denn der Zweck ist ja die Schaffung einer kleinen Waldinsel.

Im Gegensatz zu Aufforstungen, bei denen teure Bäume gepflanzt werden, werden diese je nach Baumart mit einem Mindestabstand gepflanzt, um den Arbeitsaufwand und damit die Kosten zu minimieren. Außerdem würde bei einer engen Bepflanzung die natürliche Mortalität auf Grund von Konkurrenz früher einsetzen.

Haben Bäume keine Möglichkeit, ihre Krone auszubreiten, wird diese immer kleiner, und in weiterer Folge sterben sie. Das sei ein normaler Prozess, sagt Hasenauer. Denn Pflanzen nähren sich durch Photosynthese. Die Energie von Sonnenstrahlen wird verwendet, um Zucker und Sauerstoff herzustellen. Der Zucker dient der Pflanze als Energiequelle.

Eine gewisse Konkurrenz in Form von dichter Bepflanzung könne je nach Baumart das Höhenwachstum fördern, weiß Hasenauer. Waldkiefern wachsen beispielsweise buchstäblich bis zum Umfallen. Um ihre Konkurrenz zu übertrumpfen, werden sie zwar immer höher. Währenddessen verkümmert allerdings die Baumkrone, und die Photosynthese liefert zu wenig Energie, um den Baum zu nähren.

Dass die Bäume und Sträucher mit der Miyawaki-Methode zehnmal so schnell wachsen, hält Hasenauer allerdings für unmöglich. "So etwas habe ich noch nie gehört. Bei gleicher Baumart geht das nicht", sagt er. Anders wäre es, wenn man bewusst andere Arten setzt, dann könnte es schneller gehen, aber auch dann halte er es für unmöglich, dass ein Wald um das Zehnfache schneller wächst.

Wald versus Tiny Forest

Als Wald gilt der Tiny Forest nach der Miyawaki-Methode übrigens nicht. Das Forstgesetz definiert Wald als eine mit Holzgewächsen bewachsene Fläche, die mindestens 1.000 Quadratmeter Fläche umfasst oder zehn Meter breit ist. Obstbäume gelten ausdrücklich nicht als Wald.

Europa ist laut Hasenauer zudem der einzige Kontinent, in dem die Waldflächen weiterhin zunehmen. In der EU sei der Waldbestand in den letzten zehn Jahren im Durchschnitt um 30.000 Hektar pro Jahr gewachsen. In Österreich zählen Behörden 4.000 Hektar Waldzunahme pro Jahr. Derzeit nehme der Waldflächenanteil 48 Prozent der Landesfläche ein.

Wälder sind außerdem besonders geschützt. Bäume dürfen nicht einfach gefällt werden, dafür bedarf es einer Bewilligung. Tiny Forests hingegen definiert Hasenauer als kleine Waldinseln im urbanen Gebiet. (Julia Beirer, 31.1.2023)